Zur Entwicklung des Teilbetriebsbegriffs im Rahmen von § 613a BGB

09.02.2012

[] Die Vorschrift des § 613a BGB stellt eine der prägnantesten Normen des deutschen und europäischen Arbeitsrechts dar, da sie für den Erwerber eines Betriebes zahlreiche und weitreichende Rechtsfolgen mit sich bringt.

Bei der Übertragung von Produktionsmitteln und/oder Personalbeständen gehört das Risiko der Annahme eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB stets zu den maßgeblichen Faktoren bei der Risikobewertung der Transaktion.

Allgemein anerkannt ist in diesem Zusammenhang, dass nicht nur der Übergang von Betrieben unter § 613a BGB fällt, sondern auch der Übergang von selbständigen Betriebsteilen. Dies ist insbesondere deswegen problematisch, weil gerade im Bereich des Out- oder auch Insourcings schon die (Neu)Vergabe einzelner Tätigkeiten an einen Dritten bzw. die Übernahme derartiger Tätigkeiten von Dritten unter Umständen einen Betriebsübergang mit der Folge darstellen kann, dass alle hiermit befassten Arbeitnehmer per Gesetz auf den potentiellen Erwerber übergehen und hierbei auch ihre vorher geltenden Arbeitsverträge einschließlich aller Arbeitsbedingungen ihre Gültigkeit behalten. Vor diesem Hintergrund ist es eine viel diskutierte Frage in der juristischen Literatur und auch in der einschlägigen nationalen und europäischen Rechtsprechung geworden, unter welchen Voraussetzungen der Übergang eines selbständigen Betriebsteils als Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB zu bewerten ist.

Die "Klarenberg-Entscheidung" des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)

Für viel Aufsehen sorgte die Entscheidung des EuGH in der Angelegenheit "Klarenberg" (EuGH, Urteil vom 12.02.2009 – C-466/07). Bis zu dieser Entscheidung war nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur dann von einem Betriebsteilübergang auszugehen, wenn der entsprechende Betriebsteil auch beim Erwerber als selbständiger Betriebsteil fortgeführt wurde. Wurden jedoch "die Bausteine neu zusammengesetzt" bzw. die Organisation des Betriebsteils beim Erwerber so in die dort bestehende Organisation eingegliedert, dass ein selbständiger Betriebsteil nach dem vermeintlichen Übergang nicht mehr besteht, so wurde ein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB abgelehnt. Dieser Ansicht trat der EuGH in der "Klarenberg"-Entscheidung entgegen und stellte fest, dass es keine Voraussetzung für einen Betriebsteilübergang sei, dass die organisatorische Selbständigkeit auch beim Erwerber fortbestehe. In dem vom EuGH entschiedenen Fall waren die übernommenen Angestellten vom Erwerber in die bei diesem bereits eingerichtete Struktur eingegliedert und erledigten insbesondere auch Aufgaben im Zusammenhang mit Produkten, die nicht im Zusammenhang mit dem vermeintlichen Betriebsübergang beim Erwerber standen. Ein nicht übernommener Arbeitnehmer hatte hiergegen geklagt und sich auf einen Betriebsteilübergang berufen.

Die Entscheidung des EuGH in der Angelegenheit "Klarenberg" sorgte für viel Widerspruch in der deutschen Rechtslandschaft. Denn die zuvor vom Bundesarbeitsgericht angewandten Grundsätze wurden zum größten Teil für nachvollziehbar und vorzugswürdig gehalten. Geschützt werden sollte der Arbeitnehmer vor der Verschiebung von organisatorischen Gesamtheiten, wonach sich der Erwerber unter Aussparung einzelner oder aller Arbeitsverhältnisse die betriebliche Organisation und Struktur in Bezug auf den Wertschöpfungsprozess in sein Unternehmen einverleibt. Eine solche Einverleibung findet jedoch nicht statt, wenn die übernommenen Bestandteile des Betriebs bzw. Betriebsteils beim Erwerber nicht als selbständiger Teil weiter genutzt werden. Der Europäische Gerichtshof versteht den Schutzzweck der Richtlinie 2001/23/EG, welche dem § 613a BGB zugrunde liegt, nicht in der gleichen Weise wie das Bundesarbeitsgericht, sondern vielmehr dahin, dass lediglich "die Beibehaltung der funktionellen Verknüpfung der Wechselbeziehung und gegenseitigen Ergänzung" zwischen den verschiedenen übertragenen Produktionsfaktoren durch den Erwerber erforderlich ist. Eine vollständige Auflösung der übertragenen Einheit beim Erwerber derart, dass die zuvor geschaffene Struktur überhaupt nicht mehr erkennbar ist, würde demnach auch nach der neuen Rechtsprechung des EuGH nicht zur Annahme eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB führen. Gleichwohl ist die Beibehaltung der "konkreten Organisation der verschiedenen übertragenen Produktionsfaktoren" für die Annahme eines Betriebsübergangs nicht erforderlich. Die Rechtsprechung des EuGH bringt grundsätzlich eine große Rechtsunsicherheit mit sich, die es im Ergebnis schwierig werden lassen dürfte, dem Risiko eines Betriebsübergangs durch eine Änderung der Organisation der übernommenen Betriebsmittel oder Arbeitnehmer beim potentiellen Erwerber entgegenzuwirken.

Die Antwort des Bundesarbeitsgerichts

am Anschluss an die Entscheidung des EuGH hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf den konkreten Fall dahingehend entschieden, dass ein Betriebsübergang anzunehmen sei, obschon der übernommene Betriebsteil beim Erwerber gerade keinen übergangsfähigen Betriebsteil mehr bildete. Das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr auf die hiergegen eingelegte Revision entschieden, dass ein Betriebsübergang auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH schon deswegen nicht vorgelegen habe, weil schon beim Veräußerer kein übergangsfähiger Betriebsteil vorgelegen habe (Urteil vom 13.10.2011 – 8 AZR 455/10). Ein solcher liegt nach der Entscheidung vom 13. Oktober 2011 nur dann vor, "wenn es sich um eine organisatorische Gesamtheit von Personen und/oder Betriebsmitteln zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck gehandelt hat, die hinreichend strukturiert und selbständig war" (Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 78/11). Das Bundesarbeitsgericht tritt dem EuGH zwar somit nicht ausdrücklich entgegen in Bezug auf das Erfordernis der Beibehaltung der Organisation beim Erwerber. Stattdessen verlagert es die Diskussion auf die Frage, ob überhaupt ein hinreichend selbständiger und damit übergangsfähiger Betriebsteil im Sinne des § 613a BGB beim Veräußerer vorgelegen hat. Hierbei ist somit genaues Augenmerk zu legen auf die erforderliche organisatorische Selbständigkeit des übergegangenen Betriebsteils bei dem Veräußerer.

Bewertung und Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des EuGH in der Angelegenheit "Klarenberg" aus dem Jahr 2009 hatte viel Unsicherheit in die unternehmerische Praxis in Bezug auf die Übernahme von Betriebsteilen gebracht. Eine Änderung der Organisationsstruktur beim Erwerber sollte hiernach für die Annahme eines Betriebsübergangs unschädlich sein, wenn die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Faktoren vom Erwerber gleichwohl genutzt wurde bzw. werden konnte. Für einen potentiellen Betriebsteilerwerber ist damit nur schwer zu prognostizieren, wie weit er einen Betriebsteil bei der Übernahme "auseinanderbauen" muss, um dem Risiko der Annahme eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB wirksam zu begegnen. Der EuGH hat insoweit festgestellt, dass es jedenfalls nicht genügt, lediglich die organisatorische Eigenständigkeit in der Weise abzuschaffen, dass die Arbeitnehmer auch bzw. zusätzlich mit Aufgaben betraut werden, die außerhalb des übernommenen Betriebsteils liegen. Vielmehr müssten nach der EuGH-Rechtsprechung die funktionellen Verknüpfungen zwischen den übertragenen Faktoren derart getrennt bzw. zerstört werden, dass der Erwerber diese nicht mehr nutzen kann, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Praktisch dürfte dies darauf hinauslaufen, dass der Umbau oder die Eingliederung eines erworbenen Betriebsteils kaum noch geeignet sein dürfte, um dem Risiko der Annahme eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB entgegenzutreten.

Aufschlussreich hingegen ist jedoch die anschließende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in dieser Sache, die jedoch noch nicht mit ausformulierter Begründung vorliegt. Gemäß der Pressemitteilung vom 13. Oktober 2011 ist in diesem Zusammenhang zu prüfen, "ob die vom Veräußerer übertragenen Betriebsmittel bei ihm eine einsatzbereite Gesamtheit dargestellt haben, welche als solche dazu ausgereicht hat, die für die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens charakteristischen (Dienst-)Leistungen ohne Inanspruchnahme anderer wichtiger Betriebsmittel oder anderer Unternehmensteile erbringen zu können". Hieraus lässt sich zumindest erahnen, dass das Bundesarbeitsgericht den nunmehr äußerst lockeren Anforderungen des EuGH an die Beibehaltung der Organisation auf Erwerberseite mit einem verschärften Kontrollmaßstab in Bezug auf das Vorliegen eines übergangsfähigen Betriebsteils insgesamt begegnet.

Felix Pott

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