Die Produktrisiken eines Prototypen – Nichterprobung schützt vor Haftung nicht

15.06.2018

Sören Rettig, LL.M.

Die Produktion innovativer Produkte erfordert von den Entwicklern und Herstellern längst nicht nur den Einsatz technischen und betriebswirtschaftlichen Know-Hows. Sie müssen neben diesen Kernkompetenzen der Produktherstellung auch die Anforderungen der immer vielfältigeren rechtlichen Rahmenbedingungen kennen und diese in ihren Geschäftsplanungen berücksichtigen. Jeder Unternehmensgründer wird sich frühzeitig mit Fragen etwa des Gesellschafts- und Arbeitsrechts oder der Finanzierung seiner Entwicklung und Produktion beschäftigen. In der Praxis zeigt sich daher auch, dass gerade junge Unternehmen und Start-Ups regelmäßig Beratungen gezielt zu diesen „klassischen Themen“, die den Rahmen der Entwicklungs- und Herstellungsarbeit des Produktes setzen, suchen.

Nicht selten wird dabei außer Acht gelassen, dass nicht nur für „das Unternehmen“ und dessen Organisation rechtliche Rahmenbedingungen bestehen, sondern dass auch das Produkt selbst besonderen Anforderungen genügen muss, bevor es „compliant“ in den Verkehr gebracht werden darf. Zudem zeigen viele Anfragen, dass nicht selten Fehlvorstellungen über die Möglichkeiten eines Herstellers vorherrschen, die Haftung für etwaige Produktfehler, insbesondere für noch nicht hinreichend getestete „Prototypen“ ausschließen zu können.

Geradezu ein „Klassiker“ in der Praxis ist der regelmäßig wiederkehrende Wunsch nach dem haftungsfreien Inverkehrbringens eines Prototypen, was gleich mehrere wesentliche Eckpunkte des Produktsicherheitsrechts sowie der Produkt- und Produzentenhaftung berührt. Zudem handelt es sich hierbei um Risiken, für die in dem Standardmodell der Produkthaftpflichtversicherung kein Versicherungsschutz besteht.

I. Das Produktsicherheitsrecht und der Prototyp

Ein häufig anzutreffendes Szenario sieht wie folgt aus: Nach der erfolgreichen Unternehmensgründung und der Sicherung der Finanzierung werden schließlich Prototypen des finalen Produkts hergestellt. In einem nächsten Schritt auf dem Weg zur Marktreife sollen diese nun getestet werden. Hierfür fehlt es jedoch entweder an eigenen Kapazitäten oder aber man ist von Anfang an an „Livedaten“ aus dem Betrieb in einer möglichst dem finalen Einsatzort entsprechenden Umgebung, sprich bei dem Kunden, interessiert. Eine CE-Zertifizierung ist jedoch nicht erfolgt oder auch gar nicht in Betracht gezogen worden.

Hierbei ist jedoch § 7 Abs. 2 Nr. 2 des Produktsicherheitsgesetztes (ProdSG) zu beachten, wonach es verboten ist, ein Produkt auf dem Markt bereitzustellen, das keine erforderliche CE-Kennzeichnung aufweist. Ob eine solche erforderlich ist, richtet sich etwa nach dem guten Dutzend gemäß § 8 ProdSG ergangenen Verordnungen, wie etwa der Niederspannungsrichtlinie, der Maschinenrichtlinie oder der Spielzeugrichtlinie. Das Erfordernis einer CE-Kennzeichnung kann sich aber auch aus anderen Vorschriften ergeben, wie etwa aus § 12 der für Elektro- und Elektronikgeräte zu beachtenden ElektroStoffV. Ob das Produkt in den Anwendungsbereich derartiger Vorschriften fällt, muss daher anhand der technischen Spezifikationen des Produktes geprüft werden. Dies ist auch deshalb wichtig, da sich aus einer einschlägigen Sonderregelung möglicherweise weitere, bislang unbedachte Pflichten ergeben können. So besteht für bestimmte Elektronikgeräte etwa eine Registrierungspflicht bei der Stiftung ear mitsamt regelmäßigen Berichtspflichten und der Pflicht zur jährlichen Vorlage einer insolvenzsicheren Sicherheit für die Entsorgung der Produkte.

Dass das Produkt bislang lediglich als Prototyp existiert ändert hieran nichts. Der Produktbegriff des ProdSG erfasst gemäß der weiten Begriffsbestimmungen des § 2 Nr. 22 ProdSG alle Waren, Stoffe oder Zubereitungen, die durch einen Fertigungsprozess hergestellt wurden. Hierunter fallen auch Prototypen, Vorserien- oder Nullserienmodelle, aber auch einzelne Komponenten, wenn sie nur durch einen Fertigungsprozess hergestellt wurden.

Auch das Merkmal des „Bereitstellens auf dem Markt“ ist gemäß § 2 Nr. 4 ProdSG weit definiert. Hierunter fällt jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts auf dem Markt der Europäischen Union im Rahmen einer Geschäftstätigkeit zum Vertrieb, Verbrauch, aber auch zur reinen Verwendung.

Ein Verstoß gegen die Vorgabe der CE-Kennzeichnung ist gemäß § 39 Abs. 2, 1 Nr. 6 ProdSG mit EUR 10.000 bußgeldbewehrt. Bestimmte Verstöße gegen einschlägige Rechtsverordnungen können zudem gemäß § 39 Abs. 2, 1 Nr. 7 a) ProdSG zu einem Bußgeld von bis zu EUR 100.000 oder gemäß § 40 ProdSG sogar zu einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr führen.

Ob das Produkt einer CE-Kennzeichnung bedarf sollte daher frühzeitig einer Prüfung unterzogen werden.

II. Der Hersteller und die Haftungsfreizeichnung

In der Praxis wird das oben unter I. dargestellte Beispiel häufig um den (nachvollziehbaren) Wunsch des Herstellers erweitert, mangels eigener bisheriger Erfahrungen im „Livebetrieb“ für etwaige Schäden durch das Produkt nicht haften zu wollen. Rechtlich gewünscht ist also eine Freizeichnung insbesondere von der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz sowie der deliktischen Produzentenhaftung aus § 823 BGB.

Gemäß § 1 ProdHaftG muss ein Hersteller für Rechtsgutsverletzungen einstehen, die durch den Fehler eines Produktes verursacht werden. Hierbei besteht im Wesentlichen ein Gleichlauf zwischen den oben dargestellten weiten Begrifflichkeiten aus dem öffentlichen Produktsicherheitsrecht und denen des privaten Haftungsrechts, so dass sich der Hersteller auch in dieser Hinsicht regelmäßig nicht mit dem bloßen Verweis auf die „Prototypeneigenschaft“ eines Produktes wird exkulpieren können. Dies ist auch nicht durch eine entsprechend begünstigende Vertragsgestaltung möglich. Der Gesetzgeber hat in § 14 ProdHaftG ausdrücklich angeordnet, dass sämtliche Beschränkungen der Ersatzpflicht des Herstellers im Vorfeld eines Schadens nichtig sind.

Im Rahmen der deliktischen Produzentenhaftung muss der Hersteller dagegen für Fehler in seinem Betriebsablauf einstehen, die etwa dazu führen, dass der Kunde fehlerhaft instruiert wurde, das Produkt von Anfang an fehlerhaft konstruiert oder im konkreten Fall mangelhaft produziert wurde. Zwar sieht das Gesetz keine dem § 14 ProdHaftG entsprechende Regelung vor, auch in diesem Zusammenhang bestehen aber gegen die Haftungsfreizeichnung jedenfalls durch Allgemeine Geschäftsbedingungen vor allem im Verhältnis zu Verbrauchern rechtliche Bedenken. Im Verhältnis zu anderen Unternehmern kann eine Haftungsbegrenzung jedoch durch eine entsprechende Vertragsgestaltung erreicht werden.

Für die Risikobewertung ist zudem relevant, dass derartige Haftungsrisiken durch die sogenannte „Erprobungs- oder Experimentierklausel“ der Ziffer 6.2.5 des verbreiteten Produkthaftpflicht-Modells von dem Deckungsumfang einer Produkthaftpflichtversicherung ausgeschlossen sein können. Risiken der Produktentwicklung verbleiben danach auch versicherungsrechtlich regelmäßig bei dem Hersteller als Versicherungsnehmer.

III. Fazit

Der Wunsch vieler Hersteller, ihre Produkte möglichst ohne zusätzlichen rechtlich getriebenen Aufwand in den Verkehr zu bringen ist ebenso verständliche wie der Wunsch, gerade bei neuen Produkten, bei denen eine Aussage über die Zuverlässigkeit und Fehleranfälligkeit regelmäßig nicht ohne Erfahrungen aus dem Langzeitbetrieb möglich ist, die Haftungsrisiken gering zu halten. Jedoch ist der gesetzliche Spielraum häufig erheblich enger gesteckt ist, als der Hersteller sich dies zunächst vorgestellt hatte. Die frühzeitige Identifizierung rechtlicher Herausforderungen ist daher mittlerweile ebenso wie die Lösung rein technischer Probleme Bestandteil einer Produktentwicklung. Da produktsicherheitsrechtliche Sondervorschriften häufig an technische Spezifikationen anknüpfen, lassen sich so womöglich auch rechtzeitig die richtigen Weichen stellen, um unerwarteten Mehraufwand zu einem späteren (und immer ungünstigen) Zeitpunkt zu vermeiden.

In haftungsrechtlicher Hinsicht müssen Hersteller dagegen einkalkulieren, dass sie sich von gewissen Haftungsrisiken insbesondere gegenüber Verbrauchern kaum werden freizeichnen können. Eine Überwälzung des Produktentwicklungsrisikos auf einen Produkthaftpflichtversicherer ist häufig ebenso wenig möglich. Eine rechtliche und technische Risikobewertung führt jedoch oftmals zu einer Beschreibung möglicher Risikoszenarien, die eine etwa kalkulatorische Berücksichtigung ermöglichen. In geschäftlichen Beziehungen zu Unternehmen besteht jedoch Raum für eine Begrenzung dieses Risikos.

Sowohl in öffentlich-rechtlicher als auch in privatrechtlicher Hinsicht steht ein Hersteller somit regelmäßig vor teilweise grundsätzlichen Fragestellungen, die eine vertiefte rechtliche Auseinandersetzung sowohl mit dem Produkt als auch mit dessen gesetzlichen Rahmenbedingungen erfordert. Hierbei unterstützen wir Sie gerne.

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