Leitsatz
Eine Sonderzahlung zum Jahresende, die sowohl die Betriebstreue des Arbeitnehmers belohnen als auch die im Laufe des Jahres geleistete Arbeit vergüten soll (sog. Sonderzahlung mit Mischcharakter), kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht vom Bestand des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember des jeweiligen Jahres abhängig gemacht werden (BAG, Urteil v. 13.11.2013 – 10 AZR 848/12, derzeit nur als Pressemitteilung verfügbar).
Sachverhalt
Der Kläger war seit 2006 bei der Beklagten, einem Verlag, als Controller beschäftigt. Er erhielt jährlich mit dem Novembergehalt eine zunächst als „Gratifikation“, ab dem Jahr 2007 als „Weihnachtsgratifikation“ bezeichnete Sonderzahlung in Höhe des jeweiligen Novembergehalts. Die Beklagte übersandte jeweils im Herbst eines Jahres an alle Arbeitnehmer ein Schreiben mit „Richtlinien“ zur Auszahlung. In dem Schreiben für das Jahr 2010 hieß es u. a., die Zahlung erfolge „an Verlagsangehörige, die sich am 31.12.2010 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis“ befänden; Verlagsangehörige sollten für jeden Kalendermonat mit einer bezahlten Arbeitsleistung einen Betrag von 1/12 des Bruttomonatsgehalts erhalten.
Im Laufe des Jahres in den Verlag eintretende Arbeitnehmer sollten die Sonderzahlung nach den Richtlinien anteilig erhalten. Nachdem das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund seiner Kündigung am 30. September 2010 endete, verfolgte er mit seiner Klage die anteilige (9/12) Zahlung der Sonderleistung.
Entscheidung
Während die Vorinstanzen die Klage abgewiesen haben, hat das Bundesarbeitsgericht die Beklagte auf die Revision des Klägers zur Zahlung verurteilt. Da die Gratifikation zugleich der Vergütung der im Laufe des Jahres geleisteten Arbeit diene, benachteilige die in den Richtlinien vorgesehene Stichtagsregelung den Kläger unangemessen und sei deshalb gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Sie stehe im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB, weil sie vor Ablauf des Jahres ausgeschiedenen Arbeitnehmern einen bereits erarbeiteten Lohn entziehe. Denn der Vergütungsanspruch sei nach den Richtlinien monatlich anteilig erworben worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Sonderzahlung eine Gegenleistung vornehmlich für Zeiten nach dem Ausscheiden des Klägers oder für besondere – vom Kläger nicht erbrachte – Arbeitsleistungen sein sollte, seien nicht ersichtlich.
Anmerkung
Mit dieser Entscheidung, die bislang lediglich als Pressemitteilung vorliegt, scheint das Bundesarbeitsgericht seine jüngere Rechtsprechung zu Stichtagsregelungen bei Sonderzahlungen mit Mischcharakter fortzusetzen. Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts war es grundsätzlich zulässig, Sonderzahlungen – auch solche mit Mischcharakter – mit Stichtagsklauseln zu versehen, solange die Zahlungen nicht ausschließlich eine Gegenleistung für schon erbrachte Arbeit darstellten. Mit Entscheidung vom 18. Januar 2012 hatte sich das Bundesarbeitsgericht von dieser Rechtsprechung in einem Fall abgewandt, in dem die Sonderzahlung mit Mischcharakter vom ungekündigten Bestand eines Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt außerhalb des Bezugszeitraums der Sonderzahlung, dem 15. April des Folgejahres, abhängig gemacht worden war (BAG, Urteil v. 18.1.2012 - 10 AZR 612/10). Bereits in diesem Fall hat das Bundesarbeitsgericht u. a. darauf abgestellt, dass die streitgegenständliche Stichtagsklausel im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB stehe, weil sie dem Arbeitnehmer bereits erarbeiteten Lohn entziehe. Während die Vorinstanz davon ausging, dass die in der Entscheidung vom 18. Januar 2012 aufgestellten Grundsätze nicht auf einen Fall übertragbar seien, bei dem – wie beim streitgegenständlichen Sachverhalt – der Stichtag auf den 31. Dezember datierte, und damit noch innerhalb des Bezugszeitraums der Gratifikation lag, hat das Bundesarbeitsgericht diese Argumentation nunmehr erstmals ausdrücklich auf einen solchen Fall übertragen. Zwar liegen die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vor. Das Bundesarbeitsgericht scheint ausweislich der Pressemitteilung jedoch erneut maßgeblich darauf abzustellen, dass vor Ablauf des Jahres ausgeschiedenen Arbeitnehmern der bereits erarbeitete Lohn nicht durch eine Stichtagsregelung entzogen werden dürfe. Da diese Argumentation bei Sonderzahlungen mit Mischcharakter auf jede Stichtagsregelung übertragbar ist, dürfte künftig grundsätzlich von der Unwirksamkeit von Stichtagsklauseln bei Sonderzahlungen mit Mischcharakter aus-zugehen sein.
Stichtagsklauseln dürften daher nur noch dann zulässig sein, wenn mit der Sonderzahlung ausschließlich die vergangene und/oder zukünftige Betriebstreue des Arbeitnehmers belohnt werden soll. In diesem Zusammenhang hat das Bundesarbeitsgericht jüngst entschieden, dass es keine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 BGB darstellt, wenn die Sonderzahlung allein an das Bestehen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungstag anknüpft, selbst wenn die Beendigung damit, wie etwa bei einer betriebsbedingten Kündigung, nicht zwingend auf Gründen beruhen muss, die in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen (BAG, Urteil vom 18.1.2012 – 10 AZR 667/10).