Urlaubsabgeltung bei lang anhaltender Arbeitsunfähigkeit, hier: Schwerbehindertenzusatzurlaub und Tarifurlaub

29.07.2010

[] Der Anspruch auf Schwerbehindertenzusatzurlaub teilt das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs. Er erlischt deshalb ebenfalls nicht, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub deshalb nicht in Anspruch nehmen konnte, weil er bis zum Ende des Urlaubsjahres und / oder des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt ist. Etwas anderes kann jedoch für tarifliche oder einzelvertragliche Urlaubsansprüche gelten, die über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehen.

Regelt der zugrunde liegende Tarifvertrag, dass nicht in Anspruch genommener tariflicher Urlaub nur während eines konkreten Übertragungszeitraums genommen werden kann, so erlischt der tarifliche Urlaubsanspruch auch dann, wenn er wegen Krankheit in diesem Übertragungszeitraum nicht erfüllt werden kann (BAG, Urteil vom 23.3.2010 - 9 AZR 128/09).

Entscheidung

Im vergangenen Jahr hatte das Bundesarbeitsgericht im Anschluss an das Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Januar 2009 seine bisherige Rechtsprechung zum Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit geändert. Nunmehr verfallen die gesetzlichen Mindesturlaubsansprüche nicht mehr am 31. März des Folgejahres, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub bis dahin krankheitsbedingt nicht in Anspruch nehmen konnte.

Die Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht nun erwartungsgemäß auch auf den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Arbeitnehmer übertragen. Diese Urlaubsansprüche verfallen daher zum Ende des Übertragungszeitraumes nicht, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub in Folge von Krankheit nicht in Anspruch nehmen konnte. Für den Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach mehrjähriger durchgehender Erkrankung des Arbeitnehmers kann dies zu Ansprüchen auf Abgeltung noch offener Urlaubsansprüche in erheblicher Höhe führen.

Das Bundesarbeitsgericht hat aber klargestellt, dass dies nicht zwingend auch für die über die gesetzlichen Mindestansprüche hinausgehenden, tariflich oder einzelvertraglich begründeten Urlaubsansprüche gelten muss. Vielmehr sind die Parteien frei zu bestimmen, ob der tarifliche oder vertragliche Urlaubsanspruch bei langandauernder Krankheit erlöschen oder fortbestehen soll. Fehlt in einem Tarifvertrag hierzu eine ausdrückliche Regelung, genügt es, wenn dies dem Tarifvertrag im Wege der Auslegung entnommen werden kann. Im konkreten Fall hatten die Tarifparteien im Tarifvertrag einen Übertragungszeitraum für den Tarifurlaub definiert, mit dessen Ablauf die tariflichen Urlaubsansprüche verfallen sollten. Eine gesonderte Regelung für Fälle langandauernder Erkrankung enthielt der Tarifvertrag nicht. Aus der Vereinbarung eines nicht weiter eingeschränkten Übertragungszeitraums leitete das Bundesarbeitsgericht aber den eindeutigen Willen der Tarifvertragsparteien ab, dass die Ansprüche auch dann verfallen sollten, wenn der Urlaubsanspruch wegen Krankheit nicht erfüllt werden konnte.

Anmerkung

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, mit welcher die neue Rechtsprechung auch auf den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen übertragen wurde, wurde zwar erwartet, war jedoch von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht vorgegeben. Der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen ist nicht Bestandteil des von der europäischen Arbeitszeitrichtlinie gewährten „Mindesturlaubs", weshalb die zu diesem Mindesturlaub ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht zwingend auf den Zusatzurlaub schwerbehinderter Arbeitnehmer zu übertragen war. Das Bundesarbeitsgericht hat aber die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Grundsätze dahingehend verallgemeinert, dass nicht nur der europarechtlich gewährte Mindesturlaub, sondern jeglicher gesetzlich gewährte Mindesturlaub im Falle einer lang andauernden Krankheit nicht dem Verfall unterliegen soll. Rechtlich zwingend war dies freilich nicht, da die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus europarechtlichen Erwägungen einen Verfall des in der europäischen Richtlinie vorgesehenen Mindesturlaubsanspruchs ausgeschlossen hatte.

Hingegen räumt das Bundesarbeitsgericht zutreffend den Tarifparteien für tarifliche und den Arbeitsvertragsparteien für einzelvertragliche Urlaubsansprüche einen Gestaltungsspielraum ein und zeigt sich bei der Auslegung bereits bestehender Regelungen zu Recht großzügig.

Sowohl in der Entscheidung vom 23. März 2010 als auch in der Entscheidung vom 24. März 2009 stellt das Bundesarbeitsgericht klar, dass über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus gehende Ansprüche auch bei lang andauernder Krankheit dem Verfall unterliegen können, sofern dies entsprechend vereinbart worden ist. Dies bedeutet, dass bei der Gestaltung von Arbeits- und Tarifverträgen darauf zu achten ist, nach Möglichkeit ausdrückliche Regelungen hinsichtlich des Verfalls von Urlaubsansprüchen, die über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehend gewährt werden, aufzunehmen. Aufgrund der AGB-rechtlichen Prüfung von Arbeitsverträgen ist hierbei Wert auf eine hinreichend klare und unmissverständliche Formulierung zu legen, um eine Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Klausel wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot zu vermeiden.

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