Besonderheiten und Fallstricke bei sogenannten Massenentlassungen

30.07.2014

[Köln, ] Bereits der rechtswirksame Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes stellt den Arbeitgeber nicht selten vor große Probleme. Noch komplexer werden die Anforderungen an das rechtmäßige Handeln, wenn eine Massenentlassung geplant ist, also einer im Verhältnis zur Betriebsgröße bestimmten Anzahl von Arbeitnehmern gleichzeitig oder in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang gekündigt werden soll. Besondere Mitteilungs-, Beratungs- und Anzeigepflichten können die Vorbereitung und Durchführung derartiger Kündigungen erschweren und teils deutlich in die Länge ziehen.

1. Interessenausgleich

Wurde in dem Betrieb, in welchem die Massenentlassung stattfinden soll, ein Betriebsrat gebildet, so kann die Pflicht bestehen, vor dem Ausspruch von Kündigungen mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich abzuschließen. Voraussetzung ist, dass eine Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) vorliegt. Eine solche kann ein reiner Personalabbau darstellen, wenn eine bestimmte Anzahl an Kündigungen in Bezug auf die Gesamtgröße des Betriebs erreicht wird. Maßgeblich sind hierbei die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG, wonach eine Massenentlassung (und damit eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG) bei Erreichen einer der folgenden Grenzen gegeben ist:

- in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Kündigungen,
- in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 % der Arbeitnehmer oder mehr als 25 Kündigungen,
- in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Kündigungen.

Hinzu kommt die von dem Bundesarbeitsgericht statuierte zusätzliche Einschränkung, dass bei Betrieben mit mindestens 500 Arbeitnehmern Kündigungen gegenüber mindestens 5 % der gesamten Belegschaft des Betriebs ausgesprochen werden (vgl. BAG, Beschluss v. 28.03.2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932). Sind die Schwellenwerte erreicht, muss der Arbeitgeber den Abschluss eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat wenigstens ernsthaft versuchen, um sich nicht Nachteilsausgleichsansprüchen gemäß § 113 BetrVG ausgesetzt zu sehen. Ein ernsthafter Versuch des Arbeitgebers liegt indes nur dann vor, wenn er bei nicht erfolgreichen Verhandlungen mit dem Betriebsrat die Einigungsstelle nach § 76 BetrVG anruft und diese – soweit die Verhandlungen weiterhin nicht erfolgreich sind – das Scheitern der Verhandlungen feststellt.

2. Sozialplan

Neben der Frage des aus Arbeitgebersicht notwendigen Interessenausgleichsverfahrens, wird insbesondere von Betriebsratsseite stets der Wunsch nach Abschluss eines Sozialplans zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile bestehen. Rechtlich erzwingbar (durch Anrufung der Einigungsstelle) ist ein solcher Sozialplan im Fall des Personalabbaus indes nur dann, wenn die Zahlenwerte des § 112a Abs. 1 BetrVG erreicht werden, die deutlich über denjenigen des § 17 KSchG (s.o.) liegen. Hiernach kann der Betriebsrat einen Sozialplan nur dann erzwingen, wenn

- in Betrieben mit in der Regel weniger als 60 Arbeitnehmern 20 %, aber mindestens 6 Arbeitnehmer,
- in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 250 Arbeitnehmern mindestens 20 % oder 37 Arbeitnehmer,
- in Betrieben mit in der Regel mindestens 250 und weniger als 500 Arbeitnehmern mindestens 15 % oder 60 Arbeitnehmer oder
- in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 10 % oder 60 Arbeitnehmer

gekündigt werden sollen. In den ersten 4 Jahren nach Gründung eines Unternehmens ist ein Sozialplan im Fall des Personalabbaus nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht erzwingbar. Neben der rechtlichen Erzwingbarkeit steht indes die faktische Verhandlungsmacht des Betriebsrats. Häufig verknüpft dieser seine Zustimmung zum Abschluss des aus Arbeitgebersicht bedeutsamen Interessenausgleichs (s.o.) mit der Einigung über einen Sozialplan, selbst wenn dieser nicht rechtlich erzwingbar sein sollte.

3. Massenentlassungsanzeige

Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber bei Erreichen bestimmter Schwellenwerte (s.o. zu Ziffer 1) vor Ausspruch der Kündigungen gemäß § 17 KSchG eine Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit erstatten muss. Unterlässt er dies oder ist die Anzeige unvollständig, sind die Kündigungen formal unwirksam. Hierbei ist darauf zu achten, dass vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige weitere Verfahrensschritte einzuleiten sind, sofern in dem Betrieb ein Betriebsrat besteht. Insbesondere hat der Arbeitgeber den Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG über die Umstände der geplanten Massenentlassung zu unterrichten. Das Konsultationsverfahren verdient insoweit besondere Beachtung, als dessen ordnungsgemäße Durchführung unabdingbare Wirksamkeitsvoraussetzung der Massenentlassungsanzeige und damit auch der jeweiligen Kündigungen selbst ist. Soweit der Betriebsrat nicht bereit ist, einen Interessenausgleich ab-zuschließen oder hierin eine Stellungnahme nach § 17 Abs. 2 KSchG abzugeben, müssen zwischen der Unter-richtung des Betriebsrats  und der eigentlichen Erstattung der Anzeige mindestens 2 Wochen liegen (§ 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG). Es empfiehlt sich hierbei, die Antragsformulare der Arbeitsagentur zur Massenentlassungsanzeige vorläufig auszufüllen und dem Betriebsrat parallel zu den Interessenausgleichsverhandlungen zu Konsultationszwecken zu übersenden, da hierin die notwendigen Informationen enthalten sind.

4. Die Kündigung

Soweit ein Betriebsrat nicht gebildet ist, erfordert der Ausspruch der Kündigungen regelmäßig keinen weiteren Verfahrensschritt. Zu beachten sind lediglich die Schriftform der Kündigung nach § 623 BGB, die fristgerechte (und im Zweifel nachweisbare) Zustellung sowie ggf. die zutreffende Berechnung der Kündigungsfrist, die allerdings nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung ist. Kommt es zum Gerichtsverfahren, hat der Arbeitgeber sämtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen der Kündigung darzulegen und im Bestreitensfalle zu beweisen, insbesondere das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) sowie die ordnungsgemäße Durchführung der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG).

Besteht ein Betriebsrat, so ist er vor jeder Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG zu unterrichten. Erst nachdem der Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung Stellung genommen hat (eine Zustimmung ist nicht erforderlich) oder seit der Unterrichtung eine Woche vergangen ist, kann die Kündigung wirksam ausgesprochen werden. Bei der Anhörung des Betriebsrats kann in Bezug auf den Kündigungsgrund teilweise auf den Interessenausgleich verwiesen werden, wenn hierin der Stellenwegfall hinreichend präzisiert ist. Enthält der Interessenausgleich eine Namensliste (also eine Liste mit den Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer), so wird das Vorliegen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes im Gerichtsverfahren gemäß § 1 Abs. 5 KSchG vermutet. Ebenso kann die vorgenommene Sozialauswahl dann nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Betriebsräte stimmen einer solchen Namensliste allerdings nur selten zu.

Unabhängig vom Bestehen eines Betriebsrats muss der Arbeitgeber in bestimmten Fällen den Sonderkündigungsschutz von Arbeitnehmern beachten, die etwa schwerbehindert sind oder sich in Elternzeit bzw. Mutterschutz befinden. Diese Arbeitnehmer dürfen nur mit vorheriger behördlicher Zustimmung gekündigt werden. Sofern die Voraussetzungen der behördlichen Zustimmung vorliegen, kann das Zustimmungsverfahren parallel der Unterrichtung des Betriebsrats stattfinden. Zu beachten ist ferner, dass auch Mitglieder des Betriebsrats Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG genießen.

5. Zusammenfassung/Checkliste

Aus den dargestellten Anforderungen ergibt sich eine gewisse logistische Herausforderung gerade für Arbeitgeber mit Betriebsräten im Falle einer Massenentlassung, die darin besteht, die einzelnen Verfahrensschritte und Beteiligungsgebote in eine richtige und effiziente Reihenfolge zu bringen. Die nachfolgende „Checkliste“ unterstellt hierbei, dass die Anzahl der geplanten Kündigungen im Rahmen des Personalabbaus sowohl die Voraussetzungen einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG als auch einer Massenentlassung i.S.d. § 17 KSchG erfüllen. In diesem Fall kann der Arbeitgeber wie folgt vorgehen:

Unterrichtung des Betriebsrats über den geplanten Personalabbau und Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich und ggf. Sozialplan. Vorläufige Erstellung der Unterlagen über die Massenentlassungsanzeige und Übersendung an den Betriebsrat unter Hinweis auf die Durchführung des Kosultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG. Zuleitung des Schreibens nach Ziffer 2 („gleichzeitig“) an die zuständige Arbeitsagentur zur Kenntnis. Abschluss der Verhandlungen über Interessenausgleich einschließlich Stellungnahme des Betriebsrats zur Konsultation nach § 17 Abs. 2 KSchG. Anhörung des Betriebsrats zu den nach dem Interessenausgleich geplanten Kündigungen nach § 102 BetrVG. Erstattung der Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit. Ausspruch der Kündigungen.


Die dargestellte stellt eine zulässige und effiziente Vorgehensweise des Arbeitgebers im Fall des umfangreichen Personalabbaus dar. Sollte ein Betriebsrat nicht gebildet sein, vereinfacht sich die Reihenfolge auf die Punkte 6 und 7.

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