Brexit – Mögliche Auswirkungen auf Finanzierungsverträge

16.10.2018

Dr. Thomas Lange

Deal or no deal?

Am 29. März 2017 hat das Vereinigte Königreich dem Europäischen Rat seine Absicht mitgeteilt, aus der EU auszutreten. Die Mitteilung hat eine Zweijahresfrist in Gang gesetzt, innerhalb derer eine Einigung über die Einzelheiten des Austritts zu erfolgen hat (deal). Betrachtet man den bisherigen Verlauf der Verhandlungen möchte man ergänzen: oder auch nicht (no deal). Im letzteren Fall würde das Vereinigte Königreich ohne Regelung aus der EU ausscheiden.

Es verwundert nicht, dass das Brexit-Referendum und die Unsicherheit, ob es bis zum 29. März 2019, wie von dem Vereinten Königreich gewünscht, zu einem deal und einer Übergangsphase bis Ende 2020 kommt und, wenn ja, wie der praktische Ablauf erfolgt, zu einer erheblichen Verunsicherung der Marktteilnehmer geführt haben. Nachdem sich die Lage zwischenzeitlich etwas beruhigt hatte, scheint diese Unsicherheit derzeit mit dem sich nähernden Austrittsdatum ohne wesentliche Verhandlungsfortschritte und bindende beidseitige Vereinbarungen wieder zuzunehmen.

Dieser Beitrag stellt kurz ausgewählte Aspekte dar, die im Zusammenhang mit Finanzierungsverträgen aktuell diskutiert werden.

"Die Brexit-Klausel"

Im unmittelbaren Nachgang zum Brexit-Referendum haben wir vereinzelt Anfragen nach "der Brexit-Klausel" erhalten.

Tatsächlich sind der Brexit und seine Konsequenzen zu komplex, um einen Vertrag mit einer Klausel "brexitfest" zu machen. Vielmehr werden im Zweifel mehrere vertragliche Regelungen betroffen sein.

Bei Finanzierungsverträgen nach dem Standard der Loan Market Association ist dabei beispielhaft an Steuerklauseln, eine etwaige Notwendigkeit einer Bail-in Klausel nach Art. 55 BRRD sowie Bezugnahmen auf "the European Union" oder europäische Richtlinien zu denken.

Rechtswahl- und Gerichtsstandsklauseln

Ein weiteres wichtiges Thema sind Rechtswahl- und Gerichtsstandsklauseln.

Im europäischen Finanzierungsgeschäft vereinbaren die Parteien bei Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug häufig die Geltung englischen Rechts. Ein Grund ist sicherlich die Bedeutung des Finanzplatzes London für das Finanzierungsgeschäft. Daneben werden englischem Recht ein hohes Maß an Vertragsfreiheit und die Aufrechterhaltung des Parteiwillens nachgesagt. Da diese Gründe unabhängig von der EU-Mitgliedschaft sind und mit geringem europäischem judikativen Einfluss entstanden sind, spricht einiges dafür, dass die Geltung englischen Rechts in diesen Fällen auch weiterhin vereinbart wird. Für nationale Sachverhalte ist angesichts der bestehenden Unsicherheit demgegenüber regelmäßig die Wahl nationalen Rechts zu empfehlen.

Etwas anders sieht es für Gerichtsstandsklauseln aus. In der EU ist die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckbarkeit von gerichtlichen Entscheidungen per EU-Verordnung geregelt. Werden keine neuen anderweitigen Vereinbarungen getroffen, wird das Vereinigte Königreich nach dem Brexit die Position eines Drittstaates erhalten. Die Vollstreckbarkeit der Urteile wird sich dann an der innerstaatlichen Regelung des jeweiligen EU-Mitgliedstaates orientieren. Zur Vermeidung von Risiken bei der Rechtsdurchsetzung und Rechtsverfolgung ist daher in Finanzierungsverträgen zukünftig die Vereinbarung eines nicht-englischen Gerichtsstands zu erwägen.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang das bereits im August 2017 von der britischen Regierung veröffentlichte Future Partnership Paper. Darin äußert diese ihr Bestreben nach einer engen und umfassenden Vereinbarung über die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. So ist bspw. geplant, die Rom I- und Rom II-Verordnungen über das auf vertragliche bzw. außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in das englische Recht aufzunehmen. Letzteres Vorhaben ist auch in dem am 19. März 2018 durch die Europäische Kommission veröffentlichten Entwurf eines Austrittsabkommens verankert, welches die weitere Anwendung dieser beiden Verordnungen für Verträge, die vor Ablauf der Übergangszeit abgeschlossen wurden, und hinsichtlich außervertraglicher Schuldverhältnisse auf vor Ablauf der Übergangszeit eintretende schadensverursachende Ereignisse regelt. Im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen, hinsichtlich welcher es maßgeblich auf das jeweilige Szenario (deal or no deal) ankommen wird, soll auf allgemeinere Abkommen, wie das Luganer Übereinkommen und die Haager Konvention, abzustellen sein. Auch diesbezüglich ist in dem ebenfalls am 19. Juni 2018 veröffentlichen gemeinsamen Statement zum Entwurf eines Austrittsabkommens die Anwendung der Brüssel I-Verordnung auf vor dem Ende der Übergangszeit eingeleitete Verfahren und in diesen ergangenen Urteile vorgesehen.

Europäischer Pass

Aus regulatorischer Sicht ist für Kredit- und Finanzdienstleistungs-unternehmen zu beachten, dass die Möglichkeit zur Erbringung von Dienstleistungen in anderen EU-Mitgliedstaaten allein aufgrund des sog. europäischen Passes und ohne eigene Niederlassung vor Ort wegfällt.

Dies betrifft einerseits Institute in Kontinental-Europa, die Geschäfte im Vereinigten Königreich machen. Noch bedeutender dürfte dies für britische Banken sein, die ohne Übergangsregelungen mit dem Brexit keine Dienstleistungen mehr in anderen EU-Mitgliedstaaten erbringen dürfen. Britische Banken und Auslandbanken, Wertpapierunternehmen sowie Versicherer, die bisher aufgrund ihres Sitzes im Vereinigten Königreich von dem europäischen Pass profitiert haben, müssten zur weiteren Ausführung uneingeschränkter Tätigkeiten eigens von der EU autorisierte Institute gründen. Der Presse ist zu entnehmen, dass davon bislang offenbar nur vereinzelt Gebrauch gemacht wurde.

Der drohende Wegfall des Rechts zur grenzüberschreitenden Kreditvergabe ist insbesondere für neue Finanzierungsverträge zu beachten: Finanzierungsverträge im internationalen Kreditgeschäft enthalten üblicherweise Klauseln, welche bei Ungesetzlichkeit der Kreditvergabe eine vorzeitige Rückzahlung des Kredits vorsehen. Bei Verlust ihrer Lizenz könnte es Kreditgebern rechtlich unmöglich werden, ihr vertraglich verankertes Pflichtenprogramm zu erfüllen. Lösungen könnten in der Übertragung von Rechten und Pflichten auf Zweigniederlassungen der an dem Kreditvertrag beteiligten Parteien, in denen der europäische Pass weiterhin gilt, Implementierung vertraglicher Austrittsrechte oder die Einteilung von Kreditgebern und Kreditnehmern in Tranchen (tranching structures) mit dem Ziel der einzelfallbezogenen und rechtlichen Anforderungen entsprechenden Zuteilung zu finden sein..

Soweit neue Finanzierungsverträge für kleinere Finanzierungen keine Regelung für den Fall enthalten sollten, dass die Kreditvergabe ungesetzlich wird, ist zu empfehlen, eine solche aufzunehmen. Andernfalls besteht Rechtsunsicherheit, wenn der Kreditgeber seine Lizenz zu Zeiten der Kreditlaufzeit verliert.

Obwohl auch hinsichtlich des Verlustes des europäischen Passes eine Übergangsregelung bis Ende 2020 getroffen werden könnte, müssen sich Institute darauf einstellen, dass für den Ablauf der Periode keine Regelungen getroffen werden. Die britische Regierung will erforderlichenfalls nach der Übergangsphase Gesetze erlassen, die Regelungsrahmen hinsichtlich notwendiger Genehmigungen der britischen Regulierungsbehörden vorsehen. Deren Ausgestaltung ist jedoch – auch mangels publizierter Äußerungen der EU - noch völlig unklar.

Fazit – Abwarten und Tee trinken?

Bereits die wenige Beispiele zeigen, dass der Brexit zwar eine Vielzahl von Fragen aufwirft. Angesichts der Ungewissheit über die Ergebnisse der Austrittsverhandlungen lassen sich allerdings nur die wenigsten davon derzeit konkret beantworten. Bei Inkrafttreten eines Austrittsabkommens mit den o.g. zur Anwendung kommenden Regelungen bzgl. von Verträgen, Ereignissen und Verfahren, die ihren Anknüpfungspunkt vor der Übergangszeit haben, ist zumindest hinsichtlich dieser eine gewisse Rechtssicherheit gegeben. Im Einzelfall erfordern die Genehmigungsanforderungen jedoch umfassende rechtliche Analysen, die letztlich auch von lokalen Faktoren und der Risikobereitschaft der jeweiligen Institute beeinflusst werden. Da derzeit immer noch keine Details eines Austritts feststehen und sich die EU – wohl aus politischem Kalkül – in vielerlei Hinsicht mit verpflichtenden Statements zurückhält, kann der allgemeine Ratschlag nur lauten, die weiteren Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen. Von besonderen Fallgestaltungen abgesehen, dürfte aber derzeit in der Regel kein Anlass bestehen, bestehende Verträge anzupassen.

Beim Neuabschluss von Verträgen, deren Laufzeit über das erwartete Datum eines Brexit hinausgeht, sollte man demgegenüber prüfen, ob und inwieweit einzelne Regelungen zu modifizieren sind, um jedenfalls gewisse vertragliche Vorsorge für den Austritt des Vereinigen Königreichs aus der EU zu treffen und das Risiko von potenziellen nachteiligen Auswirkungen durch Anpassungen zu minimieren.

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