[] Wurden die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrates in früherer Zeit nur vereinzelt thematisiert, so haben öffentlichkeitswirksame Unternehmenszusammenbrüche und -krisen bereits in den 1990er Jahren dazu geführt, dass die Rolle des Aufsichtsrates verstärkt gesetzgeberisches Interesse auf sich gezogen hat. So begann etwa im Jahre 1998 mit dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), bereits eine Verschärfung der Pflichten und Ausweitung des Verantwortungsbereiches des Aufsichtsrates und seiner Mitglieder. Kein Honoratoriengremium sollte er sein, sondern ein mit verantwortungsvollen Aufgaben der Unternehmensführung betrauter kritischer Berater des Vorstandes. Konsequent fortgeschrieben wird diese Tendenz mit den jüngsten Gesetzesänderungen der letzten zwei Jahre, etwa durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008, das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) vom 25. Mai 2009 und jüngst das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung vom 31. Juli 2009 (VorstAG). Die für die Mitglieder des Aufsichtsrates besonders bedeutsamen Änderungen, die die Praxis im Jahre 2011 zu beachten haben wird, sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.
I. Änderungen durch das MoMiG
Das MoMiG, das überwiegend allein mit einer Änderung des GmbH-Rechts in Verbindung gebracht wird, hat auch zu Änderungen im Aktienrecht und insbesondere zu einer wichtigen Erweiterung des Pflichtenkataloges des Aufsichtsrates geführt. Ebenso wie die Gesellschafterversammlung der GmbH ist nunmehr auch jedes Mitglied des Aufsichtsrates einer Aktiengesellschaft bei Führungslosigkeit der Gesellschaft nach § 15 Abs. 1 S. 2 InsO berechtigt und im Falle des § 15 a Abs. 3 InsO gar verpflichtet, bei Vorliegen eines Eröffnungsgrundes für das Insolvenzverfahren einen Insolvenzantrag für die Gesellschaft zu stellen.
Der gänzlich neue § 15 a InsO schreibt nunmehr rechtsformübergreifend alle Antragspflichten bei juristischen Personen fest, die zuvor in den jeweiligen Einzelgesetzen enthalten waren. Ziel dieser Änderung war die Schaffung einer einheitlichen, rechtsformneutralen Insolvenzantragspflicht, die auch ausländische Gesellschaften mit einbezieht (BR-Drs. 354/07 (B), S. 26 f.). In der Vergangenheit war es den Mitgliedern des Aufsichtsrates lediglich möglich, auf die Antragstellung durch das exekutive Entscheidungsorgan (Vorstand bzw. ggf. Geschäftsführer) hinzuwirken, etwa durch Einberufung der Hauptversammlung nach § 111 Abs. 3 S. 1 AktG.
Eine Pflicht zur Antragsstellung besteht für das einzelne Aufsichtsratsmitglied freilich allein bei Führungslosigkeit und Kenntnis derselben sowie des Eröffnungsgrundes (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, vgl. §§ 16-19 InsO). Die Führungslosigkeit ist in § 10 Abs. 2 S. 2 InsO legal definiert als das Fehlen eines organschaftlichen Vertreters; allein die fehlende Erreichbarkeit dieses Vertreters soll dabei nicht ausreichen (AG Hamburg NJW 2009, 304; Römermann NZI 2008, 641; Uhlenbrock/Hirte, § 15 Rn. 2A; krit. unter Verweis auf die Missbrauchsgefahren Wälzholz, DStR 2007, 1914, 1916).
Eine pflichtwidrig unterlassene Insolvenzantragstellung liegt zudem dann nicht vor, wenn sich das betroffene Mitglied des Aufsichtsrates durch den vollen Beweis darüber entlasten kann, dass es darlegt, entweder vom Antragsgrund oder von der Führungslosigkeit keine positive Kenntnis gehabt zu haben. Nach der Regierungsbegründung genügt ein bloßes „Kennenmüssen" zwar nicht, um eine entsprechende Pflicht auszulösen (vgl. BT-Drucks 16/6140, S. 55 f.). Umgekehrt bleibt derjenige, der sich bewusst der Kenntnis solcher Umstände verschlossen hat, zum Antrag verpflichtet (BT-Drucks a.a.O., S 56). Überdies dürfte bei Kenntnis um die Führungslosigkeit eine Nachforschungspflicht hinsichtlich eines möglicherweise gegebenen Insolvenzgrundes bestehen, so wie umgekehrt die Kenntnis von einem Antragsgrund die Verpflichtung nach sich zieht zu hinterfragen, ob die Gesellschaft nicht führungslos ist (BT-Drucks a.a.O., S 55; Nerlich/Römermann/Mönning, § 15a Rn. 18.). Eine Zurechnung des Wissens eines Aufsichtsratsmitglieds um das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Eröffnungsgrundes den anderen Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber erfolgt hingegen nicht.
Soweit unter den genannten Voraussetzungen die gesetzliche Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrages besteht, schließt sich hieran im Falle des unerlaubten Zuwartens zugleich auch die Gefahr einer Haftung gegenüber Gläubigern der Gesellschaft an, denn § 15 a InsO ist ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Die strafrechtlichen Konsequenzen unterlassener Antragsstellung sind in § 15 a Abs. 4, 5 InsO (verschärft) geregelt. Danach ist nun auch die fahrlässige Tatbegehung
möglich.
II. Änderungen durch das BilMoG
Dass die Mitglieder des Aufsichtsrates bestimmte Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich zumindest aneignen müssen, um die gewöhnlicherweise anfallenden Geschäftsvorfälle in der Regel ohne Hinzuziehung externer Fachkräfte bewältigen zu können, hat der 2. Zivilsenat des BGH bereits am Rande einer Entscheidung zu Beginn der 1980er Jahre aus § 111 Abs. 5 AktG und der dort verankerten Höchstpersönlichkeit der Amtsführung herausgelesen (BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 298 = NJW 1983, 991; vgl. MüKo AktG/Kopff, § 107 Rn. 94). Der durch das BilMoG geänderte § 100 Abs. 5 AktG nimmt diesen Grundsatz auf.
Danach muss eine kapitalmarktorientierte Aktiengesellschaft i.S.d. § 264 d HGB ihren Aufsichtsrat mit mindestens einem Mitglied besetzen, welches unabhängig ist und über Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügt. Wie der Sachverstand des Aufsichtsratsmitgliedes auf einem der beiden Gebiete erworben wurde, ist dabei gleichgültig (vgl. OLG München Hinweisbeschl. v. 28.4.2010 – 23 U 5517/09, NZG 2010, 784). Im Zusammenhang hiermit, kann nunmehr nach § 107 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 AktG fakultativ ein Prüfungsausschuss zur Überwachung des Rechnungslegungsprozesses sowie weiterer Mechanismen zur Kontrolle der Abschlussprüfung gebildet werden, wobei diesem Ausschuss mindestens ein Mitglied angehören muss, das über die besonderen Qualifikation nach § 100 Abs. 5 AktG verfügt.
Die Norm findet freilich erst auf die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern nach Inkrafttreten des BilMoG Anwendung (Hüffer, AktG § 100 Rn 12. Art. 6 Abs. 4 EGAktG). Zukünftige Kandidaten sollten jedoch beachten, dass sich mit der Übernahme der Stellung des sachverständigen Aufsichtsratsmitgliedes auch ihre eigene Haftung verschärfen kann. Denn die bei der Funktionsausübung geschuldete Sorgfalt mag gerade im Rahmen der §§ 116, 93 AktG einer gewissen Standardisierung unterliegen, überdurchschnittliche Kenntnisse und Erfahrungen korrelieren indes auch mit einer überdurchschnittlich scharfen Haftung (Kropff in FS K. Schmidt (2009), S. 2022, 2039).
III. Änderungen durch das VorstAG
Nicht zuletzt im Zuge der Finanzkrise sind die sog. Managergehälter in den Fokus öffentlicher Diskussion gelangt. Im Kern geht es dabei immer wieder um die Frage der Angemessenheit der Gehälter und die Struktur von leistungsbezogenen Vergütungsbestandteilen, sog. Boni. Kernstück der Neuregelungen des VorstAG ist § 87 Abs. 1 AktG, der die Grundsätze zur Vergütung der Bezüge der Vorstandsmitglieder festlegt und gleichzeitig die Rechtspflicht des Aufsichtsrates begründet, für eine angemessene Festsetzung der Bezüge zu sorgen (MünchKomm-AKtG/Spindler, § 87 Rn 79). Dort finden sich nunmehr konkrete Kriterien für die Angemessenheit der Vorstandsvergütung.
Angemessen ist dabei nur eine sich nun auch an der Leistung des einzelnen Vorstandsmitgliedes orientierende Vergütung, welche die Branchen-, Größen- und Landesüblichkeit nicht ohne besondere Gründe übersteigen darf. Bei börsennotierten AGs ist die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. Variable Vergütungsbestandteile sollen eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben. Für außerordentliche Entwicklungen soll der Aufsichtsrat eine Begrenzungsmöglichkeit vereinbaren.
Die Rechtsmacht des Aufsichtsrates bei einer wesentlichen Verschlechterung der Verhältnisse der AG eine Reduzierung der Gehälter zu erreichen, ist durch den neuen § 87 Abs. 2 AktG gegenüber der Vorfassung erweitert worden. Soweit auf Grund einer Verschlechterung der Lage der Gesellschaft, die Weitergewährung der Bezüge unbillig für die Gesellschaft wäre, soll der Aufsichtsrat die Bezüge künftig herabsetzen; das vormalige Wesentlichkeitserfordernis scheidet somit aus (Hüffer, AktG § 87 Rn 9). Für die ersten drei Jahre nach Ausscheiden aus der Gesellschaft kann darüber hinaus auch das Ruhegehalt ebenso wie Leistungen verwandter
Art herabgesetzt werden.
Kommt der Aufsichtsrat seiner Pflicht zur Festsetzung der Vergütung schuldhaft nicht nach, entsteht ein Schadenersatzanspruch der Gesellschaft nach §§ 116, 93 Abs. 2 AktG. Dies ist in § 116 S. 3 AktG nunmehr klargestellt. Obgleich
§ 116 S. 3 nur auf § 87 Abs. 1 AktG und damit die Festsetzung der Bezüge verweist, ist das Unterlassen der Herabsetzung unangemessener Bezüge nach § 87 Abs. 2 AktG sinnvoller Weise ebenfalls nur als Pflichtverletzung greifbar. Dafür spricht nicht zuletzt auch der Wortlaut des § 87 Abs. 2 AktG. Der Aufsichtsrat ist damit fortlaufend zur Überprüfung der Vergütungsstruktur angehalten. In seiner Bedeutung kaum zu unterschätzen ist schließlich die Neuregelung in § 107 Abs. 3 S. 3 AktG: Die vormals bestehende Möglichkeit, die Vergütungsentscheidung im Kreise der Anteilseigner zu treffen, ist danach nicht mehr gegeben. Die Entscheidung über die Festlegung der Angemessenheit der Vorstandsvergütung nach § 87 Abs. 1, 2 AktG kann zur abschließenden Behandlung nicht mehr an einen Ausschuss delegiert werden, es muss zwingend das Plenum des (Gesamt-)Aufsichtsrates entscheiden.
IV. Ausblick
Aufsichtsratsmitglieder sehen sich einem wachsenden Pflichtenkatalog gegenüber. Angefangen bei der persönlichen Eignung mindestens eines Aufsichtsratsmitgliedes zur Überprüfung der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung über die schadensersatzbewährte Pflicht zur Angemessenheitskontrolle der Vorstandsbezüge bis zur Insolvenzantragspflicht bei Führungslosigkeit der Gesellschaft. Betrachtet man das wesentlich flexiblere soft law des Corporate Governance Codex, das in der Vergangenheit bereits häufig gesetzliche Neuerungen vorweggenommen hat, so scheint es kaum gewagt anzunehmen, dass auf die Aufsichtsratsmitglieder auch zukünftig weitere gesetzliche Pflichten und zusätzliche Verantwortung zukommen dürften.
Der Gesetzgeber muss sich vor dem Hintergrund dieser Entwicklung freilich die Frage gefallen lassen, ob die Ausgestaltung des Aufsichtsamtes als typisches Nebenamt im Übrigen noch angemessen ist oder ob es nicht vielmehr hohe Zeit ist, auch die sonstigen Rahmenbedingungen für eine verantwortungsvolle Amtsausübung an den gesteigerten Pflichtenrahmen anzupassen. So wäre es nur konsequent, aufgrund der gestiegenen Anforderungen etwa die zulässige Höchstzahl weiterer Aufsichtsratsmandate nach § 100 Abs. 2 AktG weiter zu begrenzen (wie es etwa der Deutsche Corporate Governance Kodex in Ziff. 5.4.5 S. 2 bereits in bestimmten Fällen vorsieht) oder die erforderlichen Sitzungsfrequenzen des Aufsichtsrates zu erhöhen (§ 110 Abs. 3 AktG).