Dieses Legal Update analysiert eine aktuelle prozessuale Entwicklung in der D&O-Versicherung. Im Mittelpunkt steht die prozessuale Rechtsstellung geschädigter Gesellschaften, wenn diese Schadensersatzansprüche direkt gegen den D&O-Versicherer geltend machen.
Worum geht es?
Die D&O-Versicherung, auch Manager-Haftpflicht genannt, ist mittlerweile eine absolut übliche Versicherung, die Geschäftsleiter (Vorstände und Geschäftsführer) vor Haftungsansprüchen schützt.
In Fällen, in denen die Gesellschaft den Geschäftsleiter wegen Verletzung organschaftlicher Pflichten auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, kann es für den Geschäftsleiter wegen der besonderen Verteilung der Beweislast schnell ungemütlich werden: Klagt die Gesellschaft gegen den Geschäftsleiter, muss sie lediglich die Pflichtverletzung auf Seiten des Geschäftsleiters und einen daraus resultierenden Schaden darlegen – die Geschäftsleiter müssen hingegen beweisen, dass sie rechtmäßig handelten bzw. sie kein Verschulden für etwaige Pflichtverletzungen trifft. Dies folgt aus der sog. Verschuldensvermutung zu Gunsten der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG. Für GmbHs gilt diese Regelung entsprechend.
Gerade wenn der Geschäftsleiter noch im Dienst der Gesellschaft tätig ist, wird die Gesellschaft kaum daran interessiert sein, diesen unmittelbar auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Eine naheliegende Lösung aus Sicht der Gesellschaft ist es, sich einen etwaigen Freistellungsanspruch des Geschäftsleiters aus dem D&O-Versicherungsvertrag abtreten zu lassen, um dann direkt gegen den D&O-Versicherer vorzugehen und diesen, falls er den Schaden nicht regulieren will, direkt auf Leistung zu verklagen.
In der Vergangenheit entschieden sich die Unternehmen nur sehr selten für den Weg der Abtretung, weil sie befürchten mussten, dass durch die Abtretung des Freistellungsanspruchs die für sie günstige Verschuldensvermutung nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG nicht mehr anwendbar sein könnte.
Dies entspricht bis heute der Meinung einer Vielzahl von Stimmen in der juristischen Fachliteratur.
In einer aktuellen Entscheidung urteilte das OLG Frankfurt a.M. nun richtungsweisend, dass die Beweislastumkehr gem. § 93 Abs. 2 S. 2 AktG entgegen anderslautenden Literaturstimmen auch in einem Direktprozess der Gesellschaft (bzw. des Insolvenzverwalters) gegen den D&O-Versicherer gilt (Urteil v. 8. Mai 2025 - 3 U 113/22). Damit schlossen sich die Frankfurter Richter der Rechtsauffassung des OLG Köln (Urteil v. 21. November 2023 – Az. 9 U 206/22) an. Angesichts einer sich damit herausbildenden Linie der Oberlandesgerichte und vorbehaltlich einer höchstrichterlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof darf das Abtretungsmodell künftig als eine ernsthafte Alternative bei der Inanspruchnahme des D&O-Versicherers durch die Gesellschaft gesehen werden. Mit zwei Oberlandesgerichten „im Rücken“ muss die Gesellschaft immer weniger den „Verlust“ der für sie günstigen Verschuldensvermutung nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG befürchten.
Wer muss was beweisen? - Beweislastverteilung nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG
In Prozessen gegen Geschäftsleiter stärkt § 93 Abs. 2 S. 2 AktG die prozessuale Rechtsstellung der Gesellschaft bzw. des Insolvenzverwalters: Danach wird das Verschulden des pflichtwidrig handelnden Geschäftsleiters vermutet. Das bedeutet, dass der Geschäftsleiter zu seiner Entlastung darlegen muss, dass er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters an den Tag legte, mithin nicht schuldhaft handelte.
Uneinigkeit besteht darüber, ob die Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG auch im Direktprozess der Gesellschaft oder des Insolvenzverwalters gegen den Versicherer greift – also dann, wenn die Gesellschaft sich die Ansprüche gegen den D&O-Versicherer abtreten lässt und direkt gegen den Versicherer klagt. Große Teile der Literatur verneinen die Anwendbarkeit des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG in Fällen der Abtretung des Freistellunganspruchs an den Geschädigten (= Gesellschaft/Insolvenzverwalter), weil in dem Direktprozess Gesellschaft gegen D&O-Versicherer keine Partei mehr näher an der Sache sei und ein Informationsgefälle zwischen Gesellschaft /Insolvenzverwalter und D&O-Versicherer nicht bestehe. Da ein Informationsgefälle fehle, liege auch kein Sachgrund für die Beweislastumkehr zugunsten der klagenden Gesellschaft bzw. des Insolvenzverwalters vor.
OLG Frankfurt a.M. (Urteil v. 8. Mai 2025 – Az. 3 U 113/22) - § 93 Abs. 2 S. 2 AktG gilt auch im Direktprozess gegen den D&O-Versicherer
Das OLG Frankfurt a.M. erteilte den von der Literatur vorgetragenen Bedenken mit Blick auf die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 2 S. 2 AktG eine eindeutige Absage.
Die Abtretung einer Forderung (hier: Freistellungsanspruch des Geschäftsleiters gegen den D&O-Versicherer) ändere nichts an den Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage, weshalb es auch bei der Anwendbarkeit der Verschuldensvermutung zu Gunsten der Gesellschaft bleibe. Der Direktprozess nach Abtretung des Freistellungsanspruchs bedeute keine Schlechterstellung des Versicherers. Im Gegenteil: Der Versicherer würde sogar unverhältnismäßig von einem Wegfall der Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 S. 2 profitieren:
In D&O-Versicherungsverträgen findet sich ein Deckungsausschluss für den Fall der wissentlichen Begehung der Pflichtverletzung durch den Geschäftsleiter als versicherten Person.
Käme § 93 Abs. 2 S. 2 AktG nicht zur Anwendung, müsse die geschädigte Gesellschaft bzw. ihr Insolvenzverwalter sowohl die Pflichtverletzung als auch das Verschulden des Geschäftsleiters beweisen. Je aussagekräftiger aber der Beweis des Verschuldens gegen den Geschäftsleiter erfolge, desto leichter sei es in der Regel für den Versicherer, dem Schädiger Wissentlichkeit bzgl. der Pflichtverletzung vorzuwerfen, die dann zum Ausschluss der Leistungspflicht des Versicherers führe. Mit anderen Worten: Käme die Gesellschaft / der Insolvenzverwalter nicht in den Genuss der Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG, liefen sie Gefahr, dem Versicherer mit der Beweisführung gegen den Geschäftsleiter in die Karten zu spielen.
Abtretung ist keine Absolution für den Geschäftsleiter: Auskunfts- und Mitwirkungsansprüche des Geschäftsleiters gegenüber dem Versicherer
Ungeachtet dessen, dass die Abtretung der Ansprüche gegen den D&O-Versicherer den Geschäftsleiter aus der unmittelbaren Schusslinie nimmt, betont das OLG Frankfurt a.M., dass der Geschäftsleiter dem D&O-Versicherer auch nach der Abtretung seines Freistellungsanspruchs Auskünfte und Informationen aus § 31 Abs. 2 VVG schuldet. Auch versicherungsvertragliche Auskunfts- und Mitwirkungsansprüche des Versicherers kämen in Betracht. So könnte die Möglichkeit bestehen, den Geschäftsleiter als Zeugen zu benennen.
Bedeutung für die Praxis: Prozessuale Stellung der Gesellschaften und Insolvenzverwalter gestärkt
- Die Frankfurter Entscheidung stärkt die Position der geschädigten Gesellschaften und ihrer Insolvenzverwalter: Sie profitieren in jedem Fall von der Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie zunächst den Geschäftsleiter selbst oder direkt den D&O-Versicherer aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.
- Die Beweisführung der geschädigten Gesellschaft bzw. des Insolvenzverwalters im Deckungsprozess als Direktprozess gegen den D&O-Versicherer wird erleichtert. Die Gratwanderung, einerseits die Pflichtverletzung und das Verschulden des Geschäftsleiters zu beweisen und andererseits dem Versicherer nicht in die Karten zu spielen und einen Wissentlichkeitsausschluss praktisch „selbst zu belegen“, wird sich künftig einfacher gestalten.
- Auf die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH ist § 93 Abs. 2 S. 2 AktG anerkanntermaßen übertragbar. Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. liegt in dieser Hinsicht auf einer Linie mit einer Entscheidung des OLG Köln v. 21. November 2023 – Az. 9 U 206/22, die die Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG im Direktprozess der GmbH gegen den D&O-Versicherer ebenfalls für anwendbar hielt.
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