Kein Ausschluss der Gewährleistungsrechte trotz Kenntnis vom Mangel vor Vertragsschluss

01.05.2013

[Köln, ] Gemäß § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB sind die Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen, wenn er den Mangel bei Vertragsschluss kennt. Sinn und Zweck dieser Norm ist es, ein widersprüchliches Verhalten des Käufers auszuschließen. Denn grundsätzlich ist ein Käufer in Bezug auf Mängel am Kaufgegenstand jedenfalls dann nicht schutzbedürftig, wenn ihm das Vorhandensein dieses Mangels bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannt ist, da er ebenso vom Vertragsschluss absehen könnte oder den Mangel jedenfalls beim Kaufpreis entsprechend berücksichtigen kann. Maßgeblicher Zeitpunkt ist demnach der Vertragsschluss. Dies ist der Zeitpunkt, in dem das Angebot auf Abschluss des Kaufvertrags angenommen wird. Für sämtliche dem Käufer in diesem Moment bekannte Mängel sind die Mängelrechte des Käufers ausgeschlossen. Sonstige Mängel, die dem Käufer zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt sind, sind hiervon – soweit nicht vertraglich etwas anderes vereinbart wurde – nicht umfasst. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr entschieden, dass im Fall eines gestreckten Vertragsschlusses, d.h. bei zeitlichem Auseinanderfallen von Angebot und Annahme, für den Ausschluss der Mängelrechte des anbietenden Käufers wegen Kenntnis vom Mangel allein der Zeitpunkt des Angebots und nicht – wie der Wortlaut von § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB nahelegt – der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, also die Annahme des Angebots, maßgeblich ist.

Leitsatz

Gibt der Käufer das Angebot für einen Grundstückskaufvertrag ab, das von dem Verkäufer in getrennter Urkunde angenommen wird, kommt es für eine etwaige Kenntnis des Käufers von einem Mangel im Sinne des § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht auf den Zeitpunkt der Annahme des Angebots, sondern auf den Zeitpunkt der Beurkundung seines Angebots an. Das gilt nicht, wenn der Käufer die Weiterleitung seines Angebots selbst hinausgezögert oder wenn er Veranlassung hatte, sich nach Möglichkeiten zu erkundigen, den Eintritt der Bindungswirkung seines Angebots zu verhindern, und rechtzeitig hätte entsprechend tätig werden können (BGH, Urteil vom 15. Juni 2012 – V ZR 198/11).

Sachverhalt

Die Kläger ließen am 24. November 2006 als Käufer ein Angebot an die beklagte Verkäuferin zum Kauf eines mit einem Altbau aus dem Jahr 1920 bebauten Grundstücks notariell beurkunden, wobei das Angebot einen Haftungsausschluss für Sachmängel enthielt. Nach Beurkundung des Angebots besichtigten die Kläger das Anwesen noch mals und erlangten Kenntnis über bestehende Feuchtigkeitsschäden. Erst nach dieser Kenntniserlangung der Kläger von den Feuchtigkeitsschäden übermittelte der Notar der beklagten Verkäuferin am 12. Dezember 2006 das Angebot der Kläger per Telefax. Die Verkäuferin nahm dieses Angebot am 27. Dezember 2006 formgerecht an. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt kannte auch die Verkäuferin die Feuchtigkeitsschäden.

Entscheidung

Der im Kaufvertrag vereinbarte – nur scheinbar eindeutige – Haftungsausschluss ist einschränkend dahingehend auszulegen, dass dieser für den Kaufentschluss eines Käufers wesentliche Mängel nicht erfasst, die der Beklagten als Verkäuferin bei Annahme des Angebots bekannt waren. Der Bundesgerichtshof vertritt insoweit die Auffassung, dass die konkrete Technik des jeweiligen Vertragsschlusses keinen Einfluss auf das geregelte Haftungsrecht habe. Auszugehen sei vielmehr davon, dass die Parteien unabhängig von der gewählten Technik den Vertrag so abschließen wollen, als wenn sie beide zu einer gemeinsamen Verhandlung vor dem Notar zusammen kämen. Dann träfe den Verkäufer die Pflicht, dem Käufer ungefragt verborgene Mängel zu offenbaren, wenn sie für dessen Entschluss von Bedeutung sind. Bei der getrennten Beurkundung von Angebot und Annahme ist für den annehmenden Verkäufer offensichtlich, dass der Käufer den in das Angebot aufgenommenen Haftungsausschluss nicht für solche ihm bei Beurkundung des Angebots unbekannte Mängel gelten lassen will, die der Verkäufer bei Erklärung der Annahme kennt. Die Haftung der beklagten Verkäuferin ist darüber hinaus auch nicht gemäß § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB dadurch ausgeschlossen, dass die Kläger nach Abgabe des Angebots und vor Annahme dieses Angebots von den Feuchtigkeitsschäden Kenntnis erlangt haben. Entgegen dem Wortlaut kommt es nach Ansicht des Bundesgerichtshofs für den Fall, dass die Vertragsparteien einen „gestreckten Vertragsschluss“ wählen, allein auf die Kenntnis des Käufers vom Mangel im Zeitpunkt der Beurkundung seines Angebots an. Seine Kenntnisse im Zeitpunkt der Annahme des Angebots durch den Verkäufer sind hingegen grundsätzlich nicht maßgeblich. Denn der Zweck des § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB, einen Haftungsausschluss nicht für den Fall widersprüchlichen Verhaltens des Käufers gelten zu lassen, wird nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ausgehöhlt, wenn hierfür auch im Falle eines gestreckten Vertragsschlusses auf den späteren Zeitpunkt der Beurkundung der Annahme des Angebots abgestellt würde. Etwas anderes gilt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch dann nicht, wenn der Käufer im Zeitpunkt, in dem er vom Mangel erfährt, seine Vertragserklärung noch nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB widerrufen könnte. Denn in diesem Fall könnte er sich zwar von der Bindung an sein Angebot lösen, hiervon kann er jedoch nur dann Gebrauch machen, wenn er die rechtliche Möglichkeit, sich von seiner Erklärung zu lösen und deren tatsächlichen Voraussetzungen dafür kennt oder wenigstens Veranlassung hat, sich nach beidem zu erkundigen. Einschränkend hat der Bundesgerichtshof hierzu jedoch auch festgestellt, dass dies dann nicht gilt, wenn der Käufer die Versendung seines Angebots an den Verkäufer selbst hinauszögert oder wenn er Veranlassung hatte, sich nach den Möglichkeiten zu erkundigen, den Eintritt der Bindungswirkung seines Angebots zu verhindern und rechtzeitig hätte entsprechend tätig werden können. Denn jedenfalls dann verhielte er sich widersprüchlich.

Anmerkung

Auf den ersten Blick verwundert die Entscheidung. Denn nach dem Wortlaut des § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt es auf die Kenntnis des Käufers bei Vertragsschluss an. Bei einem gestreckten Vertragsschluss wäre daher dem Wortlaut folgend eigentlich die Kenntnis zum Zeitpunkt der Annahme des Angebots maßgeblich. Erst zu diesem Zeitpunkt wird der Vertrag geschlossen. Dies hätte im entschiedenen Fall zur Folge, dass eine Haftung der Beklagten Verkäuferin gemäß § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgeschlossen gewesen wäre, da die Käufer zum Zeitpunkt der Annahme des Angebots bereits Kenntnis von den Feuchtigkeitsschäden hatten. Die am Zweck der Norm orientierte Auslegung des Bundesgerichtshofs ist gleichwohl zu begrüßen. Denn eine allein am Wortlaut orientierte Auslegung würde die Rechte des Käufers über Gebühr einschränken.

Folgen für die Praxis

Für die Praxis zeigt sich einmal mehr, dass der Verkäufer einer Immobilie ihm bekannte Mängel stets im Vorfeld ausreichend und in nachweisbarer Form offenbaren sollte. Nur so kann sichergestellt werden, dass etwaige Rechte des Käufers wegen dieser Mängel tatsächlich ausgeschlossen sind. Als Käufer sollte man hingegen im Fall eines gestreckten Vertragsschlusses nach Kenntniserlangung von einem Mangel das bereits beurkundete Angebot vorsorglich sofort widerrufen und den Notar anweisen, das Angebot nicht dem Verkäufer zuzuleiten.

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