Kleine Maßnahme, große Wirkung - Urkundenklage unstatthaft bei Mängelvorbehalt der Mieters

07.03.2014

Hat der Mieter bei Übergabe der Mietsache Mängel vorbehalten, ist eine auf die Zahlung von rückständigem Mietzins gerichtete Urkundenklage in der Regel unstatthaft.

Typischer Weise wird einem Mieter die Mietsache zu Beginn der Mietzeit im Rahmen einer mehr oder weniger förmlichen Übergabe zur Verfügung gestellt. Gerade bei der Vermietung großer Gewerbeflächen mit einer entsprechenden wirtschaftlichen Bedeutung steigen dabei die Komplexität der baulichtechnischen Voraussetzungen einer solchen Vermietung sowie die Wahrscheinlichkeit, dass bei Übergabe noch Mängel vorhanden und Restarbeiten erforderlich sind. Nicht immer erkennen die Mietvertragsparteien dabei, dass in ähnlicher Weise auch ihr Bedarf an rechtlicher und technischer Beratung im Rahmen einer solchen Übergabe steigt. Vorliegend hatte die Mieterin bei der Übergabe bestimmte Mängel der Mietsache gerügt und die Rüge in das Übergabeprotokoll aufnehmen lassen. Dies erwies sich als entscheidende Maßnahme, die dazu führte, dass die Klage der Vermieterin auf Zahlung rückständigen Mietzinses bzw. rückständiger Nutzungsentschädigung in Millionenhöhe über drei Instanzen erfolglos blieb.

Leitsatz der Entscheidung

Behält sich der Mieter bei der Annahme der Mietsache seine Rechte wegen eines Mangels vor, ist eine spätere Klage auf Zahlung von rückständiger Miete im Urkundenprozess nur dann statthaft, wenn unstreitig ist oder der Vermieter urkundlich beweisen kann, dass der Mieter trotz des erklärten Vorbehalts die Mietsache als Erfüllung angenommen hat. (amtlicher Leitsatz)

BGH, Urteil vom 12.06.2013 - XII ZR 50/12)

Sachverhalt

Die beklagte Mieterin hatte mit der klagenden Vermieterin im Jahr 2004 einen auf 30 Jahre befristeten Mietvertrag über ein Grundstück mit vier noch zu errichtenden Messehallen geschlossen. Die monatliche Grundmiete wurde mit EUR 1.725.000,00 netto zzgl. Umsatzsteuer und Mietnebenkosten vereinbart. Bei Übergabe an die Beklagte wies das Objekt Mängel auf, die die Parteien in einem Übergabeprotokoll vermerkten. Ein Sachverständiger bezifferte die Sanierungskosten später auf EUR 318.500,00. Der Mietvertrag endete bereits 2010 u.a. durch wechselseitige Kündigungserklärungen und Einstellung der Mietzahlungen seitens der Beklagten.

Die Klägerin hat anschließend Ansprüche auf Miete und Nutzungsentschädigung in einem sogenannten Urkundenprozess eingeklagt. Dabei handelt es sich um eine besondere Verfahrensart, die man wählen kann, um vergleichsweise schneller einen vollstreckbaren Titel gegen den Schuldner zu erlangen. Hintergrund der Beschleunigung ist, dass in dieser Art eines "Vorverfahrens" sämtliche anspruchsbegründenden Umstände oder Einwendungen mit statthaften Beweismitteln (i.e. Schriftstücken) nachgewiesen werden müssen, und langwierige Beweisaufnahmen durch Zeugenvernehmungen usw. zunächst nicht vorgenommen werden.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Klägerin gegen das vorweggegangene Urteil des Oberlandesgerichts Köln als unbegründet zurückgewiesen, da sie die eingeklagten Ansprüche auf Miete bzw. Nutzungsentschädigung nicht habe urkundlich belegen können.

Zwar sei es grundsätzlich statthaft, solche Ansprüche im Wege eines Urkundenprozesses einzuklagen, auch wenn der Mieter wegen behaupteter Mängel der Mietsache eine Minderung der Miete geltend mache. Hier habe aber die Klägerin bereits nicht die Annahme der Mietsache "als Erfüllung" mit den statthaften Beweismitteln (d.h. mit Schriftstücken) nachweisen können. Die entsprechende Bewertung durch das Oberlandesgericht, das die diversen, teils mehrfach in das Übergabeprotokoll aufgenommenen Mängelvorbehalte als Verweigerung einer Annahme "als Erfüllung aufgefasst hatte, bestünden nach Maßgabe des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes keine Bedenken.

Hieran ändere sich auch nichts dadurch, dass die von einem Sachverständigen geschätzten Sanierungskosten nur einen kleinen Prozentsatz der Jahresmiete ausmachten. Entscheidend sei, ob dem Mieter zugemutet werden könne, die Mietsache trotz Mangels als im Wesentlichen vertragsgemäße Erfüllung entgegenzunehmen und sich mit Mängelrechten zu begnügen. Dies sei bei den hier gerügten Mängeln der Heizungs- und Kälteanlagen nicht der Fall gewesen. Der Mieter habe in Anbetracht seiner mehrfach erklärten Mängelvorbehalte auch durch die Zahlung der vollen Miete über längere Zeit kein schützenswertes Vertrauen auf Seiten des Vermieters geschaffen, er werde wegen dieser Mängel in Zukunft keine Mängelrechte geltend machen.

Anmerkung

Die Entscheidung des Bundesgerichthofes ist nachzuvollziehen, wenn man den eingeschränkten Prüfungsmaßstab im Urkundenprozess bedenkt. Hat der Mieter diverse Mängel im Übergabeprotokoll - teils mehrfach - gerügt, wird man dem Oberlandesgericht Köln darin zustimmen müssen, dass der Mieter die Leistung offensichtlich nicht als im Wesentlichen vertragsgemäße Erfüllung annehmen wollte. Auch erscheint es durchaus richtig, dass gerade etwaige Mängel an den Heizungs- und Kälteanlagen eine derart große Bedeutung haben, dass ein solcher Vorbehalt (trotz vergleichsweise geringer Sanierungskosten) rechtmäßig ist. Kann der Vermieter also die Annahme der Mietsache "als Erfüllung" nicht mit den statthaften Beweismitteln belegen, ist eine im Urkundenprozess angestrengte Klage folgerichtig als unstatthaft abzuweisen.

Bewertung und Folgen für die Praxis

Die hier besprochene Entscheidung betrifft zunächst nur einen zivilprozessualen Sonderfall, nämlich die Geltendmachung von Mietzinsansprüchen im Wege einer Urkundenklage. Die hier konkret erfolgte Abweisung als im Urkundenprozess unstatthaft trifft auch noch keine Aussage darüber, ob die Klage ggf. in einem normalen Prozess erfolgreich sein würde oder noch sein wird.

Neben der Entscheidung dieses konkreten zivilprozessualen Sonderfalls, dass ein Vermieter Mietzinsrückstände nicht ohne weitere Voraussetzungen in einem verhältnismäßig schnellen Urkundenprozess einklagen kann, enthält die Entscheidung aber weitere bemerkenswerte Feststellungen des Bundesgerichtshofes. So bedeuten auch vergleichsweise geringe Beseitigungskosten nicht grundsätzlich, dass der Mieter die Mietsache in jedem Fall als im Wesentlichen vertragsgemäß entgegennehmen muss und hiergegen erst später mit weiteren, sekundären Mängelrechten vorgehen kann. Im vorliegenden Fall hat dies nämlich im angestrengten Urkundenprozess dazu geführt, dass die Beklagte Miete und Nutzungsentschädigung in Millionenhöhe zunächst nicht zahlen musste.

Ungeachtet dessen zeigt sich über diesen Einzelfall hinaus, dass eine bestimmte rechtliche Maßnahme im Vorfeld im Nachhinein eine große Wirkung haben kann: Wenige Worte im Übergabeprotokoll können reichen, um unter Umständen erhebliche Zahlungspflichten zu vermeiden.

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