Entscheidungsgründe des BGH veröffentlicht: Der fast verschwundene Anwendungsbereich der Kundenanlage

Berlin, 14.07.2025

Sie wurden mit Spannung erwartet: Endlich hat der Bundesgerichtshof (im Folgenden: BGH) am 3. Juli 2025 die Entscheidungsgründe (hier abrufbar) zu seinem Beschluss vom 13. Mai 2025 (Enver 83/20) veröffentlicht. Er bestätigt das, was zu erwarten war (siehe dazu unser Legal Update vom 9. Januar 2025).

Aus der nun veröffentlichten Begründung lassen sich für das geprüfte Kundenanlagen-Modell einige Schlüsse ziehen. Zugleich verbleiben vereinzelt Fragen offen.

In diesem Beitrag fassen wir die Erkenntnisse und die weiterhin bestehenden Unsicherheiten zusammen und ordnen sie in ihrer Bedeutung für die Praxis ein.

Das Ergebnis vorneweg

Die Entscheidung des BGH steht im Einklang mit der Grundaussage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (im Folgenden: EuGH): Der Begriff der Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a EnWG kann und muss richtlinienkonform ausgelegt werden. Danach kann nur eine Energieanlage, die nicht zugleich Verteilernetz ist, eine Kundenanlage sein.

Zuvorderst ist daher stets zu prüfen, ob ein Verteilernetz im Sinne der EU-Richtlinie über den Elektrizitäts-Binnenmarkt, (EU) 2019/944, vorliegt. Dies ist ein Netz, das (1) der Weiterleitung von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung dient, welche (2) zum Verkauf an Großhändler und Endkunden bestimmt ist. Andere Kriterien dürfen aufgrund der autonomen und einheitlichen Auslegung des Unionsrechts nicht herangezogen werden.

Erfasst vom Kundenanlagenbegriff können daher allenfalls solche Leitungssysteme sein, die der Weiterleitung von Elektrizität dienen, die nicht zum Verkauf bestimmt ist, etwa Energieanlagen zur Eigenversorgung der Betreiber. Dies sind beispielsweise mit Erzeugungsanlagen verbundene Leitungssysteme, die von Eigentümern einer Wohnungseigentumsanlage oder Grundstückseigentümern gemeinsam betrieben und genutzt werden.

Der BGH sprach in dem zu entscheidenden Fall der in Rede stehenden Energiezentrale die Einordnung als Kundenanlage ab. Diese sollte nicht nur auf Kosten der Mieter errichtet und betrieben werden, sondern zugleich sollte auch der in den Anlagen erzeugte Strom an die Mieter als Letztverbraucher verkauft werden. Die Anlagen seien deshalb Bestandteil des allgemeinen Verteilernetzes und unterlägen daher der Regulierung, so der BGH.

Kontext der Entscheidung

Kundenanlagen als beliebtes Modell in der Dekarbonisierung

Kundenanlagen im Sinne des § 3 Nr. 24a und Nr. 24b EnWG können bisher günstigere Strompreise anbieten als das allgemeine Stromnetz, da es sich um regulierungsfreie Energieanlagen handelt. Netzentgelte und Umlagen fallen nicht an. Auch der Genehmigung des Netzbetriebes bedarf es nicht. So sollen Anreize zum Ausbau der Versorgung mit erneuerbaren Energien geschaffen und der Prozess der Dekarbonisierung vorangetrieben werden. Zuletzt basierten nicht nur Industrie- und Gewerbeparkts, Krankenhäuser, Campuskonzepte, sondern auch Einkaufszentren und Wohnquartiere auf diesem Modell.

Die Zäsur: Das EuGH-Urteil vom 28. November 2024

Dann folgte der große Knall: Mit Urteil vom 28. November 2024, C-293/23, stellte der EuGH klar: Die Kundenanlage, wie sie bisher im deutschen Recht geregelt ist, ist als Ausnahme vom Vorliegen eines Verteilernetzes (§ 3 Nr. 16 EnWG) nicht mit Unionsrecht vereinbar. Damit bestätigte der EuGH die Zweifel, die bereits bei der Vorlage der Frage durch den BGH anklangen.

Die Entscheidung sorgte für erhebliche Verunsicherung in der Branche. Insbesondere blieb nicht vollends absehbar, inwieweit nun die (bisherigen) Kundenanlagen überhaupt weiter als solche betrieben werden können oder ob sie vielmehr – mit erheblich größerem Aufwand – als allgemeines Verteilernetz behandelt werden müssen. Diese Neuordnung würde mit erheblichen finanziellen Konsequenzen einhergehen: Kundenanlagenbetreiber würden nicht mehr in den Vorteil der Privilegierungen kommen und müssten durch entsprechende Bildung von Rücklagen umgehend darauf reagieren. 

Mit seinen Entscheidungsgründen bestätigt der BGH die absehbare Veränderung, die das Modell der Kundenanlage nun erwartet – angesichts der Entscheidung des EuGH blieb ihm förmlich nichts anderes übrig.

Verbleibender Anwendungsbereich

In Zukunft ist der Begriff der Kundenanlage im Sinne von § 3 Nr. 24a EnWG stets im obigen Sinne richtlinienkonform auszulegen. Der Anwendungsbereich der Norm ist daher deutlich enger als bisher angenommen. Auch wenn dies dem Gesetzestext nicht unmittelbar zu entnehmen ist, habe der Gesetzgeber – so der BGH – seit Erlass der Norm eine Übereinstimmung mit unionsrechtlichen Vorgaben beabsichtigt. Die neue Lehrweise ist daher bereits jetzt – auch ohne Gesetzesänderung – möglich.

Für die Einordnung als Kundenanlage gibt es nun eine klare rote Linie: Sobald der Verkauf von Strom erfolgt, ist die Annahme einer Kundenanlage versperrt. Dann kann es sich nur noch um ein Verteilernetz handeln. Dieser danach verbleibende, deutlich reduzierte Anwendungsbereich dürfte dazu führen, dass die Kundenanlage erheblich an Relevanz für die Praxis verliert. Denn nur in wenigen Fällen dürfte das Leitungssystem nicht – zumindest teilweise – auch der Weiterleitung von Elektrizität dienen, die zum Verkauf bestimmt ist.

Durch die Beschränkung des Kundenanlagenmodells rücken die sich aus der Richtlinie ergebenden Alternativen in den Vordergrund: Bürgerenergiegemeinschaften und geschlossene Verteilernetze. Sie ermöglichen einen Ausweg aus der Regulierung – sind aber ebenfalls unter Berücksichtigung der EU-Richtlinie über den Elektrizitäts-Binnenmarkt (EU) 2019/944 anzuwenden.

Die Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung im Sinne von § 3 Nr. 24b EnWG war nicht Gegenstand des Verfahrens. Dennoch sind die in der Entscheidung getroffenen Grundsätze auch auf diese zu übertragen: § 3 Nr. 24b EnWG kann nur dann als Ausnahme zum Verteilernetz und damit zur Regulierung genutzt werden, wenn kein Verteilernetz vorliegt.

Ausblick

Wie zu erwarten war, mahnt der BGH zur unionsrechtskonformen Auslegung und Anwendung der deutschen Regelungen. Eine Aufhebung oder Änderung des § 3 Nr. 24a und Nr. 24b EnWG ist nach den Entscheidungsgründen somit nicht zwingend erforderlich.

Ob und wie der Gesetzgeber auf die Entscheidung reagiert, bleibt trotzdem offen. Mit Blick auf den verbleibenden geringen Anwendungsbereich ist abzuwarten, ob der Gesetzgeber die Regelungen in § 3 Nr. 24a EnWG (und entsprechend auch die Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung in § 3 Nr. 24b EnWG) nicht doch anfasst oder gar abschafft.

Bestehende Projekte, die bisher auf Basis des Kundenanlagen-Modells liefen, stehen nach wie vor auf dem Prüfstand. Betreibern von Kundenanlagen ist zu empfehlen, individuell und konkret zu prüfen, was sie tun können, um sich auf die neue Rechtsrealität einzustellen. Dabei dürfte insbesondere eine präventive finanzielle Abfederung der – voraussichtlich – entfallenden Privilegien einen hohen Stellenwert einnehmen. Auch bei anstehenden Investitionsentscheidungen sollten die BGH- und EuGH-Entscheidungen berücksichtigt werden. Für viele Betroffene dürfte es darauf hinauslaufen, sich als Betreiber eines geschlossenen Verteilnetzes aufzustellen. 

Eine zeitnahe Reaktion des Gesetzgebers wäre mit Blick auf das beliebte und weitverbreitete Modell der Kundenanlage zum besseren Verständnis wünschenswert. Auch Veröffentlichungen der Regulierungsbehörde könnten den betroffenen Betreibern Orientierung bieten. Die Bundesnetzagentur hatte zuletzt die Anwendbarkeit der Kundenanlage als Ganzes in Zweifel gezogen. So weit ist es nun nicht gekommen – eine aktualisierte Stellungnahme wäre trotzdem oder gerade deshalb wünschenswert. 

 

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