Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz – Nur ein weiterer „Tropfen auf den heißen Stein“?

Köln, 05.01.2023

Am 20. Oktober 2022 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, kurz GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, verabschiedet. Es stellt das Ergebnis der angekündigten und in letzter Zeit kontrovers diskutierten Finanzreform der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Die Bundesregierung hatte den entsprechenden Gesetzentwurf seinerzeit eingebracht, der letztlich in der vom Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages geänderten Fassung gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen wurde. Gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung sind nach Verhandlungen im Gesundheitsausschuss allerdings noch einige Änderungen eingetreten. Der Bundesrat hat das Gesetz sodann am 28. Oktober 2022 abschließend gebilligt, das Gesetz wurde am 11.11.2022 im Bundesgesetzblatt verkündet und ist größtenteils am darauffolgenden Tag in Kraft getreten. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz betrifft alle Bereiche der gesetzlichen Krankenkassen, darunter die Preisbildung von Arzneimitteln, die Honorare von Ärzten, der Apothekenabschlag und die Finanzreserven der Krankenkassen.

Bekämpfung der Finanzierungslücken im Bereich der GKV

Anlass für das Gesetz bot ein historisches Finanzierungsdefizit im Bereich der GKV in Höhe von 17 Mrd. Euro, das ohne eine Reform wahrscheinlich lediglich durch Leistungskürzungen oder aber drastische Zusatzbeiträge hätte ausgeglichen werden können. Infolge der pandemiebedingten Mehrausgaben, denen keine entsprechend höheren Beitragseinnahmen gegenüberstehen, wuchs seit 2020 eine Finanzierungslücke. Aufgrund des demografischen Wandels und dadurch bedingt in den nächsten Jahren zu erwartender rückläufiger Beschäftigtenzahlen wäre abzusehen gewesen, dass sich diese Finanzierungslücke noch verstärkt hätte. Ziel der Reform war unter anderem, die neuen finanziellen Lasten auf der Einnahmenseite nicht nur den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern aufzuerlegen, sondern auch die gesetzlichen Krankenkassen in Bezug auf ihre Finanzreserven in die Pflicht zu nehmen. Hinzu kommen höhere Bundesmittel. Größere Beitragserhöhungen sind deshalb vorerst verhindert worden.  Auf Ausgabenseite soll insbesondere die Ausgabendynamik im Bereich der Leistungserbringer stabilisiert werden. 

Konkret beinhaltet das Gesetz die folgenden Maßnahmen:

  • Der Zusatzbeitrag für Beitragszahlerinnen und Beitragszahler wird im Durchschnitt steigen, die Prognose des Schätzerkreises der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Schätzerkreis) ging von 0,3 Prozentpunkten aus. Eine Festlegung ist hier jedoch den Krankenkassen vorbehalten, wobei die Ankündigungen zum Jahreswechsel 2022/2023 gezeigt haben, dass sich kein einheitliches Vorgehen der Krankenkassen abzeichnet. 
  • Die Liquiditätsreserven des Gesundheitsfonds werden halbiert, sodass übersteigende Mittel für die Schließung der Finanzierungslücken genutzt werden können. Zur Stabilisierung der Beitragssätze sollen vorhandene Finanzreserven in einem kassenübergreifenden Solidarausgleich eingesetzt werden. Zudem sieht das Gesetz für 2023 eine maximale Erhöhung der Verwaltungsausgaben der GKK um 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr vor. § 4 SGB V wurde um einen entsprechenden Abs. 5 ergänzt werden, wodurch die Kosten für Verwaltungsaufgaben um 25 Mio. Euro gemindert werden sollen.
  • Der Bundeszuschuss zur GKV wird von derzeit 14,5 Mrd. Euro auf 16,5 Mrd. Euro für 2023 erhöht, außerdem gewährt der Bund der GKV für 2023 ein zinsfreies Darlehen i.H.v. 1 Mrd. Euro. Die Anregung des Bundesrates, die zusätzlichen Zuschüsse auf 5 Mrd. Euro zu erhöhen, wurde hingegen abgelehnt.
  • Der Herstellerabschlag wird um 5 Prozentpunkte für das Jahr 2023 erhöht, insbesondere für patentgeschützte Arzneimittel. Außerdem wird der Apothekenabschlag zugunsten der Krankenkassen von 1,77 Euro auf 2 Euro je Arzneimittelpackung (für zwei Jahre, also befristet bis einschließlich 2024) angehoben.
  • Das bereits bestehende Preismoratorium bei Arzneimitteln, das ursprünglich bis zum 31. Dezember 2022 gelten sollte, wird bis Ende 2026 verlängert. Dies dient dem Ziel, erwartete Preissteigerungen zu vermeiden, um so die Ausgaben für Arzneimittel zu stabilisieren.
  • Im Pflegebudget werden ab 2025 nur noch Kosten für qualifizierte Pflegekräfte berücksichtigt, die unmittelbar Patienten auf bettenführenden Stationen versorgen.
  • Vertragsärztliche Leistungen an „Neupatienten“, die noch nie oder nicht innerhalb der letzten zwei Jahre in dieser Praxis behandelt wurden, werden nicht mehr extrabudgetär vergütet. Stattdessen werden neue Vergütungsanreize für schnellere ärztliche Behandlungstermine durch extrabudgetäre Zuschläge bei der Vermittlung durch Terminservicestellen und den Hausarzt eingeführt. 

Änderungsanträge und Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren

Sämtliche Änderungsanträge der Oppositionsfraktionen, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingebracht worden sind, wurden abgelehnt. So forderte beispielsweise die Unionsfraktion ein Soforthilfeprogramm für Krankenhäuser, um die inflationsbedingte finanzielle Schieflage abzufedern. In zahlreichen Stellungnahmen von Experten, Krankenhäusern und Sachverständigen wurde zudem Kritik an den Änderungen geübt. So bezeichnet der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen das Gesetzespaket in seiner Stellungnahme vom 23.09.2022 bloß als „kurzfristige Notmaßnahmen“ (vgl. https://www.gkv-pitzenverband.de/media/dokumente/presse/p_stellungnahmen/20220923_GKV-SV_GKV-FinStG_Stn_final.pdf, zuletzt abgerufen am 05.01.2023). Zielführendere Maßnahmen wären, nach Auffassung des Spitzenverbandes, unter anderem eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel auf sieben Prozent sowie eine Dynamisierung der Bundeszuschüsse auf die jeweils erforderlichen Kosten gewesen (vgl. ebenda). Eine Dynamisierung der Zuschüsse hat die Bundesregierung aber anlässlich eines Vorschlags des Bundesrates ausdrücklich abgelehnt. 

Scharfe Kritik wurde auch dazu geübt, dass das Pflegebudget nur noch qualifizierte Kräfte in bettenführenden Stationen umfassen soll. Das impliziert, dass beispielsweise Hebammen nicht mehr vom Pflegebudget erfasst werden, sondern wieder eine Abrechnung über Fallpauschalen erfolgt. Ihre Dienste wären für die Krankenhäuser dann unter Umständen nicht mehr bezahlbar, so dass ein Risiko besteht, dass ihre Aufgaben von insofern weniger spezialisierten regulären Pflegekräften ausgeübt werden, deren Arbeitskraft dann wiederum an anderer Stelle fehlt. Der Fachkräftemangel im Pflegebereich werde, so die Kritiker, dadurch noch weiter verschärft. Letztlich blieben die kritischen Stimmen aber weitgehend ungehört und fanden keine Berücksichtigung im Gesetzgebungsverfahren.

Leistungskürzungen durch die Hintertür?

Sollten sich die Befürchtungen der Experten und Sachverständigen hinsichtlich einer Verschärfung des Fachkräftemangels bewahrheiten, besteht ein großes Risiko, dass die Konsequenz der Reform jedenfalls mittelbar in einer Einbuße an Qualität der durch die gesetzlichen Krankenkassen erbrachten Leistungen liegt. Zudem schränken die verlängerten Preismoratorien die Handlungsoptionen der Hersteller stellenweise ein. Es wird insofern befürchtet, dass betroffenen Unternehmen sich bei steigenden Produktionskosten gar zu einer Marktrücknahme von Arzneimitteln entschließen könnten. Ob sich diese Risiken tatsächlich realisieren werden und sich das Reformpaket insgesamt als bloßer „Tropfen auf den heißen Stein“ erweist, statt als nachhaltige Hilfestellung für das System der gesetzlichen Krankenversicherung, bleibt jedoch abzuwarten. 

Gerne beraten wir Sie zu allen Fragen rund um das Thema GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, insbesondere im Hinblick auf die Neuregelungen und die damit einhergehenden Auswirkungen auf Ihre unternehmerische Praxis. Sprechen Sie uns bei Bedarf gerne an!

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