Kein Befreiungsanspruch der „Syndikusanwälte“ von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung

15.05.2014

[Köln, ] Das Bundessozialgericht (BSG) hat in drei Urteilen vom 3. April 2014 entschieden, dass abhängig bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber beschäftigte Rechtsanwälte (sog. „Syndikusanwälte“), deren Zahl in Deutschland laut „Handelsblatt“ immerhin etwa 40.000 beträgt, keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung haben. Die Entscheidungen des 5. Senats haben bei Anwalts-, Interessen- und Arbeitgebervertretern hohe Wellen geschlagen. Insbesondere ist eine Unsicherheit über die Reichweite und Konsequenzen der Urteile nicht nur für Rechtsanwälte, sondern auch für alle anderen in berufsständischen Kammern und Versorgungseinrichtungen organisierte Berufsgruppen entstanden.

Wir weisen darauf hin, dass die folgenden Ausführungen unter dem Vorbehalt der schriftlichen Urteilsbegründungen des BSG stehen. Mit deren Veröffentlichung ist nach Auskunft des Gerichts erst frühestens Ende Juni 2014 zu rechnen.

Befreiungsanspruch der Rechtsanwälte, insbesondere der „Syndikusanwälte“

Ausgangslage

„Syndikusanwälte“ sind als juristische Mitarbeiter bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber – etwa in den Rechtsabteilungen großer Unternehmen (sog. Inhouse-Juristen) – abhängig beschäftigt und damit gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Durch ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sind sie darüber hinaus Pflichtmitglieder sowohl in der für sie zuständigen Rechtsanwaltskammer als auch in dem jeweiligen anwaltlichen Versorgungswerk. In aller Regel haben sie – schon zur Vermeidung einer finanziellen Doppelbelastung – ein wirtschaftliches Interesse an einer Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht, um ausschließlich in die Kassen des anwaltlichen Versorgungswerks einzuzahlen. Dies hat den Hintergrund, dass die Versorgungswerke im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung kapitalgedeckt arbeiten und somit eine anders ausgestaltete, attraktivere Altersversorgung bieten. Verbleibt ein nicht von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreiter Anwalt in der Deutschen Rentenversicherung und muss daneben – ohne Arbeitgeberzuschuss – die Mindestbeiträge an das zuständige Versorgungswerk abführen, erhält er voraussichtlich trotz eines höheren finanziellen Aufwands eine geringere Altersrente, als wenn er ausschließlich in das Versorgungswerk einzahlen würde.

Die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt nur auf Antrag des betreffenden Rechtsanwalts. Ein Befreiungsanspruch steht diesem jedoch nur dann zu, wenn und soweit die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vorliegen. Diese Vorschrift regelt u.a.:

㤠6 Befreiung von der Versicherungspflicht

(1) Von der Versicherungspflicht werden befreit

1. Beschäftigte […] für die Beschäftigung […], wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglieder einer berufsständischen Kammer sind, …“

Ob und inwieweit die Tätigkeit von Unternehmensjuristen diese gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, ist in Rechtsprechung und juristischer Literatur seit jeher umstritten. Kernproblem ist in diesem Zusammenhang die Frage, inwiefern die Berufsgruppe der „Syndikusanwälte“ dem historisch gewachsenen und zugleich dynamischen Berufsbild des Rechtsanwalts entspricht.

Entscheidungen des Bundessozialgerichts

Nachdem die verschiedenen Landessozialgerichte zu voneinander abweichenden Ergebnissen gekommen waren, hat das BSG in den Urteilen vom 3. April 2014 die Befreiung der „Syndikusanwälte“ von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung vollständig abgelehnt und damit den jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen den Unternehmensjuristen und der Deutschen Rentenversicherung vorerst ein Ende gesetzt. Den Verfahren lag jeweils die Revision einer Unternehmensjuristin bzw. eines Unternehmensjuristen zugrunde, mit der diese/r sich gegen die ablehnende Entscheidung der beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund über einen Befreiungsantrag zur Wehr setzte (Az. B 5 RE 3/14 R; B 5 RE 9/14 R; B 5 RE 13/14 R).

Der 5. Senat des BSG verneinte in allen drei Verfahren ein Befreiungsrecht. Zur Begründung führte das Gericht aus, „Syndikusanwälte“ seien nicht „wegen der Beschäftigung“ (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) Pflichtmitglieder der Rechtsanwaltskammer und des Versorgungswerks. Aufgrund der Weisungsgebundenheit übten sie im Rahmen ihrer Beschäftigungsverhältnisse keine anwaltliche Tätigkeit aus. Nach der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zum Tätigkeitsbild eines Rechtsanwalts werde derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stehe, in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig (BVerfG, Beschluss vom 4. November 1992 – 1 BvR 79/85, NJW 1993, 317). Die Beschäftigung als „Syndikus“ stehe somit einer Tätigkeit als Rechtsanwalt zwar nicht entgegen, sei dieser aber auch nicht zuzurechnen. Unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit Rechtsanwalt sei der „Syndikusanwalt“ nur in seiner freiberuflichen, versicherungsfreien Tätigkeit außerhalb des Dienstverhältnisses (sog. Doppel- bzw. Zweiberufe-Theorie).

Das BSG knüpft in seinen Entscheidungen an den Gesetzeswortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI („wegen der Beschäftigung“) an, der voraussetze, dass die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und im berufsständischen Versorgungswerk wegen ein und derselben Beschäftigung bestehe. Gerade die jeweils in Rede stehende Beschäftigung müsse die Versicherungspflicht in beiden Sicherungssystemen auslösen. Da ein „Syndikusanwalt“ im Rahmen seines Anstellungsverhältnisses jedoch nicht als Rechtsanwalt tätig werde, sei er gerade nicht wegen dieser Beschäftigung Zwangsmitglied in Rechtsanwaltskammer und Versorgungswerk.

In seiner Begründung stellt das BSG zudem ausdrücklich klar, dass es auf die in der Rechtspraxis von der Deutschen Rentenversicherung entwickelte sog. „Vier-Kriterien-Theorie“ in diesem Zusammenhang nicht ankomme. Entscheidend soll daher nicht die Betrachtung des konkreten Einzelfalls dahingehend sein, ob und inwieweit der „Syndikusanwalt“ im Rahmen seiner abhängigen Beschäftigung rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd tätig wird.

Die fehlende Befreiungsmöglichkeit führt nach Ansicht des BSG auch nicht zu unverhältnismäßigen Nachteilen auf Seiten der betroffenen Berufsträger. Zwar entstehe durch den abgelehnten Befreiungsanspruch für die „Syndikusanwälte“ eine gewisse Doppelbelastung, da sie sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch – in Höhe des Mindestbeitrags – im anwaltlichen Versorgungswerk beitragspflichtig seien; darin sei, so das BSG, jedoch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung begründet.

Auswirkungen auf bestehende und neu zu begründende Anstellungsverhältnisse von „Syndikusanwälten“

Das BSG stellt ausdrücklich klar, dass diejenigen „Syndikusanwälte“, die zum Zeitpunkt der Entscheidungen vom 3. April 2014 bereits Inhaber einer positiven Befreiungsentscheidung des Rentenversicherungsträgers waren, ein rechtlich geschütztes Vertrauen in den Fortbestand dieser Entscheidungen haben und daher Bestandsschutz genießen. Somit hat die geänderte Rechtsaufassung des BSG zunächst einmal keine Auswirkungen auf diejenigen Unternehmensjuristen, denen für ihre derzeitige Tätigkeit ein Befreiungsbescheid erteilt worden ist.

Zu beachten ist jedoch, dass sich nach der Rechtsprechung des BSG die erteilte Befreiung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI stets auf die „jeweilige“ konkrete Beschäftigung beschränkt, für die sie erteilt worden ist (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 3/11 R, NJW 2013, 1624). Bei einem Wechsel der Beschäftigung, der nicht nur bei einem Arbeitgeberwechsel, sondern auch bei jeder wesentlichen Änderung des Tätigkeitsfeldes bei dem bisherigen Arbeitgeber gegeben ist, entfaltet die früher erteilte Befreiung hinsichtlich der neuen Beschäftigung keinerlei Wirkung. Mit der Befreiungsentscheidung erfolgt somit keineswegs eine umfassende Befreiung von der Versicherungspflicht auch für andere als die konkret ausgeübte Beschäftigung, da die Befreiung nicht personen-, sondern vielmehr tätigkeitsbezogen ist. Kommt es daher bei dem „Syndikusanwalt“ in der Zeit nach dem 3. April 2014 zu einem Wechsel des Arbeitgebers oder einer sonstigen erheblichen Veränderung der bisherigen Tätigkeit, die zur Entstehung einer „neuen“ Beschäftigung führt, entfällt der zunächst begründete Bestandsschutz und es muss ein neuer Befreiungsantrag für die neue Tätigkeit gestellt werden. Bei diesem neuen Antrag wird dann jedoch die durch die Entscheidungen des BSG vom 3. April 2014 veränderte Rechtslage zugrunde gelegt, so dass der „Syndikusanwalt“, falls er auch in seiner neuen Beschäftigung als Unternehmensjurist tätig werden sollte, nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit wird. Dieser Umstand dürfte vielen Unternehmensjuristen, die vor der Entscheidung für oder gegen einen Wechsel des Arbeitgebers bzw. einen Tätigkeitswechsel beim gleichen Arbeitgeber stehen, eine goldene Fußfessel anlegen, da sie der Gefahr ausgesetzt sind, die bestehende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für das neue Beschäftigungsverhältnis zu verlieren. Zu betonen ist jedoch, dass nicht bereits jede inhaltliche Änderung der Tätigkeit bei demselben Arbeitgeber zu einer „neuen“ Beschäftigung führt. Vielmehr muss diese Änderung wesentlich sein, so dass Bagatellfälle von vornherein kein neues Befreiungsantragserfordernis hervorrufen. So stellt beispielsweise, wie aus einem Rechtsprechungsreport der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 10. Januar 2014 hervorgeht, bei einem Arzt im Krankenhaus der Wechsel von einer Station auf die andere oder die Beförderung vom Stationsarzt zum Oberarzt keine wesentliche Änderung des Tätigkeitsfeldes dar. Auf den Fall des „Syndikusanwalts“ übertragen, liegt unserer Ansicht nach zwar z.B. bei der Versetzung von der Rechts- in die Personalabteilung desselben Unter-nehmens eine „neue“ Beschäftigung vor. Bei einer Versetzung in ein anderes Dezernat innerhalb der Rechtsabteilung dürfte hingegen kein neuer Befreiungsantrag erforderlich sein.

Gleiches gilt selbstverständlich für solche „Syndikusanwälte“, die zum Zeitpunkt des 3. April 2014 in keinem von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreiten Beschäftigungsverhältnis standen, daher von vornherein keinen Bestandsschutz genossen haben und nun eine Tätigkeit als Jurist bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber aufnehmen. Sie haben vor dem Hintergrund der neuen BSG-Rechtsprechung mit einer negativen Bescheidung ihres Befreiungsantrags zu rechnen.

Dies alles steht unter dem Vorbehalt, dass die Urteile des BSG einer etwaigen verfassungsgerichtlichen Überprüfung im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde, die bereits von mehreren Seiten angekündigt wurde, standhalten werden. Hierbei werden insbesondere die Fragen eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie der Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) im Vordergrund stehen. Bis zu einer etwaigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gilt es jedoch sich an der Grundentscheidung des BSG zu orientieren.

Haftungsrisiken

Bei der Neubegründung oder wesentlichen Veränderung einer Beschäftigung ist auf Arbeitgeberseite insgesamt das Haftungsrisiko zu beachten. Dies kann dann entstehen, wenn ein (neuer) Befreiungsantrag nicht gestellt wird, im Folgenden lediglich Beiträge an das jeweilige Versorgungswerk abgeführt werden und der Rentenversicherungsträger später die Beschäftigung als neues und nicht befreiungsfähiges Beschäftigungsverhältnis einstuft, welches von Anfang an die Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgelöst hat.

Zwar teilen sich grundsätzlich der Arbeitgeber und der versicherte Arbeitnehmer gemäß § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI die Beitragslast in der gesetzlichen Rentenversicherung im Innenverhältnis paritätisch, d.h. zu gleichen Teilen, die Zahlungspflicht trifft im Außenverhältnis jedoch gemäß § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV allein den Arbeitgeber. Für den zurückliegenden Zeitraum, in dem trotz fehlender Befreiung von der Versicherungspflicht keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt wurden, haftet daher grundsätzlich der Arbeitgeber, der bis zur Dauer von maximal fünf Jahren rückwirkend den gesamten Beitrag, also sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil, an den gesetzlichen Rentenversicherungsträger nachentrichten muss. Dies gilt selbst dann, wenn ihn an der Verzögerung der Beitragszahlung kein Verschulden trifft. Die jeweiligen Arbeitnehmeranteile kann der Arbeitgeber dabei maximal für die vergangenen drei Monate, in denen ein entsprechender Abzug unterblieben ist, von dem zu zahlenden Monatsgehalt einziehen, so dass er unter Umständen auch diese weitgehend selbst entrichten muss. Er ist sodann auf den Weg angewiesen, eine einvernehmliche Regelung mit dem betreffenden anwaltlichen Versorgungswerk dahingehend zu treffen, dass die dorthin zu Unrecht abgeführten Beiträge umgebucht und an den gesetzlichen Rentenversicherungsträger abgeführt werden. Eine Zustimmung des Arbeitnehmers ist hierfür nicht erforderlich.

Reichweite der Entscheidungen

Auswirkungen auf sonstige angestellte Rechtsanwälte

Die Auswirkungen der Entscheidungen des BSG dürften im Rahmen der Juristen weitgehend auf die Berufsgruppe der „Syndikusanwälte“, die in einem Beschäftigungsverhältnis mit einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber stehen, beschränkt bleiben. Nur bei diesen besteht das nach Ansicht des BSG unlösbare Spannungsverhältnis zwischen dem Berufsleitbild des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege einerseits und der Weisungsgebundenheit im Rahmen einer ständigen, auf den jeweiligen Arbeitgeber beschränkten Rechtsberatung andererseits, welches der Einordnung als anwaltliche Tätigkeit entgegensteht.

Vorbehaltlich der schriftlichen Urteilsbegründungen des BSG dürften demgegenüber die bei einem anwaltlichen Arbeitgeber beschäftigten Rechtsanwälte, insbesondere Associates in großen oder mittelständischen Sozietäten, in der Regel nicht davon betroffen sein. Trotz der auch für diese Berufsgruppe bestehenden Weisungsgebundenheit, die jedoch bereits ohnehin eine wesentliche Voraussetzung für das Merkmal der „Beschäftigung“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI darstellt und damit erst den Anwendungsbereich dieser Norm eröffnet, üben diese Angestellten weitgehend „originäre“, berufsspezifische Tätigkeiten eines Rechtsanwalts aus, in deren Wahrnehmung sie im Wesentlichen unabhängig und insbesondere – und das ist das entscheidende Merkmal – nicht auf die ständige Rechtsberatung ihres Arbeitgebers beschränkt sind. Dennoch bleibt abzuwarten, ob und inwieweit sich das BSG in den schriftlichen Urteilsgründen auch zu dieser Berufsgruppe äußern wird.

Auswirkungen auf sonstige Berufsgruppen

Bislang kaum diskutiert wurde die Frage, ob die von dem BSG vertretene Ablehnung eines Befreiungsanspruchs von „Syndikusanwälten” auch Auswirkungen auf andere Berufsgruppen hat, die ebenfalls in berufsständischen Kammern und in bundesweit insgesamt etwa 80 Versorgungseinrichtungen organisiert sind. Dies betrifft insbesondere die in einem Anstellungsverhältnis stehenden Angehörigen der verkammerten und „klassischen“ freien Berufe, also z.B. Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Architekten und Steuerberater.

Generell wird es auch bei diesen Berufsgruppen im Einzelfall auf die Frage ankommt, ob und inwieweit der jeweilige abhängig Beschäftigte eine berufsspezifische Tätigkeit ausübt, deretwegen er Zwangsmitglied in der für ihn zuständigen Kammer und Versorgungseinrichtung ist.

Bei den Heilberufen dürfte ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI auch weiterhin jedenfalls dann bestehen, wenn der angestellte Arzt eine originäre, spezifisch ärztliche Tätigkeit ausübt (z.B. Krankenhausarzt, angestellter Zahnarzt einer Zahnarztpraxis, Werksarzt). Trotz der bestehenden Bindung an Weisungen des jeweiligen Arbeitgebers nehmen diese Ärzte im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses berufstypische Aufgaben wahr und werden als Ärzte tätig. Bei ihnen dürfte die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und im berufsständischen Versorgungswerk gerade wegen ein und derselben Tätigkeit ausgelöst werden. Zudem dürfte das Leitbild der ärztlichen Berufe nicht mit dem (vor allem historisch gewachsenen) Berufsleitbild des Rechtsanwalts dahingehend vergleichbar sein, dass sich Anstellungsverhältnis und berufsspezifisch ärztliche Tätigkeit grundsätzlich gegenseitig ausschließen würden. Das ärztliche Berufsbild ist charakterisiert durch die Ausübung der Heilkunde und setzt nicht zwingend eine Selbständigkeit voraus. Vielmehr ist auch der angestellte Arzt in seiner eigentlichen „handwerklichen“ (Behandlungs-)Tätigkeit unabhängig und im Wesentlichen nur den Regeln der ärztlichen Kunst unterworfen. Gleiches dürfte auch für Apotheker gelten. Üben Ärzte oder Apotheker jedoch keine klassisch berufsspezifischen Tätigkeiten aus (z.B. Lehr- bzw. Dozententätigkeiten an Hochschulen, kaufmännischer Direktor eines Krankenhauses, Grundlagenforscher in einem Pharmaunternehmen), scheidet eine Befreiung – wie auch nach der bisherigen Rechtsprechung – aus. Insgesamt dürften die Entscheidungen des BSG auf die Heilberufe daher grundsätzlich keine Auswirkungen haben.

Ebenso wenig dürften Folgen für die Berufsgruppe der Architekten zu erwarten sein. Die Verwaltungspraxis geht hier im Regelfall davon aus, dass sie bei Angabe der Berufsbezeichnung „Architekt“, „Innenarchitekt“ oder „Landschaftsarchitekt“ eine für den Kammerberuf typische (und damit befreiungsfähige) Berufstätigkeit ausüben, da sie unter dieser Berufsbezeichnung nur tätig werden dürfen, wenn sie in der Architektenliste der Berufskammer eingetragen sind. Dies gilt unabhängig von einem bestehenden Anstellungsverhältnis. Sollte ein Architekt nicht unter einer der genannten Berufsbezeichnungen tätig sein, greift die Regelvermutung nicht ein, so dass im Einzelfall danach zu fragen ist, ob er eine berufsspezifische Tätigkeit ausübt.

Für unternehmensintern beschäftigte Steuerberater dürfte aufgrund der Nähe zum Berufsbild des Rechtsanwalts hingegen die Möglichkeit bestehen, dass die Rechtsprechung auch bei „Syndikussteuerberatern“ nunmehr davon ausgeht, dass sie innerhalb ihrer Beschäftigungsverhältnisse nicht als Steuerberater tätig werden und daher nicht wegen dieser Beschäftigung Mitglieder in der berufsständischen Kammer und Versorgungseinrichtung sind. Zwar geht die bisherige Verwaltungspraxis auch hier im Regelfall davon aus, dass Steuerberater bei Angabe dieser Berufsbezeichnung eine berufstypische Tätigkeit ausüben. Es besteht jedoch die Gefahr, dass vor dem Hintergrund der Entscheidungen des BSG ein Befreiungsanspruch künftig verneint wird, da man sich auf den Standpunkt stellen könnte, dass das Berufsbild des Steuerberaters nicht mit der Steuerberatung ausschließlich gegenüber dem Arbeitgeber und mit der Weisungsgebundenheit innerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses zu vereinbaren ist, welches mit einem nicht spezifisch steuerberatenden Arbeitgeber besteht.

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