Kauf bricht nicht Miete: analoge Anwendung von § 566 Abs. 1 BGB bei fehlender Identität zwischen Vermieter und Veräußerer – der BGH konkretisiert seine Voraussetzungen

Köln, 08.03.2022

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Der Erwerber eines Grundstücks tritt kraft Gesetzes in dafür bestehende Mietverträge ein. Dieser Grundsatz ist essenziell für die Immobilienwirtschaft: Der Erwerber kauft ein Grundstück oft nur wegen der Mieterträge, die dementsprechend wertbestimmend sind, der Mieter möchte unabhängig von einer Veräußerung Mieter des Grundstücks bleiben und der Veräußerer hat kein Interesse an einem Mietvertrag über ein veräußertes Grundstück, da er diesen nicht mehr erfüllen kann. 

Wenn sich alle Parteien kommerziell einig sind und die oben geschilderten Interessen haben, sieht das Gesetz also nur einen Mechanismus vor, den man ohnehin vertraglich vereinbaren würde. Gewicht kommt der gesetzlichen Regelung aber dann zu, wenn eine der Parteien anders gelagerte Interessen hat, insbesondere wenn der Erwerber das Grundstück eigentlich anders nutzen möchte und den „lästigen“ Mietvertrag loswerden will. Insoweit kommt es darauf an, ob der Mietvertrag (auch gegen den Willen eines Beteiligten) kraft Gesetzes übergeht.

Die Identität von Veräußerer und Vermieter

Die Voraussetzungen für den Übergang von Mietverträgen auf Erwerber regelt § 566 Abs. 1 BGB, der für Grundstücke und Gewerberäume nach § 578 GBG entsprechend gilt: „Wird ein Mietgegenstand nach Überlassung an den Mieter von dem Vermieter an einen Dritten veräußert, so tritt der Erwerber anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein.“ Wegen der Formulierung „von dem Vermieter [...] veräußert“ setzt § 566 Abs. 1 BGB voraus, dass Vermieter und Veräußerer – und wohl auch der Eigentümer – grundsätzlich identisch sein müssen. In der Praxis sind die Fälle aber – etwa aus steuerlichen Erwägungen – oftmals komplexer, so dass Veräußerer, Vermieter und Eigentümer drei verschiedene Personen sein können.

Der Bundesgerichtshof hat sich in jüngerer Zeit in einer ganzen Reihe von Entscheidungen mit der Frage beschäftigt, ob und in welchen dieser Konstellationen der Erwerber eines Grundstücks in einen für das Grundstück bestehenden Mietvertrag trotz fehlender Personenidentität gleichwohl in analoger Anwendung von § 566 Abs. 1 BGB eintritt. Die insofern entwickelten Grundsätze hat der BGH mit dem jüngst ergangenen Urteil vom 27. Oktober 2021 (Az.: XII ZR 84/20) nochmals geschärft. Dabei hatte er über folgenden – stark vereinfachten – Sachverhalt zu entscheiden:

Urteil vom 27. Oktober 2021 (Az.: XII ZR 84/20)

Sachverhalt

Das streitgegenständliche Grundstück stand ursprünglich im Eigentum der H-GmbH, die dieses im Jahr 1995 an die P-GmbH veräußerte. Im Rahmen des Grundstückskaufvertrags zwischen H-GmbH und P-GmbH hatten die Parteien einen Rückübertragungsanspruch zugunsten der H-GmbH vereinbart. Diesen Anspruch trat die H-GmbH im Jahr 2002 an die S-GmbH ab. 

Im Jahr 2008 vermietete die S-GmbH (also nicht die Grundstückseigentümerin) das Grundstück mit einer langen Festlaufzeit an die Beklagte. Im weiteren Verlauf des Jahres 2008 erwarb die Klägerin das Grundstück von der P-GmbH. Nach dem Grundstückskaufvertrag übernahm die Klägerin den mit der Beklagten bestehenden Mietvertrag und im Gegenzug war die P-GmbH verpflichtet, eine Verzichtserklärung in Bezug auf den Rückübertragungsanspruch beizubringen. Ende 2008 zeigte die Klägerin der Beklagten den Erwerb des Grundstücks und ihren Eintritt in den Mietvertrag an. Die Beklagte zahlte in der Folge die Miete an die Klägerin. Anfang 2017 kündigte die Klägerin den Mietvertrag – vor Ablauf der Festlaufzeit – mit ordentlicher Frist.

Damit einhergehend verlangte die Klägerin von der Beklagten die Herausgabe des Grundstücks. Im Kern kam es darauf an, ob der schriftlich abgeschlossene und mit einer langen Festlaufzeit versehene und daher im Jahr 2017 noch nicht kündbare Mietvertrag zwischen der S-GmbH und der Beklagten auf die Klägerin übergegangen war. Anderenfalls hätten die Parteien durch die erfolgte Gebrauchsgewährung und Zahlung der Miete lediglich durch schlüssiges Verhalten („konkludent“) einen neuen Mietvertrag geschlossen. Da dieser nicht der für langfristige Mietverträge vorgeschriebenen Schriftform nach §§ 550 S. 1, 578 BGB genügte, wäre die Kündigung der Klägerin mit 
ordentlicher Frist wirksam gewesen.

Eintritt in den Mietvertrag mit Festlaufzeit?

Der zuständige Senat des Bundesgerichtshofs stellt zunächst fest, dass die Klägerin nicht im Wege der rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme in den mit der Festlaufzeit versehenen Mietvertrag zwischen der Beklagten und der S-GmbH eingetreten ist. Denn eine Vertragsübernahme setzt einen dreiseitigen Vertrag oder zumindest eine Zustimmung aller Beteiligten voraus. Die vermietende S-GmbH wurde jedoch weder am Grundstückskaufvertrag zwischen der P-GmbH und der Klägerin beteiligt noch stimmte sie – weder ausdrücklich noch konkludent – nachträglich der Übernahme zu.

Sodann führt der Senat aus, dass § 566 Abs. 1 BGB mangels Identität von Vermieter und Veräußerer jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar sei und allenfalls eine analoge Anwendung in Betracht komme. Insoweit wiederholt er zunächst den Leitsatz einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 (Urteil vom 12. Juli 2017, Az.: XII ZR 26/16), wonach die analoge Anwendung von § 566 Abs. 1 BGB voraussetze, dass (1) die Vermietung des veräußerten Grundstücks mit Zustimmung des Eigentümers und (2) in dessen alleinigem wirtschaftlichem Interesse erfolge und (3) der Vermieter kein eigenes Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses habe. 

Im Kern widmet sich die hier besprochene Entscheidung nun der Prüfung der Frage, ob die Vermietung im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des Eigentümers, also hier der P-GmbH, gestanden habe, und verneint dies.

Das wirtschaftliche Interesse der P-GmbH habe sich darin erschöpft, dass der Mietvertrag im Zuge der Transaktion auf die Klägerin übertragen werde. Sie habe angestrebt, so den Verzicht auf den Rückgewähranspruch durch die H-GmbH zu erreichen, die für diesen Fall einen solchen Verzicht in Aussicht gestellt hatte. Dieses Interesse genüge jedoch nicht. Es komme allein darauf an, ob die Vermietung als solche im alleinigen Interesse der P-GmbH erfolgt sei. Das sei gerade nicht der Fall gewesen; insbesondere habe die P-GmbH die S-GmbH weder zur Vermietung beauftragt noch seien die Mietzahlungen an die P-GmbH geflossen.

Die Interessenlage hinter § 566 BGB 

Die Voraussetzung des alleinigen wirtschaftlichen Interesses und der vom BGH gezogene Vergleich zur Untermiete gehen fehl

Der BGH wendet hier seinen eigenen Maßstab in der Sache konsequent an; ob dieser Maßstab jedoch sinnvoll ist, kann man mit guten Argumenten bezweifeln. Die zentrale gesetzgeberische Wertung hinter § 566 Abs. 1 BGB liegt darin, dass dem Bestandsinteresse des Mieters der Vorrang vor dem (möglicherweise bestehenden) Interesse des Erwerbers, ein „unbelastetes“ Grundstück zu erhalten, und den Interessen von Veräußerer und Vermieter gebührt. Das leuchtet bei Identität von Vermieter Veräußerer und Eigentümer auch ein. Denn hat der veräußernde Eigentümer das Grundstück selbst vermietet, hat er die schutzwürdige Position des Mieters selbst geschaffen und muss die damit einhergehende „Belastung“ seines Grundstücks hinnehmen. Zugleich hat der Veräußerer in seiner Position als Vermieter in der Regel kein Interesse daran, an einen Mietvertrag gebunden zu bleiben, den er nach Veräußerung des Mietgegenstands nicht mehr erfüllen kann. Zuletzt ist die Schutzwürdigkeit des Erwerbers dadurch reduziert, dass er ein Grundstück erwirbt, das schon an den Mieter überlassen wurde, und er daher mit Rechten desselben rechnen muss.

Fehlt es nun an der Identität von Veräußerer und Vermieter, so lässt dies das Bestandsinteresse des Mieters wie auch die Position des Erwerbers unverändert. Unverändert bleibt auch das Interesse des Vermieters. Denn auch ein mit dem Veräußerer nicht identischer Vermieter hat grundsätzlich kein Interesse daran, an einen Mietvertrag gebunden zu bleiben, den er nicht mehr erfüllen kann. Entscheidend ist damit die Position des veräußernden Eigentümers. Hat dieser nicht selbst vermietet, ist begründungsbedürftig, warum er die „Belastung“ seines Grundstücks mit dem Mietverhältnis hinzunehmen hat. Im Kern geht es um die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ihm die Schaffung der schutzwürdigen Mieterposition zurechenbar ist. Dafür dürfte die Zustimmung des Eigentümers zu der Vermietung ausreichend sein.

Abzulehnen ist dagegen die – vorliegend entscheidungstragende – zusätzliche Voraussetzung, dass die Vermietung im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des Veräußerers erfolgen müsse. Schon der Umstand, dass es Fälle im direkten Anwendungsbereich des § 566 Abs. 1 BGB gibt, in denen sie nicht erfüllt ist, lässt Zweifel an ihr aufkommen. Man denke etwa an den Treuhänder, der zwar Grundstückseigentümer ist und dieses Grundstück im eigenen Namen vermietet, dabei aber auf Rechnung eines Dritten handelt. So bemüht sich der BGH denn auch gar nicht darum, diese Voraussetzung in der § 566 Abs. 1 BGB zugrunde liegenden Interessenlage zu verankern, sondern verweist schlicht darauf, dass die zusätzliche Voraussetzung notwendig sei, um Fälle der bloßen Untervermietung auszugrenzen.

Das ist schon in der Begründungsstruktur verfehlt, weil es schlicht voraussetzt, dass Fälle der Untervermietung nicht 
erfasst sein sollen und daraus ein Kriterium für die Reichweite der Analogie zu § 566 Abs. 1 BGB abgeleitet wird. Richtigerweise hätte man umgekehrt fragen müssen, ob in Fällen der Untervermietung nach der § 566 Abs. 1 BGB zugrunde liegenden Interessenlage eine Analogie überhaupt denkbar ist. Das ist nicht der Fall: Soweit der Mieter sein Besitzrecht verliert, weil das Hauptmietverhältnis im Zuge der Veräußerung aufgelöst wird, ist schon der Schutzzweck des § 566 BGB nicht einschlägig. Denn der Mieter hat sich in dieser Konstellation bewusst auf die Untermiete eingelassen hat und weiß, dass sein Nutzungsrecht am Grundstück letztlich auch vom Bestand des Hauptmietverhältnisses abhängt. Die Gefahr der Aufhebung oder Beendigung des Hauptmietverhältnisses folgt nicht aus der Veräußerung, sondern aus der Konstruktion der Untermiete. Vor dieser Gefahr soll § 566 Abs. 1 BGB aber nicht schützen (sondern allein § 565 BGB). Wird das Hauptmietverhältnis im Zuge der Veräußerung dagegen nicht aufgelöst, ist der Untermieter schon dadurch hinreichend geschützt, dass das Hauptmietverhältnis nach 
§ 566 BGB übergeht und sein (abgeleitetes) Besitzrecht erhalten bleibt.

Lehren für die Transaktions- und Mietpraxis

Das besprochene Urteil des BGH ist aus Sicht der Praxis dennoch ein Gewinn, da es die bestehenden Voraussetzungen für eine Analogie von § 566 Abs. 1 BGB weiter konturiert und so zur Rechtssicherheit beiträgt. 
Je nach Blickwinkel ergeben sich daraus verschiedene Lehren:

Im Rahmen der Immobilientransaktionspraxis sollte man sich keinesfalls auf etwaige Analogien verlassen. In Zweifelsfällen sollte immer eine dreiseitige Übertragungsvereinbarung zwischen Vermieter, Erwerber und Mieter abgeschlossen werden. Mit Blick auf den Grundstückskaufvertrag zwischen Veräußerer und Erwerber mag man deren Abschluss zum Beispiel als Fälligkeitsvoraussetzung anlegen. 

Vor allem ist das Urteil aber eine Mahnung an alle Mieter. Ist der Vermieter selbst nicht Eigentümer des Grundstücks, bewegt man sich schnell auf rechtlich dünnem Eis und zwar auch dann, wenn Vermieter und Eigentümer „wirtschaftlich zusammengehören“. Hier trägt man als Mieter schnell das zusätzliche Risiko, das eigene Nutzungsrecht, im Falle einer Veräußerung zu verlieren.
 

Autoren: Dr. Christoph Mönig und Constantin Ladwig

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