Torkontrolle: Besondere Verhältnismäßigkeit bei Betriebsvereinbarungen betreffend Persönlichkeitsrechte von Mitarbeitern (BAG 1 ABR 2/13 (A))

30.07.2014

Leitsatz

Eine Betriebsvereinbarung, die Mitarbeiter in ihrem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt, muss verhältnismäßig sein. Dies ist der Fall, wenn eine Betriebsvereinbarung Taschenkontrollen (auch von Mantel- und Jackentaschen) am Betriebstor vorsieht, um den Diebstahl kleinräumiger Produktionsgegenstände zu verhindern, vor Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung innerhalb eines Jahres ein Schaden durch entwendete Gegenstände i. H. v. ca. EUR 250.000,00 entstanden war und die Auswahl der - an 30 Tagen im Jahr kontrollierten - Mitarbeiter (hier: 86) durch den Zufallsgenerator erfolgt.

Sachverhalt

Ein Gemeinschaftsunternehmen von mehreren Arbeitgebern (im Folgenden vereinfachend "Arbeitgeber") schloss im Jahr 2009 mit dem zuständigen Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die Durchführung von Torkontrollen ab. In dieser Betriebsvereinbarung war unter anderem geregelt, dass, gerade im Hinblick auf § 32 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), die Durchführung von Torkontrollen erlaubt war. Diese Torkontrollen erstrecken sich auf von Arbeitnehmern mitgeführte Behältnisse, aber auch auf deren Kleidung, insbesondere Jacken- und Manteltaschen. Die Auswahl der zu kontrollierenden Arbeitnehmer fand mittels eines Zufallsgenerators statt. Im Falle des Diebstahlverdachts konnten nach Informationen des Betriebsrats zusätzliche Kontrollen angeordnet werden. Die Ergebnisse der Kontrollen wurden elektronisch gespeichert.

In der Zeit zwischen Oktober 2009 und September 2010 wurden bei dem Arbeitgeber Waren im Wert von insgesamt etwa EUR 250.000,00 entwendet. Auf der Grundlage der dargestellten Betriebsvereinbarung kam es im Zeitraum von einem Jahr an 30 Tagen zu einer Torkontrolle; insgesamt wurden 86 Personen kontrolliert. In mehreren Fällen wurden dabei gestohlene Waren gefunden und Strafanzeige erstattet.

Später erklärte der Betriebsrat (aufgrund inzwischen geänderter Zusammensetzung) die außerordentliche Kündigung der dargestellten Betriebsvereinbarung.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass die dargestellte Betriebsvereinbarung nicht außerordentlich gekündigt werden konnte, weil sie den gesetzlichen Vorgaben des § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG entsprach. Eine ordentliche Kündigung war zum fraglichen Zeitpunkt wegen der in der Betriebsvereinbarung vereinbarten Kündigungsfristen nicht möglich.

Das Bundesarbeitsgericht bekräftigte zunächst seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Betriebsparteien beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beachten haben. Daraus leitet das Bundesarbeitsgericht ab, dass jegliche Betriebsvereinbarung, die in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift, in besonderen Maße verhältnismäßig sein muss. Dies verlangt eine Regelung, die geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der Rechte des Arbeitnehmers angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Insbesondere dürfen den Betriebsparteien zur Zielerreichung keine anderen, gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Im engeren Sinne ist eine Betriebsvereinbarung verhältnismäßig, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der rechtfertigenden Gründe steht. Im Rahmen einer sehr umfangreichen und detaillierten Abwägung kommt das Bundesarbeitsgericht dann zu dem Ergebnis, dass die Regelungen zur Kontrolle von Kleidung und Taschen im vorliegenden Fall verhältnismäßig waren.
 
Weil die Betriebsvereinbarung auch die Protokollierung der Ergebnisse einer Kontrolle vorsah, prüft das Bundesarbeitsgericht darüber hinaus, ob die Betriebsvereinbarung mit § 32 BDSG vereinbar ist. Wäre nur § 32 BDSG Prüfungsmaßstab gewesen, so hätte das Bundesarbeitsgericht eine ganze Reihe von Streitfragen (beispielsweise zur Zulässigkeit von präventiven oder repressiven Maßnahmen) klären müssen. So entschied das Bundesarbeitsgericht jedoch, dass die Betriebsvereinbarung eine Rechtsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 1 BDSG sei. Diese sei daher als verhältnismäßige Regelung zum Schutz des Persönlichkeitsrechts vorrangig gegenüber einer Prüfung des § 32 BDSG.

Anmerkung

Das Bundesarbeitsgericht hat mit dieser Entscheidung noch einmal bekräftigt, dass es Betriebsvereinbarungen für eine Rechtsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 1 BDSG hält. Das bedeutet, dass für in der Betriebsvereinbarung geregelte Datenverarbeitungsvorgänge weder die Einwilligung des Arbeitnehmers noch ein Rückgriff auf die gesetzlichen Regelungen des BDSG, insbesondere den § 32 BDSG, nötig sind. Dies ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil dies in der Literatur immer wieder diskutiert wird (vgl. Gola/Schomerus, BDSG, 11. Auflage 2012, § 4 Rn. 10 mwN). Der Entwurf eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes sah sogar vor, dass von den Vorgaben für den beschäftigten Datenschutz nicht durch eine Betriebsvereinbarung abgewichen werden kann. Da derzeit mit einer "Wiederaufnahme" der Bemühungen um die Regelung der offenen Fragen des beschäftigten Datenschutzes nicht zu rechnen ist, dürfte die Betriebsvereinbarung für absehbare Zeit eine Möglichkeit sein, wie die Betriebsparteien den Datenschutz eigenverantwortlich regeln können.

Sowohl mit Blick auf die hier dargestellte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts als auch mit Blick auf eine weitere Entscheidung (BAG, 2 AZR 546/12 vom 20. Juni 2013) ist zu beachten, dass die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei Betriebsvereinbarungen betreffend den Datenschutz besonders hohe Anforderungen zu stellen sind. Wie die in beiden Fällen detailliert vorgenommene Prüfung des Bundesarbeitsgerichts zeigt, müssen nicht nur unterschiedliche Eingriffsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität miteinander abgewogen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Einzelfallregelungen Anlass und Intensität eines Eingriffs in den Datenschutz miteinander ins Verhältnis bringen. Eine unverhältnismäßige Betriebsvereinbarung stellt keine Grundlage für einen Eingriff des Arbeitgebers in das Persönlichkeitsrecht und die Datenschutzrechte des Mitarbeiters dar; so gewonnene Beweise können vor Gericht nicht verwertet werden. Vor dem Hintergrund dieser neuen, sehr strengen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Betriebsvereinbarungen wird man sich auch auf bereits geschlossene Betriebsvereinbarungen nicht mehr ohne weiteres verlassen können.

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