Schadensersatzanspruch des Mieters wegen Vereitelung des gesetzlichen Vorkaufsrechts

07.06.2016

Besprechung zu BGH, Urt. v. 21. Januar 2015 – VIII ZR 51/14

Einführung

Bei der Veräußerung von einzelnen Eigentumswohnungen und auch bei "Paketverkäufen" oder der Veräußerung eines gesamten, in Eigentumswohnungen aufgeteilten Mehrfamilienhauses steht den Mietern beim ersten Verkaufsfall nach der Aufteilung ein gesetzliches Vorkaufsrecht hinsichtlich „ihrer“ Wohnung zu. Voraussetzung ist, dass das Wohnungseigentum erst nach Überlassung der Wohnung an den Mieter begründet wurde.

Aus unterschiedlichen Gründen kommt es in der Praxis immer wieder dazu, dass ein Mieter beim Verkauf nicht hinreichend über sein Vorkaufsrecht unterrichtet und damit letztlich die Ausübung des Vorkaufsrechts vereitelt wird. Der Bundesgerichtshof zeigt in einer vielfach beachteten Entscheidung auf, welche finanziellen Risiken mit einem solchen Vorgehen für den Veräußerer verbunden sein können.

Leitsatz

Sieht der Vermieter pflichtwidrig davon ab, den vorkaufsberechtigten Mieter über den Inhalt des mit einem Dritten über die Mietwohnung abgeschlossenen Kaufvertrags sowie über das Bestehen des Vorkaufsrechts zu unterrichten, so kann der Mieter, der infolgedessen von diesen Umständen erst nach Erfüllung des Kaufvertrags zwischen Vermieter und Drittem Kenntnis erlangt, Ersatz der Differenz von Verkehrswert und Kaufpreis (abzüglich im Falle des Erwerbs der Wohnung angefallener Kosten) verlangen. Dies gilt auch dann, wenn der Mieter sein Vorkaufsrecht nach Kenntniserlangung nicht ausgeübt hat (BGH, Urteil vom 21.01.2015 – VIII ZR 51/14).

Sachverhalt

Die Beklagte veräußerte ihr aus vermieteten Wohnungen bestehendes Mehrfamilienhaus, welches in Wohnungseigentum aufgeteilt war, zu einem Kaufpreis von EUR 1.306.000. Die Klägerin, eine der Mieterinnen, wurde weder über die Veräußerungsabsicht der Beklag- ten noch über den Verkauf informiert. Auch auf ein etwa bestehendes Vorkaufsrecht wurde die Klägerin nicht hingewiesen. Sie erfuhr vom Verkauf des Mehrfamilienhauses erst, nachdem die Erwerberin bereits als neue Eigentümerin im Grundbuch eingetragen war.

Die Erwerberin verkaufte einzelne Wohnungen des Mehrfamilienhauses und bot der Klägerin die von ihr gemietete Wohnung zu einem Kaufpreis von EUR 266.000,00 an. Das Angebot lag damit rund EUR 80.000,00 über dem ursprünglich auf die Wohnung entfallenden Kaufpreisanteil beim Verkauf durch die Beklagte. Diesen Differenzbetrag machte die Klägerin als Schadensersatz gegenüber der Beklagten als ursprünglicher Eigentümerin geltend und berief sich dabei auf die Verletzung des Mietervorkaufsrechts.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof gibt der klagenden Mieterin Recht. Einem Mieter steht nach § 577 Abs. 1 BGB bei der Veräußerung vermieteter Wohnräume, an denen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist, ein gesetzliches Vorkaufs- recht zu. Da das gesetzliche Vorkaufsrecht selbst nicht im Grundbuch eingetragen wird, begründet es keine dingliche Wirkung und kann die Eigentumsübertragung an einen Dritten nicht verhindern. Um dem Mieter die Ausübung seines Vorkaufsrechts zu ermöglichen, ist der Veräußerer daher verpflichtet, dem Mieter den  Inhalt des mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags unverzüglich mitzuteilen sowie ihn über das Bestehen seines gesetzlichen Vorkaufsrechts zu unterrichten.

Verletzt der Veräußerer diese Verpflichtungen, so ist er dem Mieter gegenüber grundsätzlich schadenersatzpflichtig. Der Schadensersatzanspruch umfasst dabei nach Ansicht des Bundesgerichtshofs im vorliegenden Fall auch die Differenz zwischen Verkehrswert der Wohnung und dem mit dem Dritten vereinbarten   Kaufpreisanteil (abzüglich im Falle des tatsächlichen Erwerbs der Wohnung angefallener Kosten).

Dass die Klägerin vorliegend ihr Vorkaufsrecht im Nachhinein nicht ausgeübt hatte, sah der Bundesgerichtshof als nicht relevant an. Da zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch die Käuferin die Erwerberin bereits als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen war, hätte die Beklagte den durch Ausübung des Vorkaufsrechts entstehenden Kaufvertrag nicht mehr erfüllen können und die Klägerin wäre ohnehin „leer ausgegangen“.

Anmerkung

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs wendet für die Vereitelung eines Vorkaufsrechts strikt die Grundsätze des Miet- und Schadensersatzrechts an: Übt ein Mieter das ihm zustehende Vorkaufsrecht aus, so entsteht – neben dem Vertrag mit dem Erwerber – ein weiterer Kaufvertrag. Der Veräußerer kann aber nur einen der beiden Verträge durch Übereignung der Wohnung erfüllen. Im anderen Vertragsverhältnis hingegen wird er möglicherweise schadensersatzpflichtig. Steht aber bereits fest, dass der Veräußerer die Wohnung gar nicht mehr an den Mieter übereignen kann, weil bereits der Erwerber im Grundbuch eingetragen wurde, so muss  der Mieter sein Vorkaufsrecht nicht mehr ausüben,  sondern kann direkt Schadensersatzansprüche geltend machen. Dabei ist grundsätzlich auch entgangener Gewinn des Mieters zu ersetzen.

Bewertung und Auswirkungen für die Praxis

Gerade bei „Paketverkäufen“ mehrerer Wohnungen oder eines gesamten Mehrfamilienhauses werden Mietervorkaufsrechte von den Parteien oft als lästig oder störend empfunden und in Kaufverträgen entsprechend stiefmütterlich behandelt.

Der Bundesgerichtshof zeigt in seiner Entscheidung  aber deutlich den Stellenwert des Mieterschutzes durch das Vorkaufsrecht und die Risiken, die entstehen, wenn Vorkaufsrechte umgangen werden. Unter Umständen können die Schadensersatzansprüche des Mieters den Gewinn des Verkäufers empfindlich schmälern. Daher sollte der Verkäufer stets auf eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Mieters über den Kaufvertrag und das Vorkaufsrechts bestehen und im Vertragsverhältnis zum Dritten ein Rücktrittsrecht für den Fall der Ausübung des Vorkaufsrechts vereinbaren, um etwaige Schadensersatzansprüche des Dritten auszuschließen.

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