Anspruch auf vollen Lohn während unwirksam angeordneter Kurzarbeit

Köln, 09.03.2021

Anspruch auf vollen LohnDas Instrument der Kurzarbeit hat sich seit Beginn der Corona-Pandemie in vielen Betrieben in Deutschland bewährt. Kurzarbeit kann jedoch nicht einseitig eingeführt werden, sondern bedarf einer individual- oder kollektivrechtlichen Grundlage. Fehlt eine solche und wurde Kurzarbeit damit unwirksam eingeführt, drohen nicht nur Rückzahlungsforderungen vom vorläufig gewährten staatlichen Kurzarbeitergeld durch die Bundesagentur für Arbeit. Wie eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg vom 11. November 2020 zeigt ist auch mit Lohnforderungen durch die von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer zu rechnen.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg

Das Arbeitsgericht Siegburg verurteilte die beklagte Arbeitgeberin zur Zahlung des für den Kläger in voller Höhe bestehenden Arbeitslohnes während der Monate März bis einschließlich Juni 2020. In diesen hatte die Arbeitgeberin lediglich einen gekürzten Betrag als „Kurzarbeitergeld“ ausbezahlt. Weil die eingeführte Kurzarbeit ohne vertragliche Grundlage und damit einseitig erfolgt sei, habe sich die Arbeitgeberin im Annahmeverzug befunden. Der Kläger habe seinen vollen Lohnanspruch damit behalten. Das Gericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben.

Der Sachverhalt

Der Kläger war bei der Beklagten als Omnibusfahrer zu einem monatlichen Bruttogehalt von € 2.100,00 beschäftigt. Ein Betriebsrat bestand nicht. Mit Schreiben vom 16. März 2020 kündigte die Beklagte an, Kurzarbeit in verschiedenen Bereichen des Betriebes anzumelden. Damit war der Kläger nicht einverstanden. Eine zuvor vertragliche Grundlage zur Einführung von Kurzarbeit bestand nicht. Die erste Phase der Kurzarbeit schloss sich bereits ab dem 23. März 2020 an. Obwohl der Kläger seine volle Arbeitsleistung anbot, erhielt er für die Folgemonate bis einschließlich Juni nur gekürzten Lohn zwischen ca. € 1.100,00 und € 1.500,00. Der Kläger kündigte sein Arbeitsverhältnis schließlich selbst fristlos zum 14. Juni 2020.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger sein volles Gehalt für die betroffenen Monate sowie die korrigierten Abrechnungen der elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen.

Das Urteil des Gerichts und seine Bedeutung für die Praxis

Das Gericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung des ungekürzten Lohnes für die Monate März bis Juni 2020. Zudem verurteilte es die Beklagte zur Ausstellung und Übergabe einer neuen elektronischen Lohnsteuerbescheinigung. Die Entscheidungsgründe zeigen trotz bzw. dank ihrer Überschaubarkeit deutlich, was bei der Einführung von Kurzarbeit schiefgelaufen ist:

Vorliegen einer rechtlichen Grundlage zur Einführung von Kurzarbeit

Kurzarbeit darf nur dann einseitig angeordnet werden, wenn das individualvertraglich, durch Betriebsvereinbarung oder tarifvertraglich zulässig ist. Es bedarf also einer wirksamen rechtlichen Grundlage. Ohne eine solche besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld gegen die Bundesagentur für Arbeit. Gleichzeitig bleibt der Anspruch der Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitgeberin auf ihren Lohn grundsätzlich in voller Höhe bestehen. Weil es im hiesigen Fall weder eine individual- noch kollektivrechtliche Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit gab, konnte die Arbeitgeberin diese auch nicht einseitig anordnen. Durch sein Angebot, die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung weiterhin zu erbringen, setzte der Kläger die Beklagte somit in Annahmeverzug.

Anforderungen an die rechtliche Grundlage

Die – ohnehin unwirksame – Anordnung der Kurzarbeit wurde von der Arbeitgeberin zudem als „voraussichtliche Kurzarbeit“ angekündigt. Die „voraussichtliche“ Kurzarbeit stellt keine wirksame Vereinbarung dar. Vielmehr haben die Vertragsparteien nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für Klarheit hinsichtlich der Rechte und Pflichten während der Kurzarbeit zu sorgen. Erforderlich sind mindestens die Bestimmung von Beginn und Dauer der Kurzarbeit, die Regelung der Lage und Verteilung der Arbeitszeit sowie die Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer (BAG, Urt. v. 18. November 2015 zu Betriebsvereinbarungen).

Auch kann Kurzarbeit nicht von heute auf morgen angekündigt werden. Die Rechtsprechung gibt zwar (noch) keine konkreten Vorlaufzeiten vor. Klar ist aber, dass die Einführung von Kurzarbeit ohne Ankündigungsfrist unwirksam ist (vgl. LAG Berlin Brandenburg, Urt. v. 7.10.2010). Die betroffenen Arbeitnehmer müssen sich auf die geänderten Umstände entsprechend einstellen können. Für wirksam erachtet werden Ankündigungsfristen von mindestens 5 Arbeitstagen bis zu ganzen 3 Wochen. Um ohne Bedenken Kurzarbeit einführen zu können, sollten entsprechend großzügige Fristen vereinbart werden.

Mitbestimmung des Betriebsrats

Sofern ein Betriebsrat besteht, ist dieser gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu beteiligen. Dem Betriebsrat steht ein Mitbestimmungsrecht bei vorübergehenden Verkürzungen der betriebsüblichen Arbeitszeit zu. Nicht mitbestimmungspflichtig hingegen ist die Rückkehr zur betriebsüblichen Arbeitszeit. Dies stellt nach ständiger Rechtsprechung des BAG weder eine Änderung der regelmäßigen Arbeitszeit, noch der Arbeitsbedingungen dar. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates finden hier ihre Grenzen.

Ausblick

Die Entscheidung des Gerichts wirft in Sachen Kurzarbeit erstmals Licht auf die Zahlungsansprüche im Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst. Das Urteil wird voraussichtlich nur eines von vielen sein. Es steht jedoch auch im untrennbaren Zusammenhang mit möglichen Rückforderungsansprüchen von gezahltem Kurzarbeitergeld durch die Bundesagentur für Arbeit gegenüber Betrieben. Ist Kurzarbeit unwirksam eingeführt worden und bestand somit auch kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld, kann und wird Letzteres zurückgefordert werden. Sofern möglich sollten Betriebe entsprechend finanzielle Vorkehrungen treffen.

 

 

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