Internetvertrieb im selektivem Vertriebssystem

08.08.2013

Einleitung

Trotz der weit verbreiteten Anpreisungen des modernen Internethandels erfreuen sich bei den Herstellern von Markenprodukten selektive Vertriebssysteme, die den angeschlossenen Vertragshändlern einen Weitervertrieb über das Internet - ganz oder teilweise - untersagen sollen, großer Beliebtheit. Als Grund für die Einführung solcher Vertriebsbeschränkungen führen Markenhersteller vielfach geradezu reflexartig an, der Vertrieb der von ihnen produzierten Waren setze - bspw. aus Sicherheitsgründen - die Anwesenheit von fachlich geschultem Verkaufspersonal voraus, um den Kunden hinreichend über die Funktionsweise und eine fachgerechte Benutzung des jeweiligen Produktes informieren zu können. Dass es sich hierbei jedoch in einer Vielzahl von Fällen um ein bloß vorgeschobenes Motiv handelt, liegt auf der Hand. So ist zunächst eine hinreichende Beratungsqualität auch im Fachhandel keineswegs stets gewährleistet. Darüber hinaus lässt sich das Erfordernis einer fachmännischen Einweisung oder Beratung für viele Produkte des alltäglichen Gebrauchs schlichtweg nicht sinnvoll begründen. Die wahren Absichten hinter der Implementierung eines umfassenden Internetvertriebsverbots sind tatsächlich überwiegend rein wirtschaftlicher Natur. So versteckt sich hinter entsprechend ausgestalteten Vertriebssystemen vielfach der Versuch einer Allianz von Herstellern und „stationären“ Fachhändlern, dem stetig wachsenden Anteil des Internetgeschäfts und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust herkömmlicher Vertriebsformen entgegenzuwirken. Besondere Probleme bereitet der Internethandel dem stationären Vertrieb nämlich aufgrund der – wegen des geringeren Personalaufwands – überwiegend erheblich günstigeren Preise und der nicht auf bestimmte Örtlichkeiten beschränkten Reichweite von Online-Angeboten. Auch sorgen sich viele Hersteller von Markenprodukten angesichts vermeintlicher „Dumpingpreise“ im Internet um „den guten Ruf“ ihrer Marke.

Rechtsauffassung des EuGH

Mit der kartellrechtlichen Zulässigkeit von vollständigen Internetvertriebsverboten hatte sich unlängst der EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen des „Cour d’appel de Paris“ zur Auslegung des Art. 81 Abs. 1-3 EGV (seit dem 1.12.2009: Art. 101 Abs.1 - 3 AEUV) zu befassen (EuGH in GRURINT 2011, 1077). Dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde lag dabei ein selektives Vertriebssystem des französischen Kosmetikherstellers Pierre Fabre Dermo-Cosmétique. Dieser hatte seinen Vertriebshändlern in den allgemeinen Vertriebs- und Verkaufsbedingungen hinsichtlich einiger seiner Produkte auferlegt, sich zu „verpflichten, die Produkte … nur in einer materialisierten und individualisierten Verkaufsstelle … abzugeben“. Zur Begründung gab Pierre Fabre Dermo-Cosmétique an, „die in Rede stehenden Produkte erforderten auf Grund ihrer Art die physische Anwesenheit eines diplomierten Pharmazeuten am Verkaufsort während der gesamten Öffnungszeiten, damit der Kunde unter allen Umständen den auf einer direkten Untersuchung seiner Haut, Haare oder Kopfhaut fundierten Rat eines Fachmanns einholen könne“. In einer vorgeschalteten Entscheidung hatte die zuständige Kartellbehörde die Verwendung dieser Vertragsklausel mit der Begründung untersagt, dass es sich bei ihr um eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs.1 AEUV handele, die weder über die Anwendung einer mit der mit der VERORDNUNG (EG) Nr. 2790/1999 (seit dem 01. Juni 2010: VERORDNUNG (EG) Nr. 330/2010) eingeführten Gruppenfreistellung noch über eine Legalausnahme in Art. 101 Abs. 3 AEUV ausnahmsweise kartellrechtlich zulässig sein könne. Dieser Einschätzung schloss sich letztlich der EuGH in seinem Vorlagebeschluss auch weitestgehend an. Vertragliche Klauseln und Vereinbarungen, die de facto ein Internetvertriebsverbot zur Folge hätten, fielen nach Auffassung der Richter grundsätzlich unter das Verbot des Art. 101 Abs.1 AEUV. Ein Internetvertriebsverbot sei aber nicht in jedem Falle unzulässig. Entsprechend ausgerichtete selektive Vertriebssysteme würden dann nicht von dem Verbot in Art. 101 Abs.1 AEUV erfasst, wenn die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolge, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet würden, sofern die Eigenschaften des fraglichen Erzeugnisses zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs ein solches Vertriebsnetz erforderten, und sofern die festgelegten Kriterien schließlich nicht über das erforderliche Maß hinausgingen. Gleichzeitig stellte der EuGH dennoch klar, dass zum Schutz des freien Warenverkehrs diesbezüglich strenge Voraussetzungen an eine ausnahmsweise Zulässigkeit solcher Vertriebssysteme zu stellen seien. Insbesondere der Schutz des Prestigecharakters eines bestimmten Produkts bzw. einer bestimmten Marke stelle jedoch kein legitimes Ziel zur Beschränkung des Wettbewerbs dar. Eine ausnahmsweise Zulässigkeit von Internetvertriebsverboten könne auch nicht aus einer Gruppenfreistellung des Art. 2 der VERORDNUNG (EG) Nr. 2790/1999 gefolgert werden, da es sich bei Internetvertriebsverboten grundsätzlich um sog. Kernbeschränkungen nach Art. 4 der VERORDNUNG (EG) Nr. 2790/1999 handle. Insbesondere greife in diesen Fällen die Ausnahme des Art. 4 lit. c der VERORDNUNG (EG) Nr. 2790/1999 – wonach es Mitgliedern von Vertriebssystemen zulässigerweise untersagt werden könne, Geschäfte von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu betreiben – nicht ein. Diese – grundsätzlich eng auszulegende – Ausnahmeregelung ziele nur auf Verkaufsstellen ab, in denen Direktverkäufe vorgenommen würden. Eine Vereinbarung, die de facto das Internet als Vertriebsform verbiete, werde daher von ihr nicht erfasst.

Fazit

Mit dieser Entscheidung hat der EuGH der Zulässigkeit von vollständigen Internetvertriebsverboten im Rahmen selektiver Vertriebssysteme sehr enge Grenzen gesetzt. Insbesondere Hersteller von „Alltagsprodukten“ dürften so in ihrem unübersehbaren Bestreben, dem Internethandel mit Markenerzeugnissen Einhalt zu gebieten, deutlich in die Schranken gewiesen worden sein. Von der Entscheidung des EuGH unberührt bleiben jedoch insbesondere teilweise Vertriebsverbote, so bspw. auch solche, die den angeschlossenen Händlern lediglich den Vertrieb über zentrale Auktions- oder Vertriebsplattformen (wie „Ebay“ oder „Amazon“) untersagen (hierzu weitergehend: Spieker, „Kartellrechtliche Zulässigkeit des Verbots eines Weitervertriebs über Auktionsplattformen“, in GRUR-RR 2009, 81). Es ist daher auch in Zukunft mit weiteren – wenn auch begrenzten – vertriebsbeschränkenden Maßnahmen vieler Markenhersteller gegen vermeintliche „Dumpingangebote“ im Internet zu rechnen.

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