Wie geht es weiter bei der Arbeitnehmerüberlassung? Referentenentwurf des BMAS zur Regulierung von Fremdpersonaleinsätzen vom 16. November 2015

17.12.2015

Einleitung

Bereits im Koalitionsvertrag der laufenden Wahlperiode des Deutschen Bundestags hat die "Große Koalition" Änderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) sowie die Einführung von Kriterien zur Abgrenzung eines ordnungsgemäßen von einem missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz vereinbart (S. 69 des Koalitionsvertrags). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat dem Bundeskanzleramt hierzu am 16. November 2015 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze vorgelegt (im Folgenden AÜG-E, BGB-E, BetrVG-E), der zum Teil heftige Kritik ausgelöst hat.

Überblick über die Änderungen

Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, sollen Leiharbeitnehmer zukünftig nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate an denselben Entleiher überlassen werden können (§ 1 Abs. 1b AÜG-E). Eine vorherige Überlassung soll auf diese Höchstüberlassungsdauer angerechnet werden, wenn zwischen den Einsätzen bei demselben Entleiher nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Eine Abweichung von der Höchstüberlassungsdauer soll jedoch in Tarifverträgen oder aufgrund solcher Tarifverträge in Betriebs- oder Dienstvereinbarungen vereinbart werden können. Die geplante Neuregelung stellt für diese Abweichung entsprechend den Vorgaben des Koalitionsvertrags auf Tarifverträge der Einsatzbranche ab und verlangt damit auch eine entsprechende Tarifbindung des Entleihers (vgl. auch die Begründung des Entwurfs, S. 19). Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen - was sich im Wortlaut des Entwurfs nicht entsprechend widerspiegelt - die Tarifverträge wiederum eine Überlassungshöchstdauer vorsehen müssen (S. 20 der Begründung des Entwurfs).

Der Verstoß gegen die Höchstüberlassungsdauer kann nach dem Referentenentwurf zum Entzug der Überlassungserlaubnis führen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG-E) und stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 16 Abs. 1 Nr. 1d AÜG-E). Darüber hinaus soll das Überschreiten der Höchstüberlassungsdauer nach dem Entwurf ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher begründen (§ 10 Abs. 1 i.V.m. § 9 Nr. 1b AÜG-E). Dem betroffenen Leiharbeitnehmer wird hiergegen ein einmonatiges Widerspruchsrecht beginnend ab dem Zeitpunkt des Überschreitens der Überlassungshöchstdauer eingeräumt.

Entsprechend den Vorgaben des Koalitionsvertrags sieht der Referentenentwurf darüber hinaus vor, dass Leiharbeitnehmer künftig nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers zwingend gleichzustellen sind (sog. Gleichstellungsgrundsatz). Die bisher im AÜG vorgesehene Abweichungsmöglichkeit vom Gleichstellungsgrundsatz mittels Tarifverträgen soll hierfür entsprechend zeitlich befristet werden (§ 8 Abs. 4 AÜG-E). Gilt für das Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag, der nach einer Einarbeitungszeit von sechs Wochen eine stufenweise Heranführung des Arbeitsentgelts an die Vergütung eines vergleichbaren Arbeitnehmers des Entleihers vorsieht, ist eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz hingegen für eine Einsatzdauer von zwölf Monaten möglich. Auch im Rahmen dieser geplanten Regelungen soll eine vorherige Überlassung an denselben Entleiher auf diese Fristen angerechnet werden, wenn zwischen den Einsätzen bei demselben Entleiher nicht mehr als sechs Monate liegen.

Auch der Verstoß gegen den Gleichstellungsgrundsatz würde nach dem Referentenentwurf (u.a.) ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher begründen (§ 10 Abs. 1 i.V.m. § 9 Nr. 2, § 8 AÜG-E). Ob diese Rechtsfolge beabsichtigt ist, ist jedoch fraglich. Die Begründung des Entwurfs lässt sie jedenfalls unerwähnt. Im Gegensatz zu den weiteren im Entwurf neu aufgenommenen Fiktionen eines solchen Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher sieht der Entwurf überdies einzig im Fall des Verstoßes gegen den Gleichstellungsgrundsatz kein Widerspruchsrecht des Leiharbeitnehmers vor.

Mit dem Ziel, etwaigen Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen zu verhindern und die Prüftätigkeit von Behörden zu erleichtern, wurde u.a. für die Abgrenzung von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung in § 611a Abs. 1 BGB-E eine Legaldefinition des Arbeitsverhältnisses aufgenommen. In Abs. 2 des neu geschaffenen § 611a BGB-E wurden zudem Abgrenzungskriterien aufgenommen, die im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, maßgeblich sein sollen. Die Aufzählung ist allerdings nicht als abschließend anzusehen.

Über die Vorgaben des Koalitionsvertrags hinausgehend, sieht § 611a Abs. 3 BGB-E ferner vor, dass das Bestehen eines Arbeitsvertrags widerleglich vermutet wird, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund im Rahmen eines sog. Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat. Dieser stark kritisierte Vermutungstatbestand soll unabhängig davon gelten, ob die Statusentscheidung der Rentenversicherung bereits bestandskräftig ist (vgl. auch die Begründung des Entwurfs, S. 32).

Darüber hinaus enthält der Gesetzesentwurf Neuregelungen zur sog. verdeckten Arbeitnehmerüberlassung. Bei dieser wird von den Parteien eine Vertragsleistung als Werk- oder Dienstvertrag bezeichnet, die tatsächlich als Arbeitnehmerüberlassung anzusehen ist. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass verdeckte Arbeitnehmerüberlassung der unerlaubten, d.h. einer ohne Erlaubnis betriebenen Arbeitnehmerüberlassung gleichgestellt wird. Bislang wurde in der Praxis versucht, die Einordnung einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung als unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung und die damit verbundenen Rechtsfolgen zu vermeiden, indem der Werkunternehmer oder Dienstleister eine "vorsorgliche" Verleiherlaubnis besaß (sog. "Vorratserlaubnis", auf die Verleiher sich nach der Rechtsprechung einiger Ge-richte wegen Treuwidrigkeit nicht berufen können sollen, vgl. etwa LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 3.12.2014 - 4 Sa 41/14). § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG-E ordnet an, dass eine Überlassung in dem Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen ist. Der Verstoß gegen diese "Kennzeichnungspflicht" soll nach dem Referentenentwurf ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher begründen (§ 10 Abs. 1 i.V.m. § 9 Nr. 1a AÜG-E). Dem betroffenen Leiharbeitnehmer steht wiederum ein befristetes Widerspruchsrecht zu, das innerhalb eines Monats nach dem vorgesehenen Überlassungszeitpunkt auszuüben ist. Der Leiharbeitnehmer soll nach § 11 Abs. 2 AÜG-E überdies darüber zu informieren sein, dass er als Leiharbeitnehmer tätig wird.

Die Zulässigkeit eines sog. Ketten- oder Zwischenverleihs, bei dem der Entleiher den Leiharbeitnehmer im Betrieb eines anderen nach dessen Weisungen arbeiten lässt, war bislang im Schrifttum umstritten. Entsprechend der bisherigen Praxis der Erlaubnisbehörden (vgl. 1.1.2. Abs. 11 der Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit zum AÜG) soll in § 1 Abs. 1 AÜG ein klarstellender Satz 3 eingefügt werden. Danach soll eine Überlassung nur durch denjenigen zulässig sein, mit dem der Leiharbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis steht.

Verstöße gegen dieses Verbot können erlaubnisrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. In § 16 Abs. 1 Nr. 1b AÜG-E soll zudem ein Ordnungswidrigkeitstatbestand eingeführt werden.

Der Referentenentwurf sieht außerdem eine Privilegierung der
öffentlichen Hand vor. In § 1 Abs. 3 AÜG sollen folgende Nr. 2b und Nr. 2c eingefügt werden:

„(3) Dieses Gesetz ist mit Ausnahme des § 1b Satz 1, des § 16 Abs. 1 Nr. 1b und Abs. 2 bis 5 sowie der §§ 17 und 18 nicht anzuwenden auf die Arbeitnehmerüberlassung (…)

2b.    zwischen Arbeitgebern, wenn Aufgaben eines Arbeitnehmers von dem bisherigen zu dem anderen Arbeitgeber verlagert werden und aufgrund eines Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes a) das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber weiter besteht und b) die Arbeitsleistung zukünftig bei dem anderen Arbeitgeber erbracht wird,

2c.     zwischen Arbeitgebern, wenn diese juristische Personen des öffentlichen Rechts sind und die für sie geltenden Tarifverträge des öffentlichen Dienstes oder Regelungen der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften dies vorsehen, (...)“

Nach der Begründung des Entwurfs (vgl. S. 20 des Entwurfs) soll durch das Einfügen der Nr. 2b in Abs. 3 geregelt werden, dass die Vorgaben des AÜG auf die in Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes vorgesehenen Personalgestellungen (z.B. § 4 Abs. 3 TVöD) in weiten Teilen nicht anwendbar sind. Die Regelung in Nr. 2c soll eine weitere Ausnahme vom Anwendungsbereich des AÜG für Überlassungen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorsehen, sofern die für sie geltenden Tarifverträge oder Regelungen der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft die Nichtanwendung des AÜG anordnen.

Bereits im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass zukünftig ein Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher verhindert werden soll. Während § 11 Abs. 5 AÜG in seiner derzeitigen Fassung im Streikfall Leiharbeitnehmern ein Leistungsverweigerungsrecht einräumt, sieht der Entwurf zur Umsetzung der Vorgabe des Koalitionsvertrags ein umfassendes Beschäftigungsverbot vor. Gemäß § 11 Abs. 5 AÜG-E sollen Entleiher Leiharbeitnehmer nicht tätig werden lassen dürfen, soweit der Betrieb des Entleihers durch einen Arbeitskampf betroffen ist. Danach dürften weder "neu" entliehene Leiharbeitnehmer noch Leiharbeitnehmer, die bei Beginn des Arbeitskampfes bereits beim Entleiher tätig waren, unabhängig von ihrem Einverständnis eingesetzt werden (vgl. die Begründung des Entwurfs, S. 25 f.). Verstöße gegen das Beschäftigungsverbot sollen nach § 16 Abs. 1 Nr. 8a, Abs. 2 AÜG-E mit Geldbußen bis zu € 500.000 geahndet werden können.

Die geplante und bereits viel kritisierte Regelung wirft nicht nur aufgrund der Auswirkungen auf die Arbeitskampfparität von Arbeitgebern Zweifel an der Verfassungskonformität auf. Erhebliche Bedenken folgen auch aus der "Zwangssolidarisierung" von Leiharbeitnehmern mit den im Arbeitskampf befindlichen Stammarbeitnehmern des Entleihers.

In § 14 Abs. 2 AÜG-E soll künftig - vermeintlich klarstellend - geregelt werden, dass Leiharbeitnehmer grundsätzlich bei den Schwellenwerten der Betriebsverfassung (mit Ausnahme des § 112a BetrVG) und der Unternehmensmitbestimmung auch beim Entleiher zu berücksichtigten sind. Der Koalitionsvertrag sah dies lediglich für die betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerte vor und soweit eine Berücksichtigung nicht der Zielrichtung der jeweiligen Norm widerspricht. In Fortführung der jüngeren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschl. v. 4.11.2015 - 7 ABR 42/13) wurde eine solche Regelung im Referentenentwurf auch für die Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung aufgenommen (vgl. die Begründung des Entwurfs, S. 26 f.).

In § 80 Abs. 2 und § 92 Abs. 1 Satz 1 BetrVG-E soll überdies der Inhalt der Informationsrechte des Betriebsrats über den Einsatz von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber des Betriebs stehen, gesetzlich klargestellt werden. Zu den dem Betriebsrat vorzulegenden Unterlagen sollen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG-E auch die Verträge gehören, die der Beschäftigung des Fremdpersonals zugrunde liegen (vgl. hierzu nach bisheriger Rechtslage: BAG, Beschl. v. 31.1.1989 - 1 ABR 72/87).

Fazit

Der Referentenentwurf sieht erhebliche Änderungen der bisherigen Rechtslage vor. Diese gehen mitunter deutlich über die Vorgaben des Koalitionsvertrags hinaus. Sollte der Entwurf, der ein Inkrafttreten zum 1. Januar 2017 vorsieht, Gesetz werden, hätte dies erheblichen Einfluss auf derzeitige betriebliche Praktiken. Es bleibt abzuwarten, ob und welche Änderungen der Referentenentwurf im Rahmen der nunmehr anstehenden Vorabstimmung und im späteren Gesetzgebungsverfahren erfährt.

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