Schadensersatzpflicht des Vorstandes wegen Untätigkeit bei „schwarzen Kassen“

17.04.2014

[Berlin/Frankfurt a.M., ] Der Vorstand leitet die Aktiengesellschaft in eigener Verantwortung nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 76 Abs. 1 AktG). Dabei hat er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG). Teil dieser Sorgfalt ist die Pflicht, im Außenverhältnis sämtliche das Unternehmen bindenden Rechtsnormen einzuhalten (sog. Legalitätspflicht). Dazu gehören Normen des Bilanzrechts ebenso wie straf- oder ordnungsrechtliche Vorschriften. Der Vorstand darf jedenfalls selbst keine Gesetzesverstöße anordnen. In einem neuen Urteil hält das LG München in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 – 5HK O 1387/10, 5 HKO 1387/10 an der bisherigen Rechtsprechung fest, wonach der Vorstand – wie § 91 Abs. 2 AktG konkretisiert – auch ein funktionstüchtiges Compliance-System in das Unternehmen implementieren und wirksam kontrollieren muss, das solche für das Unternehmen potentiell bestandsgefährdende Rechtsverstöße frühzeitig erkennt und unterbindet. Das Urteil konkretisiert den ausfüllungsbedürftigen Maßstab dieser Organisationspflicht des Vorstandes. Es beschäftigt sich auch mit dem Verjährungsbeginn von Schadensersatzansprüchen, wenn die Verletzung dieser Pflichten nachweislich auf einem Unterlassen des Vorstandes beruht.

Leitsätze des Gerichts (Auszug)

1. Im Rahmen seiner Legalitätspflicht hat ein Vorstandsmitglied dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöße wie Schmiergeldzahlungen an Amtsträger eines ausländischen Staates oder an ausländische Privatpersonen erfolgen. Seiner Organisationspflicht genügt ein Vorstandsmitglied bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet. Entscheidend für den Umfang im Einzelnen sind dabei Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit.

2. Die Einhaltung des Legalitätsprinzips und demgemäß die Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems gehört zur Gesamtverantwortung des Vorstands.

3. Liegt die Pflichtverletzung eines Vorstandsmitglieds in einem Unterlassen, beginnt die Verjährung im Falle der Nachholbarkeit der unterlassenen Handlung nicht schon dann, wenn die Verhinderungshandlung spätestens hätte erfolgen müssen, sondern erst dann, wenn die Nachholbarkeit endet.

Maßgeblicher Sachverhalt

Die Klägerin ist eine international tätige Aktiengesellschaft mit weltweit 400.000 Mitarbeitern, die auch an der US-amerikanischen Börse gelistet ist. In einzelnen Sparten des Unternehmens hatte sich seit den 1980er Jahren ein System „schwarzer Kassen“ heraus gebildet. Es wurde von Führungskräften getragen, die nicht dem Vorstand angehörten. Aus den dort geparkten finanziellen Mitteln wurden Korruptionszahlungen an ausländische Amtsträger zunächst direkt, später über Scheinberaterverträge geleistet.

Der Beklagte war zwischen 1998 und 2006 Mitglied des Vorstandes. Bei Vorstandssitzungen ab dem Jahre 1999 wurden zunächst laufende Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter, später die Notwendigkeit zur Einführung und zum Ausbau eines Compliance-Systems thematisiert.

Der Vorstand

wies die Mitarbeiter zunächst an, die rechtlichen Vorgaben in den jeweiligen Ländern einzuhalten (1999) führte das Programm „Compliance im Wettbewerb“ ein (2001) leitete interne Untersuchungen ein, als die ersten Fälle von Abschlussprüfern entdeckt wurden (2003) führte – nach mehreren abgelehnten Versionen – neue Compliance-Regelungen ein (2004) schaffte einen Vorstandposten, der – neben anderen Bereichen – für Compliance zuständig war (Chief Compliance Officers) sowie ein ihm unterstelltes Compliance Office (2004) wies gegenüber den Mitarbeitern an, dass Barabhebungen von Konten in bestimmter Höhe durch den CFO des Kontoinhabers (Tochterunternehmen) zu genehmigen und detailliert zu dokumentieren seien (2004).

Die US-amerikanische Börsenaufsichtsbehörde (SEC) hat gegen die Klägerin Bußgelder i.H.v 450 Mio. USD verhängt und schöpfte die Gewinne ab. Die Staatsanwaltschaft München erließ ebenfalls ein Bußgeldbescheid über 395 Mio. Euro gegen die Klägerin. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen den Beklagten wurden hingegen eingestellt.

Entscheidungsgründe

Das LG München verurteilte den Beklagten antragsgemäß zum Schadensersatz. Zur Begründung führte das Gericht aus, der Vorstand habe seine aus § 93 Abs. 1 AktG folgende Sorgfaltspflicht schuldhaft verletzt, indem er ein mangelhaftes Compliance-System unterhalten habe, das ungeeignet gewesen sei, Gesetzesverletzungen wegen grenzüberschreitender Schmiergeldzahlungen zu unterbinden. Das erforderliche Compliance-System unterliege grundsätzlich strengen Sorgfaltsmaßstäben und werde durch Art, Größe und Organisation des Unternehmens und dessen Geschäftstätigkeit bestimmt. Der hier anzusetzende hohe Maßstab folge schon aus dem Engagement der Klägerin in korruptionsanfälligen Entwicklungsländern. Zudem werde das erforderliche Compliance-System durch das Listing an der New York Stock Exchange (NYSE) mitbestimmt, kraft dem die Bestimmungen des Foreign Corrupt Practices Act auf die Klägerin anwendbar seien. Deshalb müsse jeder Zahlungsvorgang auch außerhalb der regulären Buchführung jederzeit nachvollzogen werden können.

Pflichtverletzung durch Unterlassen

Konkret habe es der Vorstand schuldhaft unterlassen, sowohl auf Vorstands-, als auch auf Führungsebene die Verantwortungen für die Umsetzung des Compliance-Systems klar und unmissverständlich zu regeln. Dem Vorstand sei vorzuwerfen, die bestehenden Beraterverträge nicht zentral erfasst zu haben, da auf dieser Informationsgrundlage hätte geprüft werden können, ob Korruptionszahlungen tatsächlich vorlägen. Ebenso hätte darauf hingewirkt werden müssen, den mit der Überwachung der Compliance beauftragten Personen hinreichende Befugnisse einzuräumen, um Konsequenzen aus Verstößen ziehen zu können. Überdies hätte der Vorstand dafür sorgen müssen, sich nach den ersten Verdachtsfällen effektiv und fortlaufend über die Vorgänge in den betroffenen Ländern, interne Ermittlungen und personelle Konsequenzen informieren zu lassen. Zudem habe es der Vorstand pflichtwidrig unterlassen, die Umsetzung der getroffenen Regelungen („Compliance im Wettbewerb“) zu überprüfen und sich auch hierüber fortlaufend informieren zu lassen. Stattdessen habe er bei Bekanntwerden korruptionsverdächtiger Sachverhalte bloße „Lippenbekenntnisse“ abgegeben und gebotenes Handeln verzögert.

Gesamtverantwortung vs Ressortverantwortung

Der Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, die Einrichtung und Kontrolle eines wirksamen Compliance-Systems sei nicht in seine Ressortverantwortung gefallen. Aufgabe des Gesamtvorstandes – und damit auch des Beklagten – sei es jedenfalls zu überprüfen, ob das implementierte System geeignet ist, Verstöße gegen zwingendes Gesetzesrecht zu unterbinden. Diese Überwachungspflicht habe der Beklagte verletzt. Gerade das wiederholte Auftreten von Gesetzesverstößen oder zumindest gravierender Verdachtsmomente im Zusammenhang mit Korruptionsfällen im Ausland zeige, dass das bisherige System nicht ausgereicht habe.

Ferner führt das Gericht aus, der bestehende Schadensersatzanspruch der Klägerin sei auch nicht verjährt. Die 5-jährige Verjährungsfrist beginne mit dem Ende der pflichtwidrigen Maßnahme. Beim – hier vorliegenden – vorwerfbaren Unterlassen beginne die Frist entsprechend erst dann zu laufen, wenn die Nachholbarkeit der gebotenen Handlung ende.

Beurteilung und Folgen für die Praxis

Die Entscheidung präzisiert in strukturierter und anschaulicher Weise die Anforderungen an ein Compliance-System. In Übereinstimmung mit der Literatur verwirft das Gericht auch das – empirisch womöglich nicht unbegründete – Verteidigungsvorbringen des Vorstandes, grenzüberschreitende Schmiergeldzahlungen seien fallbezogen gerechtfertigt, da andernfalls wirtschaftliche Erfolge auf korruptiven Auslandsmärkten unmöglich würden.

Das Gericht leitet die – recht hohen – Anforderungen, jeden Zahlungsvorgang auch außerhalb der regulären Buchführung jederzeit nachvollziehen zu können, aus der Anwendung der US-amerikanischen Foreign Corrupt Practices Act ab. Diese Vorschrift war im konkreten Fall aufgrund des Engagements in den US-amerikanischen Kapitalmärkten anwendbar. Bei deutschen KMUs, die sich nicht an ausländischen – insbesondere nicht an den detailliert regulierten US-amerikanischen – Kapitalmärkten engagieren, wird dieser normative Maßstab konsequenterweise nicht anwendbar und damit im Ergebnis abzusenken sein.

„Zwischen den Zeilen“ gibt das Gericht zu erkennen, dass eine rasche und entschlossene Reaktion des Vorstandes bei Einführung und Nachbesserung des Compliance-Systems essentiell für pflichtgemäßes Verhalten ist.

Den Vorständen von Aktiengesellschaften werden mit dieser Entscheidung verlässliche Indizien für die angemessene Ausgestaltung ihres Compliance-Systems an die Hand gegeben. Die Entscheidung liegt damit auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung, die die Mindestanforderungen an das vom Vorstand einzurichtende Compliance-System ist zunehmend verschärft.

Mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung verwirft das Gericht auch den Versuch des Vorstandes, sich mit Verweis auf seine begrenzte Ressortverantwortung zu exkulpieren. Demzufolge befreit eine – gesellschaftsintern vereinbarte – Ressortaufteilung beim mehrgliedrigen Vorstand die übrigen Vorstandsmitglieder nicht von ihrer Verantwortung für die gesamte Geschäftsführung. Vielmehr wandelt sich die allgemeine Sorgfaltspflicht in eine Überwachungspflicht (sog. Restverantwortung). Die übrigen Vorstandsmitglieder bleiben verpflichtet, den Gang der dortigen Geschäfte über die Ressortgrenzen hinweg fortlaufend zu beobachten. Liegen – wie hier – konkrete Verdachtsmomente auf Missstände im Compliance-System vor, müssen sie nachfragen, sich hilfsweise eigene Information beschaffen und aktiv auf ein funktionstüchtiges Compliance-System hinwirken.

Beachtlich ist das Urteil auch mit Blick auf den Beginn der Verjährung des Ersatzanspruches. Anders als bei der regelmäßigen Verjährung ist der Verjährungsbeginn hier nicht an die Kenntnis des Vorstandes über die anpruchsbegründenden Tatsachen geknüpft. Maßgeblich ist vielmehr die Entstehung des Anspruchs (§ 200 BGB), um den Vorständen Rechtssicherheit zu gewähren. Beim pflichtwidrigen Unterlassen werden mehrere Anknüpfungszeitpunkte für den Verjährungsbeginn diskutiert – der Zeitpunkt, in dem der Vorstand spätestens hätte handeln müssen; der Zeitpunkt, in dem er spätestens hätte handeln können; der Zeitpunkt des Schadenseintritts. Das LG München entschied sich für den Zeitpunkt, in dem der Vorstand spätestens hätte handeln können und folgt damit – auf der Linie der übrigen Rechtsprechung – einem vermittelnden Lösungsansatz. Das erscheint sachgerecht. Hätte das Gericht auf den Schadenseintritt abgestellt, würde die Rechtssicherheit bei der Verjährung ausgehöhlt, weil Schäden erst Jahre später entstehen können, wenn der Vorstand nicht mehr handeln kann.

Die Entwicklung bei dem schwierigen Regelungskomplex der Anforderungen an das Compliance-System und der flankierenden Vorstandshaftung ist weiter im Fluss und bleibt spannend. Auch in diesem Verfahren wurde Revision vor dem OLG München eingelegt (Az: 7 U 113/14). Das OLG wird zu überprüfen haben, ob der vom Landgericht angewandte Haftungsmaßstab auch und gerade beim Unterlassen gelten soll. Zum Applaudieren ist es bei der hier besprochenen Entscheidung noch zu früh. Wir werden erst in einigen Jahren beurteilen können, ob diese Rechtsprechung Missstände in Unternehmen wirklich unterbindet oder zum Schluss doch nur ein gerade in mehrgliedrigen Konzernen nicht selten anzutreffendes Verhalten fördert, bei dem das Dokumentieren von Entscheidungsprozessen und damit das Wie der Entscheidungsfindung den konkreten Inhalt der Entscheidung (das "Ob") zu verdrängen droht. Das wäre eine langfristig teuer erkaufte "schöne neue (Compliance-)Welt".

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