Manuelle Arbeitszeiterfassung - Stets mitbestimmungsfrei?

11.01.2018

Dr. Hagen Strippelmann

In der heutigen Zeit erfolgt eine Kontrolle der Arbeitszeit in der Regel entweder elektronisch, was gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt, oder überhaupt nicht. Für den Fall aber, dass sich ein Arbeitgeber mit dem bei ihm eingerichteten Betriebsrat nicht in zufriedenstellender Weise auf die Anwendung eines elektronischen Zeiterfassungssystems einigen kann, ist an eine manuelle Arbeits- und Anwesenheitszeiterfassung zu denken. Diese ist nach einer Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 22. März 2017 (Az.: 23 TaBVGa 292/17) mitbestimmungsfrei.

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin betreibt in Berlin zwei Callcenter, die von mehreren Teamleitern betreut werden. Vor Gründung des Betriebsrats wurden die Anwesenheitszeiten der Arbeitnehmer an beiden Standorten ohne Berücksichtigung von Pausen elektronisch erfasst. Nach Konstituierung des Betriebsrats vereinbarten die Betriebsparteien die Abschaffung der automatisierten Anwesenheitserfassung. Nach deren Abschaltung wurden jedoch auf Anweisung der Arbeitgeberin der tatsächliche Schichtbeginn und das tatsächliche Schichtende der Arbeitnehmer händisch in Laufzettel eingetragen.

Die genaue Handhabung der Eintragung unterschied sich je nach Teamleiter. Während zwei Teamleiter die Anwesenheitszeiten von den von ihnen betreuten Arbeitnehmern selbst in die Laufzettel eintragen ließen, wies ein Teamleiter seine Mitarbeiter an, sich pünktlich zu Beginn und Ende der Schicht beim Vorgesetzten zu melden, der die Eintragungen über Beginn und Ende der Schicht sodann selbst vornahm. Die Arbeitgeberin beteiligte den Betriebsrat hinsichtlich der Maßnahme nicht. Dieser verlangte von der Arbeitgeberin vergeblich, die Dokumentation der Anwesenheitszeiten zu unterlassen.

Entscheidung

Das daraufhin vom Betriebsrat angestrengte einstweilige Verfügungsverfahren hatte keinen Erfolg. Wie schon in erster Instanz das Arbeitsgericht Berlin verneinte das LAG Berlin-Brandenburg einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats. Ein solcher setze voraus, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats durch eine Maßnahme des Arbeitgebers verletzt sei. Dies sei bei der Anweisung zur händischen Eintragung der Anwesenheitszeiten jedoch nicht der Fall.

Insbesondere bestehe kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, das bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb gegeben sei, soweit keine gesetzliche oder tarifliche Regelung bestehe. Mitbestimmungspflichtig sei nämlich lediglich das sogenannte Ordnungsverhalten, dessen Gegenstand das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer sei. Eine diesbezügliche Mitbestimmung des Betriebsrats gewährleiste, dass die Arbeitnehmer gleichberechtigt an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens teilhätten.

Die vorliegende manuelle Zeiterfassung betreffe jedoch nicht das Ordnungs-, sondern das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten, bei dem die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und abgefragt werde. Die manuelle Zeiterfassung diene ausschließlich der Feststellung der Erfüllung der vorgegebenen Arbeitszeiten hinsichtlich Beginn und Ende. Für die Unterscheidung von Ordnungs- und Arbeitsverhalten sei insbesondere nicht maßgeblich, ob die Arbeitnehmer bei der manuellen Erfassung der Arbeitszeit mitwirkten und dass Anwesenheitszeiten nicht zwingend auch Arbeitszeiten seien.

Anmerkung

Die Entscheidung ist zwar grundsätzlich erfreulich. Sie ruft eine praktikable Methode in Erinnerung, die beispielsweise während lang andauernder Verhandlungen mit dem Betriebsrat in der Einigungsstelle über die Einführung automatischer Zeiterfassungssysteme eine Anwesenheits- und Arbeitszeiterfassung mitbestimmungsfrei ermöglicht.

Jedoch sollten Arbeitgeber, die die Einführung einer manuellen Zeiterfassung ohne Beteiligung des Betriebsrats planen, ihrem Vorhaben den hier besprochenen Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg nicht uneingeschränkt zugrunde legen. In Rechtsprechung (BAG vom 9. Dezember 1980, Az.: 1 ABR 1/78) und Literatur ist nämlich anerkannt, dass die Führung von Anwesenheitslisten der Mitbestimmung unterliegt, wenn sich die Arbeitnehmer bei Verspätung zur Eintragung in die Liste beim Listenführer melden müssen. Dies diene der Pünktlichkeitskontrolle. Vorliegend ordnete jedenfalls ein Teamführer gegenüber seinen Mitarbeitern ein ähnliches Vorgehen an, nämlich eine Meldung jeweils pünktlich zu Schichtbeginn und -ende beim Vorgesetzten, damit dieser die Eintragung der Anwesenheitszeiten selbst vornehmen konnte. Diese Anordnung dient letztlich ebenfalls einer Pünktlichkeitskontrolle. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass ein anderes Arbeitsgericht bei vergleichbarer Vorgehensweise des Arbeitgebers eine Mitbestimmungspflicht wegen einer das Ordnungsverhalten betreffenden Maßnahme bejahte.

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