Formelle Anforderungen an eine wirksame Verdachtskündigung

10.07.2012

[] Eine wirksame Verdachtskündigung setzt voraus, dass einem Arbeitnehmer Gelegenheit gegeben wurde, zu allen Verdachtsmomenten Stellung zu beziehen. Stützt sich ein Arbeitgeber im Prozess auf Verdachtsmomente, die nicht Gegenstand der Anhörung des Arbeitnehmers waren, erweist sich eine Verdachtskündigung schon aus diesem Grunde als unwirksam (LAG Köln, Urteil vom 09. November 2011, – 9 Sa 680/11 –).

Sachverhalt

Die Arbeitnehmerin war als Kassiererin in einer Bank beschäftigt. In der Freizeit besuchte sie im Dezember 2010 die Kollegen im Schalterbereich für ein „Schwätzchen“. Die beiden Kassen waren jeweils schwer einsehbar. Als zum Schichtwechsel die Kassen gezählt wurden, wurde der Verlust eines höheren Geldbetrags festgestellt. Im Laufe der internen Ermittlungen geriet die Klägerin in Verdacht. Ihr wurde vorgeworfen, in einem „ruhigen Moment“ in die Kasse der Kollegen gegriffen zu haben. Außerdem wurde im Laufe der Ermittlungen festgestellt, dass es in der Filiale schon in den Monaten zuvor häufig zu höheren unaufgeklärten Kassenfehlbeträgen gekommen ist. Neben anderen Kassenkräften war jedenfalls auch immer die Klägerin anwesend.

Im Zuge der Ermittlungen, die sich über viele Wochen hinzogen, wurde die Klägerin zu dem Verdacht des Diebstahls angehört. Allerdings wurde sie nur zu dem Vorfall im Dezember 2010 befragt, nicht aber zu den weiteren unaufgeklärten, weiter zurückliegenden Fehlbeträgen. Nach weiteren Zeugenbefragungen wurde schließlich eine Verdachtskündigung ausgesprochen.

Entscheidung

Das LAG Köln hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Zum einen sei die 2-Wochen-Frist wegen der zögerlichen Ermittlungen überschritten worden (vgl. § 626 Abs. 2 BGB), zum anderen sei die Kündigung wegen einer fehlerhaften Anhörung der Arbeitnehmerin bereits aus formellen Gründen unwirksam. Ihr hätte die Möglichkeit gegeben werden müssen, auch zu den anderen Vorfällen Stellung beziehen zu können.

Anmerkung

Die Entscheidung zeigt einmal mehr, welche Fallstricke formeller Art vor dem Ausspruch einer Kündigung drohen. Notwendiger Bestandteil einer jeden Verdachtskündigung ist die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers. Hierfür gelten strenge Maßstäbe. Der beschuldigte Arbeitnehmer muss die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe zu entkräften und Entlastungstatsachen anzuführen. Die Anhörung muss sich hierbei auf einen konkretisierten Sachverhalt beziehen. Der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer nicht lediglich mit einer unsubstantiierten Wertung konfrontieren. Vorab ermittelte Erkenntnisse dürfen ihm nicht vorenthalten werden. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten bzw. zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen.

Erfreulich ist aus Arbeitgebersicht aber, dass das LAG Köln trotz der hohen formellen Anforderungen unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 12. Mai 2010, – 2 AZR 587/08 – ) die grundsätzliche Zulässigkeit einer Verdachtskündigung betont hat. Es muss objektiv ein dringender Tatverdacht bezüglich einer schwerwiegenden Pflichtverletzung vorliegen (z.B. Straftaten wie Bestechlichkeit im Geschäftsverkehr, Untreue, Diebstahl).

Checkliste

1. Schritt:

Sachverhaltsermittlung – Zunächst ist seitens des Arbeitgebers zügig eine möglichst umfassende Aufklärung des Sachverhaltes zu betreiben. Unter Berücksichtigung aller Beweismittel sind belastende und entlastende Gesichtspunkte zu bewerten. Am Ende der Ermittlungen steht die Frage, ob nach wie vor ein dringender Verdacht besteht (Verdachtskündigung).

2. Schritt:

Vorbereitung der Anhörung – Der Anhörung sollte große Aufmerksamkeit gewidmet werden; sie sollte binnen einer Woche nach Abschluss der internen Ermittlungen durchgeführt werden (Ausnahme: Verhinderung wegen Urlaub oder Krankheit). Der Teilnehmerkreis sollte frühzeitig festgelegt werden. Sofern vorhanden, sollte auch ein Betriebsratsmitglied anwesend sein.

3. Schritt:

Einladungsschreiben – Der Arbeitnehmer muss rechtzeitig zum Anhörungsgespräch eingeladen werden. Es empfiehlt sich die persönliche Übergabe des Einladungsschreibens (mit Zugangsnachweis!). Ein fataler Fehler wäre es, den Arbeitnehmer unter einem Vorwand zum Gespräch zu „locken“. Daher sollte im Einladungsschreiben der Gegenstand des Gesprächs benannt werden. Dem Arbeitnehmer muss klar sein, dass es – im eigenen Interesse – um die Aufklärung eines bestimmten Sachverhalts geht. Gleichwohl sollte klargestellt werden, dass der Ausspruch einer Kündigung in Betracht kommen kann. Zwischen Einladung und Personalgespräch sollte mindestens ein halber Arbeitstag bzw. eine Nacht liegen (Ausnahme: Es besteht akute Verdunkelungsgefahr).

4. Schritt:

Anhörungsgespräch – Einzelheiten zum Inhalt und Zweck des Anhörungsgesprächs haben wir bereits oben dargestellt. Wichtig ist, dass das Gespräch objektiv und ergebnisoffen ohne Belastungstendenz geführt werden wird. Der Arbeitnehmer muss hinreichend Gelegenheit haben, sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen; entlastenden Aussagen muss der Arbeitgeber nachgehen. Sämtliche Erkenntnisse muss der Arbeitgeber offen legen. Die einzelnen Fragen und Antworten sollten sorgfältig protokolliert werden. Das Protokoll sollte zügig geschrieben werden. Der Arbeitnehmer sollte eine Kopie (z.B. per E-Mail) erhalten.

5. Schritt:

Abschluss der Anhörung – Konnte der Verdacht nicht ausgeräumt werden, ist der Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass der Ausspruch einer Kündigung beabsichtigt ist. Vor diesem Hintergrund sollte ihm die Möglichkeit eingeräumt werden, eine abschließende (schriftliche) Stellungnahme abzugeben (Frist: ca. 1-2 Tage). Es kann sich, je nach Gesprächsverlauf anbieten, eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Aufhebungsvertrag) zu erörtern. Der Arbeitnehmer darf jedoch nicht zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages gedrängt werden, da ansonsten die Anfechtung wegen Drohung in Betracht kommt. Der Arbeitnehmer sollte „eine Nacht drüber schlafen“ können.

6. Schritt:

Abschließende Bewertung – Nach der Anhörung bzw. dem Eingang einer etwaig ergänzenden Stellungnahme sollte der Sachverhalt abschließend so schnell wie möglich aufgearbeitet und bewertet werden. Je nach Komplexität sollte dies nicht mehr als ein bis zwei Tage in Anspruch nehmen. Sodann muss innerhalb der 2-Wochen-Frist das Anhörungsverfahren mit dem Betriebsrat (sofern vorhanden) durchgeführt werden. Auch bei der Anhörung des Betriebsrates (ggfs. zur ordentlichen/außerordentlichen Tat-/Verdachtskündigung) dürfen entlastende Umstände nicht verschwiegen werden. Der Betriebsrat muss über die Aussage des Arbeitnehmers informiert werden. Es empfiehlt sich, dem Betriebsrat eine Kopie des Protokolls zur Verfügung zu stellen. Auch hier kann nur davor gewarnt werden, einseitig die Situation zugunsten des Arbeitgebers „zu schönen“.

Häufig wird innerhalb der 2-Wochen-Frist über einen Aufhebungsvertrag verhandelt werden. Diese Verhandlungen entbinden den Arbeitgeber nicht von der Einhaltung der Frist. Sofern die Verhandlungen scheitern, sollten parallel alle Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung geschaffen werden.

Eine schematische Lösung ist sicherlich nicht möglich. Im Einzelfall wird aufgrund der Komplexität der denkbaren Sachverhalte auch ein von der Checkliste („Ideallösung“) abweichendes Verfahren gerechtfertigt werden können. Eine sorgfältige Planung des Anhörungsprozesses ist für einen späteren Kündigungsschutzprozess jedenfalls von erheblicher Bedeutung. Es empfiehlt sich, spätestens ab dem 2. Schritt einen rechtlichen Berater hinzuziehen.

Jens Völksen

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