Mit dem Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung zeichnen sich einige Vorhaben im Arbeitsrecht ab, die im Falle der Umsetzung für Unternehmen von weitreichender Bedeutung sind. Obwohl viele Details offen geblieben sind, ist bereits erkennbar, in welche Richtung sich das Arbeitsrecht entwickeln soll: Mehr Tarifbindung, mehr Digitalisierung, flexiblere Arbeitszeitmodelle und gezielte Maßnahmen zur Fachkräftesicherung. Im Folgenden geben wir Ihnen einen Überblick über die geplanten Neuerungen.
Gesetzlicher Mindestlohn
Der gesetzliche Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz soll weiterhin von der unabhängigen Mindestlohnkommission festgelegt werden. Künftig soll sich die Kommission dabei im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch am Bruttomedianlohn von Vollzeitbeschäftigten orientieren (angestrebter Wert des gesetzlichen Mindestlohns: 60 Prozent des Bruttomedianlohns). Derzeit liegt der Mindestlohn bei EUR 12,84 brutto pro Stunde.
Die Koalitionspartner halten einen Stundenlohn von EUR 15,- brutto bis 2026 für erreichbar, was eine erhebliche Anhebung darstellen würde. Aufgrund einer Aussage von Friedrich Merz, der „keinen Automatismus“ sehe und die Entscheidungskompetenz der Kommission betont, bleibt es abzuwarten, ob eine so umfangreiche Erhöhung, die in vielen Branchen zu weitreichenden Umwälzungen des Lohngefüges führen würde, schlussendlich Realität wird.
Flexibilisierung der Arbeitszeit: Von der Tages- zur Wochenhöchstgrenze
Die Koalition plant eine Abkehr von der derzeit geltenden täglichen Höchstarbeitszeit zugunsten einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit. Ziel sei es, sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern größere Flexibilität zu ermöglichen. Über die konkrete Ausgestaltung dieses gesetzlichen Arbeitszeitmodells schweigt der Koalitionsvertrag und verweist auf den Dialog mit den Sozialpartnern.
Arbeitszeiterfassung
Die von EuGH und BAG angenommene generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung soll gesetzlich geregelt und in elektronischer Form vorgesehen werden. Dennoch soll die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit möglich bleiben.
Stärkung der Tarifbindung und gewerkschaftliche Zugangsrechte
Die kommende Bundesregierung plant, die Tarifbindung insbesondere durch ein Tariftreuegesetz zu stärken. Im Kern soll die Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes ab einer Auftragshöhe von EUR 50.000,- (für „Start-Ups“ ab EUR 100.000,-) daran geknüpft sein, dass tarifvertragliche Regelungen eingehalten werden. Ein ähnliches Gesetzesvorhaben war bereits von der Ampel-Koalition auf den Weg gebracht worden, scheiterte jedoch.
Des Weiteren ist geplant, eine Gewerkschaftsmitgliedschaft durch steuerliche Vorteile attraktiver zu machen. Außerdem soll Gewerkschaften in Anlehnung an die jüngere BAG-Rechtsprechung ein digitales Zugangsrecht zu den Betrieben gewährt werden, das den bisherigen „analogen" Rechten entspricht.
Digitalisierung der betrieblichen Mitbestimmung
Laut Koalitionsvertrag sollen Online-Betriebsratssitzungen und -versammlungen gesetzlich ermöglicht werden. Derzeit sind digitale Betriebsratssitzungen nur ausnahmsweise unter den (engen) Voraussetzungen des § 30 BetrVG möglich. Ebenso sollen Betriebsratswahlen digital durchgeführt werden können. Unter Digitalisierungsgesichtspunkten sind die Pläne sicherlich zu begrüßen. Zugleich ginge deren Umsetzung mit der Verpflichtung von Arbeitgebern einher, sich technisch und organisatorisch auf die neuen Beteiligungsformate einzustellen. Die nächsten regulären Betriebsratswahlen finden bereits im Jahr 2026 statt.
Anreize für Mehrarbeit und verlängerte Erwerbstätigkeit
Die Bundesregierung beabsichtigt, Mehrarbeitszuschläge für über die maßgebliche Vollzeit hinausgehende Arbeit von der Steuerpflicht auszunehmen. Als Vollzeit soll bei einer tariflichen Regelung eine Mindestarbeitszeit von 34 Wochenstunden gelten, ansonsten von 40 Wochenstunden. Darüber hinaus soll es Arbeitgebern ermöglicht werden, für die Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit finanzielle Anreize zu gewähren. Damit will die Koalition der angespannten Arbeitsmarktlage begegnen und vorhandene Arbeitskraftpotenziale besser ausschöpfen.
Auch sollen finanzielle Anreize zur längeren Erwerbstätigkeit geschaffen werden: Wer über das Renteneintrittsalter hinaus arbeitet, soll künftig bis zu EUR 2.000,- monatlich steuerfrei hinzuverdienen dürfen. Zudem soll das Vorbeschäftigungsverbot für befristete Verträge gemäß § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG gelockert, was eine befristete Weiterbeschäftigung von Rentnerinnen und Rentnern beim bisherigen Arbeitgeber erleichtern würde.
Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge
Die betriebliche Altersversorgung soll durch Digitalisierung, Vereinfachung und mehr Transparenz attraktiver gemacht werden. Auch die Mitnahme bestehender Versorgungsansprüche bei einem Arbeitgeberwechsel (Stichwort: Portabilität, § 4 BetrAVG) soll erleichtert werden. Konkrete Regelungsansätze enthält der Koalitionsvertrag nicht.
Fachkräftesicherung und Erwerbsmigration
Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels hat die Koalition eine Reform der Erwerbsmigration angekündigt. Arbeitsgenehmigungen sollen schneller erteilt und bürokratische Hürden abgebaut werden. Eine neu zu schaffende „Work-and-Stay-Agentur" soll als zentrale digitale Plattform den gesamten Prozess der Fachkräfteanwerbung und -integration bündeln.
Bürokratieabbau und Digitalisierung
Darüber hinaus enthält der Koalitionsvertrag weitere Vorhaben mit dem Ziel, das Arbeitsrecht zu modernisieren. So sollen Schriftformerfordernisse gelockert und möglichst durch digitale Lösungen ersetzt werden.
Schließlich ist geplant, das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz durch ein neues Gesetz zur internationalen Unternehmensverantwortung zu ersetzen, das die EU-Vorgaben möglichst bürokratiearm umsetzt.
Mehr Rechtssicherheit im Sozialversicherungsrecht
Ebenso ist eine Reform des sozialversicherungsrechtlichen Statusfeststellungsverfahrens geplant, um mehr Rechtssicherheit bei der Abgrenzung von selbstständiger und abhängiger Beschäftigung zu schaffen.
Fazit
Insgesamt enthält der Koalitionsvertrag einige aus Arbeitgebersicht begrüßenswerte Ansätze, vor allem in Richtung der Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen und des Abbaus hinderlicher Bürokratie. Einen „großen Wurf“ im Arbeitsrecht lässt der Koalitionsvertrag aber leider nicht erkennen. Auch bleibt die Bundesregierung hinsichtlich der konkreten Umsetzung in vielen Themengebieten vage. Dennoch empfiehlt es sich für Unternehmen bereits jetzt, sich auf die erwartbaren Entwicklungen einzustellen, insbesondere mit Blick auf die erwartbare Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns, die Änderungen bei der Arbeitszeit (-erfassung) sowie im Betriebsverfassungsrecht.