Darf eine Gewerkschaft im Betrieb für sich werben?

08.04.2009

[] Als Bestandteil der in Art. 9 Abs. 3 GG verbürgten Koalitionsfreiheit ist auch das Recht der Gewerkschaften auf ihre „koalitionsmäßige Betätigung" verfassungsrechtlich geschützt. Aus dieser Betätigungsfreiheit leitet sich u. a. die Befugnis der Gewerkschaften ab, auch innerhalb einzelner Betriebe um neue Mitglieder zu werben.

Eine gesetzliche Regelung, welche Werbemaßnahmen im Einzelnen zulässig sind, existiert jedoch nicht. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen sind für die Zulässigkeit einer Werbemaßnahme stets die jeweiligen Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Dabei steht die Zulässigkeit innerbetrieblicher Werbemaßnahmen generell unter dem Vorbehalt, dass sie weder das Interesse des Arbeitgebers an einem störungsfreien Arbeitsablauf und der Wahrung des Betriebsfriedens noch bestehende Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteressen beeinträchtigen darf. Die gewerkschaftlichen Werbemaßnahmen dürfen zwar nicht auf ein unerlässliches Mindestmaß beschränkt werden, müssen jedoch stets berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rechnung tragen. Auch müssen die Rechte der umworbenen Arbeitnehmer gewahrt werden, weshalb Gewerkschaftsmitglieder ihre Kollegen selbstverständlich nicht um einen Beitritt „bedrängen" dürfen.

Urteile des BAG

Vor dem Hintergrund der insgesamt nur wenig trennscharfen Grundsätze der Rechtsprechung sind die Grenzen zulässiger Werbemaßnahmen von Einzelfallkasuistik geprägt. Dieser hat das Bundesarbeitsgericht kürzlich ein weiteres Judikat hinzugefügt (Urteil vom 20. Januar 2009, Az.: 1 AZR 515/08). Danach darf eine tarifzuständige Gewerkschaft Werbung und sonstige Informationen auch an betriebliche E-Mail-Adressen von Arbeitnehmern versenden. Dies gilt nach dem Bundesarbeitsgericht auch dann, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern den Gebrauch der E-Mail-Adressen zu privaten Zwecken ausdrücklich untersagt hat. Erst wenn der E-Mail-Versand zu nennenswerten Betriebsablaufstörungen oder spürbaren, der Gewerkschaft zuzurechnenden wirtschaftlichen Belastungen führt, könne der Arbeitgeber von der Gewerkschaft Unterlassung verlangen.

In einer Entscheidung vom 23. September 1986 hatte es das Bundesarbeitsgericht hingegen nicht vom Betätigungsrecht der Gewerkschaft abgedeckt angesehen, wenn diese ein betriebs-internes Postverteilungssystem nutzt, um darüber gewerkschaftliche Werbesendungen an die Arbeitnehmer zu verteilen. Zwar betonte das Bundesarbeitsgericht auch damals, dass die Gewerkschaften grundsätzlich zu innerbetrieblicher Werbung berechtigt seien. Allerdings gelte dies nur insoweit, wie hierbei weder auf das Eigentum des Arbeitgebers noch auf seine personellen Mittel zurückgegriffen werde. Da die Gewerkschaft aber die Arbeitskraft der in der Postverteilungsstelle tätigen Arbeitnehmer in Anspruch genommen hatte, war die Werbemaßnahme unzulässig.

Der technische Fortschritt kommt den Gewerkschaften damit zugute: da Versand und Empfang von E-Mails in normalem Umfang regelmäßig weder besondere Kosten noch Betriebsablauf-störungen verursachen, haben sich die Werbemöglichkeiten insofern erweitert. Die Gewerkschaft darf nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts die betrieblichen E-Mail-Adressen nut-zen, um jeden Arbeitnehmer eines Betriebs leicht zu erreichen und um per E-Mail um seinen Eintritt zu werben.

Werbemaßnahmen der Gewerkschaften sind aber nicht auf Postsendungen oder Werbe-E-Mails beschränkt. Vielmehr können die Gewerkschaften grundsätzlich auch ein Recht auf Zutritt zum Betrieb geltend machen, um „vor Ort" persönlich für die Mitgliedschaft zu werben. Unerheblich ist dabei, ob die Gewerkschaft unter der Belegschaft bereits durch Mitglieder vertreten ist. Nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Februar 2006 darf die Gewerkschaft außerdem auch betriebsexterne Gewerkschaftsmitglieder in einen Betrieb entsenden, um dort – etwa durch Verteilen der Gewerkschaftszeitung oder sonstiger Informationsschriften – für sich zu werben. Stets muss aber gewährleistet bleiben, dass die Werbemaßnahme den Arbeitsablauf nicht beeinträchtigt oder stört. Der Arbeitgeber kann es der Gewerkschaft daher untersagen, Werbematerial durch betriebsangehörige Arbeitnehmer während der Arbeitszeit verteilen zu lassen.

Die Grenzen des zulässigen sind auch überschritten, wenn arbeitgeberseitig zur Verfügung gestellte Schutzhelme mit Werbe-Aufklebern einer Gewerkschaft versehen werden, da hierbei Eigentum des Arbeitgebers in Anspruch genommen wird. Hingegen darf die Gewerkschaft an einer zur Kommunikation vorgesehenen Stelle im Betrieb („schwarzes Brett") Werbeplakate anbringen. Eine inhaltliche Überschreitung der Grenzen zulässiger Gewerkschaftswerbung stellt es dar, wenn Aussagen zu allgemeinen politischen Fragen getroffen werden, die mit der Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Gewerkschaften sind daher auch nicht dazu befugt, im Vorfeld einer allgemeinen politischen Wahl im Betrieb Werbung für eine ihr nahestehende Partei zu betreiben. Bei bevorstehenden Betriebsratswahlen hingegen dürfen sie in den Wahlkampf eingreifen und „ihre" Kandidaten gezielt unterstützen.

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