Zulässigkeit der vorzeitigen Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern (OLG Zweibrücken, Urteil vom 03.02.2011, 4 U 76/10, NZG 2011, S. 433)

17.10.2011

[] Nach § 84 Abs. 1 S. 3 AktG dürfen Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit durch den Aufsichtsrat wiederholt bestellt werden und dass jeweils nur für höchstens weitere fünf Jahre.

Weit verbreitet ist freilich die Praxis, die Amtszeit vorzeitig zu verlängern. Hierbei wird schon vor Beginn des letzten Jahres der ursprünglichen Amtszeit einvernehmlich die Bestellung des betreffenden Vorstandsmitglieds durch Beschluss des Aufsichtsrats aufgehoben und dieses sogleich für eine weitere Amtszeit von bis zu fünf Jahren wieder zum Mitglied des Vorstands bestellt. Geschieht dies im Zusammenhang mit erwarteten Veränderungen im Aufsichtsrat, die eine Wiederbestellung im Fall des regulären Ablaufs der Amtszeit zweifelhaft erscheinen lassen, oder gar in einer Übernahmesituation, stoßen diese Beschlüsse zunehmend auch in der Öffentlichkeit auf harsche Kritik.

1. Rechtsgrundlagen

Der Wortlaut des § 84 Abs. 1 S. 3 AktG steht der beschriebenen Praxis nicht ohne Weiteres entgegen. Denn durch die vorzeitige Verlängerung bis zu wiederum höchstens fünf Jahren wird die durch § 84 AktG beschränkte Höchstdauer der Bestellung nicht überschritten. Im Gegenteil: Die Amtszeit wird auf diese Weise zunächst verkürzt und sodann wieder durch Aufsichtsratsbeschluss unter Beachtung der gesetzlichen Höchstdauer erneuert. Durch die sofortige Aufhebung der ursprünglichen Bestellung wird auch die Jahresfrist des § 84 Abs. 1 S. 3 AktG nicht überschritten. Denn die ursprüngliche Bestellung endet spätestens zeitgleich mit dem Beschluss über die Wiederbestellung.

Für börsennotierte Aktiengesellschaften sieht Ziff. 5.1.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) lediglich vor, dass eine vorzeitige Wiederbestellung des Vorstands nur bei Vorliegen besonderer Umstände erfolgen soll. Diese Regelung unterstellt somit die grundsätzliche Zulässigkeit der vorzeitigen Neubestellung

2. Literatur

Das Bild in der Literatur ist unentschieden. Die neuere Literatur kommt wohl überwiegend zu dem Ergebnis, dass jedenfalls bei Vorliegen besonderer Umstände die vorzeitige Neubestellung mit § 84 AktG vereinbar sei. Die Regelung in Ziff. 5.1.2 DCGK beruht auf dieser Auffassung.

3. Rechtsprechung

Obwohl die nunmehr durch das OLG Zweibrücken (nachfolgend „OLG") entschiedene Frage von großer praktischer Bedeutung ist, bestand bisher kaum Gelegenheit, sie gerichtlich klären zu lassen. Das OLG Hamm hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1991 die Zulässigkeit der vorzeitigen Verlängerung der Amtszeit ausdrücklich offen gelassen, zeigte hierfür aber durchaus Sympathien. Dem entgegen hat das AG Duisburg (NZI 2008, 621, 622) die vorzeitige Neubestellung als unzulässige vorsätzliche Umgehung des § 84 Abs. 1 S. 3 AktG gewertet. Mit der Entscheidung des OLG Zweibrücken liegt nunmehr – soweit ersichtlich – die erste Berufungsentscheidung zu dieser Frage vor. Wie zuvor bereits das AG Duisburg gelangt das OLG zur Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses über die vorzeitige Neubestellung des Vorstands gem. § 134 BGB wegen Umgehung des gesetzlichen Verbotes des § 84 Abs. 1 S. 3 AktG. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Einen Tag vor der Hauptversammlung, in der der Aufsichtsrat neu gewählt werden sollte, beschloss der alte Aufsichtsrat die noch ca. drei bzw. vier Jahre laufende Amtszeit zweier Vorstände einvernehmlich aufzuheben und diese Vorstände erneut für die Dauer von fünf Jahren zu bestellen. Das OLG stellte die Nichtigkeit wegen Gesetzesumgehung fest, wobei es auf das Vorliegen besonderer Umstände entsprechend Ziff. 5.1.2 DCGK nicht ankäme. Das OLG stützt sich insbesondere darauf, dass eine verantwortliche Prüfung des Aufsichtsrats vor der Verlängerung der Amtszeit eines Vorstandsmitglieds voraussetze, dass dieses sich über einen gewissen Zeitraum bewährt habe. Damit – so das OLG – sei es unvereinbar, dass der Aufsichtsrat nach Belieben den Zeitpunkt der Neubestellung vorverlegen könne. Des Weiteren sieht das OLG die Gefahr, dass der nur einen Tag später gewählte neue Aufsichtsrat durch „vollendete Tatsachen" gebunden werden sollte. Eine mögliche Ausnahme sieht das OLG nur für den Fall der Neubestellung bereits langjährig bewährter Vorstandsmitglieder. Da dies im entschiedenen Fall nicht so war, ließ das Gericht die Einzelheiten offen.

4. Kritik an der Entscheidung des OLG Zweibrücken

Es darf bezweifelt werden, dass mit der Entscheidung des OLG die offenen rechtlichen Fragen nunmehr geklärt sind. Die Begründung der Entscheidung wird in der Literatur angegriffen. Soweit das Gericht eine pflichtgemäße Entscheidung des Aufsichtsrats über die Neubestellung deswegen als gefährdet betrachtet, weil zur sachgerechten Beurteilung eine „Bewährungszeit" für das Vorstandsmitglied zu verlangen sei, lässt sich das kaum aus § 84 AktG ableiten. Nach allgemeiner Auffassung regelt diese Vorschrift nur die Höchstdauer von fünf bzw. sechs Jahren, aber keine Mindestamtszeit. Offen blieb zudem, ob die Nichtigkeit nur den Beschluss über die (vorzeitige) Wiederbestellung erfasst oder entsprechend § 139 BGB auch den Beschluss über die sofortige Aufhebung der laufenden Bestellung. In der ersten Alternative würde das Vorstandsmitglied ungewollt sofort aus dem Amt ausschieden. Das OLG scheint aber ohne weitere Begründung von der Gesamtnichtigkeit auszugehen. Damit bliebe zumindest die ursprüngliche Amtszeit trotz ihrer Aufhebung unangetastet.

Grundsätzlich stellt sich daher die Frage, ob die vom OLG angeführten Überlegungen zur generellen Unzulässigkeit wegen Umgehung des § 84 AktG führen können. Richtig erscheint es vielmehr, den von dem OLG zu Recht gesehenen Gefahren im Rahmen des pflichtgemäßen Verhaltens der Aufsichtsratsmitglieder zu begegnen. Beruht der Beschluss zur vorzeitigen Verlängerung der Amtszeit auf sachwidrigen, nicht im Interesse der Gesellschaft liegenden Erwägungen, kommt die Schadensersatzpflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats gem. §§ 116, 93 AktG in Frage. Über eine Schadensersatzpflicht hinaus könnte der Bestellungsbeschluss sodann unter dem Gesichtspunkt des rechtsmißbräuchlichen Verhaltens unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nichtig sein.

Praktische Bedeutung würde dies auch im Hinblick auf die Beweislastverteilung gewinnen. Danach müssten sich die Mitglieder des Aufsichtsrats zur Vermeidung einer Schadensersatzpflicht entlasten und nachweisen, dass sie die vorzeitige Neubestellung pflichtgemäß im Interesse der Gesellschaft beschlossen haben. Hierdurch alleine würde jedoch die Wirksamkeit des Bestellungsbeschlusses nicht berührt. Für die Frage, ob der Beschluss des Aufsichtsrats über die vorzeitige Neubestellung wegen rechtsmißbräuchlichen Verhaltens nichtig ist, wäre sodann der jeweilige Kläger, der sich auf die Rechtsmißbräuchlichkeit beruft, darlegungs- und beweispflichtig.

5. Praxishinweis

Bis zur endgültigen Entscheidung des BGH ist der Praxis zu raten, sich an der Entscheidung des OLG Zweibrücken zu orientieren. Von vorzeitigen Neubestellungen sollte daher vorsorglich generell Abstand genommen werden. Allenfalls bei der Verlängerung der Amtszeit langjährig bewährter Vorstandsmitglieder könnte bei Vorliegen besonderer Umstände im Interesse der Gesellschaft etwas Anderes gelten. In jedem Fall sollte der Aufsichtsrat aus Nachweisgründen die besonderen Umstände, auf denen eine etwaige vorzeitige Neubestellung gründet, belegen und in seinen Beschluss aufnehmen.

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