Haftung der Gesellschafter einer GmbH im Falle der wirtschaftlichen Neugründung – Beschränkung durch neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

10.01.2013

[Frankfurt am Main, ] Die von dem Bundesgerichtshof im Rahmen seiner Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur wirtschaftlichen Neugründung und das damit einhergehende erweiterte Haftungsregime für Gesellschafter von bereits bestehenden Gesellschaften mit beschränkter Haftung hat in den letzten Jahren zu einer Reihe von Gerichtsurteilen unterer Instanzen geführt, die nicht immer den Anforderungen der Praxis gerecht wurden und zu einer ausufernden Haftung von Gesellschaftern führten, die durch die bewusste Wahl von haftungsbeschränkten Gesellschaften wie der GmbH als Mittel zur Organisation ihres Geschäftes beabsichtigten, ihr Privatvermögen vor dem Zugriff von Gläubigern der Gesellschaft zu schützen. Begleitet wurden diese Gerichtsurteile von einer mittlerweile kaum noch überschaubaren Flut von wissenschaftlichen Auseinandersetzungen in der Rechtsliteratur, die zum Teil äußerst konträre Positionen einnahmen. Die Folge hiervon war eine spürbare Verunsicherung der Praxis, insbesondere mit Blick auf die Höhe einer möglichen Haftung im Falle der wirtschaftlichen Neugründung. Begünstigt wurde diese bedenkliche Entwicklung durch die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die zu gewissen Details der Haftung nach den Grundsätzen zur wirtschaftlichen Neubildung bisher schwieg oder sich missverständlich mitteilte. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr mit Urteil vom 06. März 2012 – II ZR 56/10 –, veröffentlicht unter anderem in DStR 2012, S. 974 ff., erfreulicherweise die Gelegenheit ergriffen, seine Grundsätze zur Haftung von Gesellschaftern bei der wirtschaftlichen Neugründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung nicht nur in dem bisher bekannten Ausmaß zu bestätigen, sondern insbesondere die Haftung der Gesellschafter zeitlich und der Höhe nach zu konkretisieren und zu beschränken.

Bestätigung bisheriger Aussagen

a) Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat zunächst den bisherigen Inhalt des Begriffs der wirtschaftlichen Neugründung bestätigt. Unter dem Begriff der wirtschaftlichen Neugründung ist unverändert sowohl der Erwerb einer Vorrats-GmbH bzw. Mantel-GmbH als auch die Wiederaufnahme eines Geschäftsbetriebs durch eine bis zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme inaktive GmbH bei Identität der Gesellschafter zu verstehen.

b) Diese Fälle setzt der Bundesgerichtshof mit der rechtlichen Neugründung einer GmbH gleich und wendet infolgedessen diejenigen gesetzlichen Vorschriften entsprechend an, die den Fall der Schaffung einer bisher nicht existenten juristischen Person regeln. Diese sogenannten Gründungsvorschriften sehen zum Schutze von Gläubigern vor, dass die gesetzlich und gesellschaftsvertraglich vorgeschriebene Kapitalausstattung im Zeitpunkt des Entstehens der Gesellschaft vorhanden sein muss, da sie letztlich die Beschränkung der Haftung der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen legitimiert. Die Anwendung dieser Vorschriften auf die wirtschaftliche Neugründung hat zur Folge, dass der Geschäftsführer der wirtschaftlich neu gegründeten Gesellschaft gegenüber dem Registergericht die wirtschaftliche Neugründung offenzulegen und eine entsprechende Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG betreffend die Leistungen nach § 7 Abs. 2 und 3 GmbHG auf die Geschäftsanteile und die freie Verfügbarkeit des Gegenstands dieser Leistungen abzulegen hat. Sofern dieser Pflicht zur Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung der Gesellschaft nicht nachgekommen wird, führt dies zu einer persönlichen Haftung der Gesellschafter.

c) Schließlich bestätigte der Bundesgerichtshof, dass anlässlich der unterlassenen Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung nicht nur diejenigen Gesellschafter von der Haftung betroffen sind, die an dem Vorgang der Neugründung, sei es durch Erwerb einer Vorrats- oder Mantel-GmbH oder durch die Wiederaufnahme eines Geschäftsbetriebs, unmittelbar beteiligt waren. Unabhängig von der positiven Kenntnis der wirtschaftlichen Neugründung haften auch die Gesellschafter, die ihren Geschäftsanteil an der Gesellschaft erst nach deren wirtschaftlichen Neugründung und damit von einer bereits wieder aktiven Gesellschaft erworben haben.

Beschränkung der Haftung

a) Bisher war in Folge der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Meinung verbreitet, die Gesellschafter würden für die Gewährleistung der Unversehrtheit des Stammkapitals im Falle der wirtschaftlichen Neugründung nicht nur mit ihrem eigenen Vermögen einstehen müssen, sondern dies grundsätzlich auch zeitlich unbeschränkt. Denn die Höhe der Haftung soll sich zum Zeitpunkt der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht bestimmen und der Wertdifferenz zwischen dem gesetzlichen bzw. gesellschaftsvertraglichen Stammkapital und dem tatsächlichen Gesellschaftsvermögen entsprechen. Unterbleibt diese Offenlegung allerdings, wäre die Haftung der Gesellschafter zeitlich unbeschränkt und würde auch Verluste erfassen, um die das Vermögen der Gesellschaft erst nach dem Zeitpunkt der Wiederaufnahme eines Geschäftsbetriebes, sprich dem Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung, geschmälert wurde. Diese weite Ausgestaltung der Haftung bei der wirtschaftlichen Neugründung im Falle der Verletzung der Offenlegungspflicht ist folgerichtig bei getreuer Anwendung der Gründungsvorschriften, die originär die rechtliche Erstgründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung regeln, und der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Denn bei der Erstgründung der Gesellschaft haften hiernach die Gesellschafter – dann noch als Gesellschafter der vor der Eintragung in das Handelsregister bestehenden Vor-GmbH – für die Gesellschaftsverbindlichkeiten unbeschränkt, und zwar in Form einer bis zur Eintragung der Gesellschaft andauernden Verlustdeckungshaftung und einer an die Eintragung geknüpften Unterbilanzhaftung. Sofern es zur Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister kommt und der Gesellschaft durch die vorausgegangene Aufnahme der Geschäftstätigkeit bereits Verbindlichkeiten entstanden sind, haften die Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen für die Differenz, die sich durch die Verbindlichkeiten zwischen dem Stammkapital und dem Wert des Gesellschaftsvermögens im Zeitpunkt der Eintragung ergibt (Unterbilanzhaftung). Sofern die Eintragung der GmbH unterbleibt, stehen die Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen für die durch das Gesellschaftsvermögen nicht gedeckten Verluste ein (Verlustdeckungshaftung).

b) Diesem weitgehenden Haftungsmodell erteilte der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung vom 06. März. 2012 eine deutliche Absage. Für den Fall, dass die wirtschaftliche Neugründung nicht gegenüber dem Registergericht offengelegt wurde, beschränkt der Bundesgerichtshof die Haftung der Gesellschafter nunmehr auf den Umfang der Unterbilanz zu dem Zeitpunkt, in dem die wirtschaftliche Neugründung nach außen in Erscheinung tritt. Zur Bestimmung dieses Zeitpunkts ist entweder auf die Anmeldung etwaiger mit der wirtschaftlichen Neugründung einhergehenden Satzungsänderungen oder auf die Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit abzustellen. Eine zeitlich unbeschränkte Verlustdeckungshaftung, wie sie bei der Erstgründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung möglich ist, ist damit bei der wirtschaftlichen Neugründung zukünftig ausgeschlossen. Zur Begründung dieser zeitlichen Haftungsbeschränkung verweist der Bundesgerichtshof zutreffend darauf hin, dass das originär auf den besonderen Fall der rechtlichen Erstgründung entwickelte Haftungsmodell nicht ohne Weiteres und uneingeschränkt auf den Fall der wirtschaftlichen Neugründung anwendbar ist, da zwischen Erstgründung und wirtschaftlicher Neugründung gravierende Unterschiede bestehen, die eine Anpassung der Haftung erfordern und rechtfertigen. So ist nämlich hinsichtlich der Haftung eines Gesellschafters einer wirtschaftlich neu gegründeten Gesellschaft zu berücksichtigten, dass im Unterschied zur rechtlichen Erstgründung im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung die betroffene Gesellschaft bereits im Handelsregister eingetragen ist und als von ihren Gesellschaftern zu trennender Rechtsträger existiert, für den grundsätzlich eine Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen nach § 13 Abs. 2 GmbHG besteht. Die erforderliche Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Handelsregister kann nicht mit der die rechtliche Existenz der Gesellschaft und ihre Haftungsbeschränkung erst bewirkenden Ersteintragung in das Handelsregister gleichgesetzt werden.

c) Dabei hält der Bundesgerichtshof selbst unter dem Aspekt, dass eine zeitliche und der Höhe nach unbeschränkte Verlustdeckungshaftung die Gesellschafter disziplinieren könnte, andernfalls die Gesellschafter die Pflicht zur Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung beinahe bedenkenlos ignorieren könnten, eine weitergehende Haftung der Gesellschafter nicht für erforderlich. Eine Besserstellung von Gläubigern der Gesellschaft im Vergleich zu der Situation bei ordnungsgemäßer Offenlegung sei gerade nicht gerechtfertigt.

Schluss

Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 06. März 2012 begrüßenswerter Weise der durch seine bisherige Rechtsprechung begünstigten ausufernden Haftung von Gesellschaftern von Gesellschaften mit beschränkter Haftung Einhalt geboten und das von ihm konstruierte Haftungsmodell für den Fall der wirtschaftlichen Neugründung im Interesse eines Mehr an Rechtssicherheit angepasst und beschränkt. Da der Bundesgerichtshof aber grundsätzlich an der Anwendbarkeit der Gründungsvorschriften mitsamt des Haftungsinstituts der Unterbilanzhaftung auf wirtschaftlich neu gegründete Gesellschaften festhält, bleiben grundlegende Bedenken, die sich zum einen auf die Verfassungsmäßigkeit und zum anderen mit Blick auf andere Möglichkeiten zum Schutz von Gesellschaftsgläubigern – an dieser Stelle seien beispielhaft nur Ausschüttungsverbote und die Grundsätze zur Existenzvernichtungshaftung genannt – auf die Erforderlichkeit dieser Rechtsprechung beziehen bestehen.

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