[] Urlaubsansprüche können in gewissem Umfang auch dann verfallen, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses fortgedauert hat. Der Urlaubsanspruch muss aber zumindest für den Übertragungszeitraum fortbestehen, der dem Zweck des Urlaubsanspruchs auf Erholung gerecht wird. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn eine Übertragungsmöglichkeit für achtzehn Monate nach Ende des Urlaubsjahres vorgesehen ist. Es steht den Mitgliedstaaten der EU aber frei, unter Beachtung der Grenzen der Richtlinie auch einen anderen Übertragungszeitraum vorzusehen, der diesen Zweck wahrt (Schlussanträge der Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs vom 07.07.2011 – C-214/10, Rechtssache „Schulte").
Problem
In der Rechtssache „Schulte" hat die Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof am 7. Juli 2011 ihren Schlussantrag gestellt. Darin regt sie eine Einschränkung der im Newsletter 1/2009 besprochenen Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache „Schultz-Hoff" an. Der Gerichtshof hatte damals entschieden, dass der europarechtlich gewährte Mindesturlaub nicht verfallen darf, sofern der Arbeitnehmer diesen wegen einer ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit nicht in Anspruch nehmen kann. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat auch das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung mit der im Newsletter 2/2009 behandelten Entscheidung vom 24. März 2009 angepasst.
Seither gilt für das deutsche Recht, dass Urlaubsansprüche nicht mehr mit Ablauf des 31. März des Folgejahres verfallen, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub wegen einer über diesen Übertragungszeitraum hinausgehend andauernden Arbeitsunfähigkeit nicht in Anspruch nehmen konnte. Sowohl der Europäische Gerichtshof als auch das Bundesarbeitsgericht haben sich hierbei bislang nicht festlegen müssen, ob eine Höchstgrenze für den Fortbestand von Urlaubsansprüchen gilt oder ob diese ungehindert kumulieren. Von deutschen Instanzgerichten wurde in der Folge die Auffassung vertreten, dass bei langjähriger Arbeitsunfähigkeit die Urlaubsansprüche mehrerer Jahre unbegrenzt angesammelt werden und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in voller Höhe abzugelten seien. Beispielsweise hat das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 7. Dezember 2010 einem Arbeitnehmer nach dauerhafter Arbeitsunfähigkeit über 13 Jahre einen Abgeltungsanspruch in Höhe von 314 Urlaubstagen und damit eine über ein Jahresgehalt hinausgehende (!) Zahlung zugesprochen.
Dies wird zu Recht als ungerechtfertigte finanzielle Belastung für Arbeitgeber kritisiert. Die Rechtsprechung erweist sich letztlich aber auch als Bärendienst für betroffene Arbeitnehmer, da bei längerfristigen Erkrankungen Unternehmen nun aus Kostengründen stets den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung erwägen müssen. Bislang konnte das Arbeitsverhältnis nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums mehr oder weniger kostenneutral aufrecht und dem Arbeitnehmer damit eine Rückkehrmöglichkeit erhalten werden. Auf Grundlage der neueren Rechtsprechung sind nun indes für jedes weitere Jahr der Arbeitsunfähigkeit Rückstellungen für die entstehenden aber keinem Verfall unterliegenden Urlaubsansprüche zu bilden.
Schlussantrag der Generalanwältin
Die Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof hat in ihrem Schlussantrag vom 7. Juli 2011 vorgeschlagen, diese Rechtsprechung einzuschränken. Sie befürwortet, dass Urlaubsansprüche auch bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nach einem Übertragungszeitraum verfallen können. Voraussetzung sei aber, dass der Übertragungszeitraum so bemessen ist, dass „dem Zweck des primären Anspruchs auf Erholung" noch Rechnung getragen wird. Als zeitliche Grenze orientiert sich die Generalanwältin dabei an einem Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), wonach Urlaubsansprüche 18 Monate nach Ende des Kalenderjahres verfallen können. Die Generalanwältin will den nationalen Rechtsordnungen daher ermöglichen, eine entsprechende Verfallsregelung vorzusehen und regt hierfür einen Übertragungszeitraum von 18 Monaten an. Legt man die von der Generalanwältin vorgeschlagene Begrenzung auf 18 Monate zugrunde, könnten dauerhaft arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer im Ergebnis damit maximal den 2,5-fachen Jahresurlaub ansparen.
Anmerkung
In aller Regel folgt der Europäische Gerichtshof in seinen Entscheidungen den Schlussanträgen der Generalanwaltschaft. Auch wenn die in den nächsten Monaten erwartete Entscheidung der Kammer abzuwarten bleibt, darf deshalb mit einem entsprechenden Urteil aus Luxemburg gerechnet werden. Der Europäische Gerichtshof würde damit die überschießenden Folgen seiner „Schultz-Hoff"-Rechtsprechung auf ein für Arbeitgeber zumindest erträglicheres Maß beschränken.
Allerdings ist noch unklar, ob das zu erwartende Urteil des Europäischen Gerichtshofs sich unmittelbar auf das deutsche Urlaubsrecht auswirken wird. Das Gemeinschaftsrecht gibt letztlich nur Mindestansprüche der Arbeitnehmer vor, weshalb die einzelnen Mindeststaaten darüber hinausgehende Ansprüche vorsehen dürfen. Ein von der Generalanwältin für ausreichend gehaltener 18-monatiger Übertragungszeitraum ist im deutschen Urlaubsgesetz indes bislang nicht geregelt. Vielmehr ist allein der – nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs zu kurz bemessene und daher in Fällen langandauernder Arbeitsunfähigkeit nicht anzuwendende – Übertragungszeitraum von drei Monaten vorgesehen. Es wird daher auch nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs noch abzuwarten sein, ob und wie eine entsprechende Begrenzung für die Ansammlung von Urlaubsansprüchen seinen Weg in das deutsche Recht findet. Denkbar ist zwar einerseits eine an europarechtlichen Vorgaben orientierte Rechtsfortbildung durch die deutschen Gerichte. Da eine entsprechende Auslegung des deutschen Rechts im Wortlaut des Urlaubsgesetzes allerdings keine rechte Stütze findet, ist andererseits nicht auszuschließen, dass der Ruf nach dem Gesetzgeber nötig wird.