Am 30. Oktober 2025 ist das "Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung" (sog. „Bau-Turbo“) in Kraft getreten.
In Deutschland besteht seit längerem ein struktureller Mangel an bezahlbarem Wohnraum, insbesondere in einer Vielzahl urbaner Räume.
Daher wurde in dem derzeitigen Koalitionsvertrag unter anderem das Ziel vereinbart, innerhalb der ersten 100 Tage einen Gesetzesentwurf zur Einführung eines Wohnungsbauturbos unter Berücksichtigung der kommunalen Planungshoheit vorzulegen.
Das zügige Zustandekommen des Gesetzes hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich der Bundestag schon in der vorherigen Legislaturperiode mit einem entsprechenden Gesetzesentwurf zur Vereinfachung des Wohnungsbaus befasst hatte.
Der „Bau-Turbo“ soll insgesamt dazu führen, eine signifikant schnellere Planung und Genehmigung von Wohnungsbauvorhaben zu ermöglichen, um so bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Um dies zu gewährleisten, enthält das Gesetz neben Regelungen zur Beschleunigung des Wohnungsbaus auch Bestimmungen zur Bewältigung damit verbundener Lärmkonflikte.
Hintergrund und Ziel des Gesetzes
Mit der Gesetzesnovelle soll ein substanzieller Beitrag zur Bekämpfung der Wohnungsnot und somit auch zur Dämpfung weiterer Mietpreissteigerungen geleistet werden. Dafür wurden befristete Sonderregelungen in das BauGB aufgenommen, um eine schnellere Planung und Genehmigung zu ermöglichen. Infolgedessen soll es insbesondere bei der Nachverdichtung zu Verfahrenserleichterungen kommen.
Durch diese Maßnahmen erwartet der Bundestag eine jährliche Entlastung von insgesamt mehr als 2,5 Milliarden Euro für Verwaltung, Wirtschaft sowie Bürgerinnen und Bürger.
Abweichung von planungsrechtlichen Vorschriften
Kern des „Bau-Turbo-Gesetzes" stellt die Experimentierklausel des § 246e BauGB dar. Diese sieht unter bestimmten Voraussetzungen weitreichende Abweichungen von bauplanungsrechtlichen Vorschriften vor, um die Schaffung neuen Wohnraums durch Wohnungsbau, die Erweiterung oder Änderung bereits bestehender Wohngebäude sowie durch die Nutzungsänderungen zu Wohnzwecken ermöglichen. Dies erfolgt jedoch immer unter Berücksichtigung der kommunalen Planungshoheit.
Anwendungsbereich
Die Neuregelung beschränkt sich auf Gebiete in einem angespannten Wohnungsmarkt, die gemäß § 201 Satz 1 BauGB von den jeweiligen Landesregierungen durch Rechtsverordnung bestimmt werden. Nach der Legaldefinition in § 201a Satz 2 BauGB liegt ein Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt vor, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen in einer Gemeinde oder einem Teil der Gemeinde zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist.
Eine Abweichung von den bauplanungsrechtlichen Vorschriften darf nur in erforderlichem Umfang gestattet werden, wenn sie unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist, und einem Vorhaben zur Schaffung neuen Wohnraums dient. Diese Einschränkung dient der Beachtung der Grundsätze des Verhältnismäßigkeitsprinzips.
Die Vorschrift ist nicht anwendbar, wenn infolge der Abweichung zusätzliche erhebliche Umweltauswirkungen zu erwarten sind, § 246e Abs. 1 Satz 2 BauGB. Dabei genügt eine überschlägige Prüfung.
Auswirkungen auf Kommunen
Die Neuregelung soll in erster Linie Kommunen entlasten, indem kurzfristige Lösungen für dringende Wohnbauprojekte ermöglicht werden. Durch den „Bau-Turbo“ kann zusätzlicher Wohnraum bereits nach einer dreimonatigen Prüfung durch die Gemeinde – ohne Aufstellung oder Änderung des Bebauungsplans – zugelassen werden. Bleibt die Kommune untätig, tritt eine Genehmigungsfiktion ein.
Einschränkungen ergeben sich jedoch für den Außenbereich: Nur soweit das Vorhaben im räumlichen Zusammenhang mit dem Siedlungsbereich steht, kann die Erleichterung zur Anwendung kommen. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens forderten insbesondere die Kritiker der Neuregelung, dass Priorität die Nutzung innerstädtischer Potenziale sein solle und nicht die Neubebauung im Außenbereich.
Befristung bis Ende 2030
Die Regelung gilt befristet bis zum 31. Dezember 2030. Vor Ablauf der Geltungsdauer soll evaluiert und darüber entschieden werden, ob § 246e BauGB verlängert, geändert oder abgeschafft wird.
Erweiterte Befreiungs- und Abweichungs-
möglichkeiten
Die Neuregelung des § 246e BauGB wird durch Änderungen in den §§ 31 und 34 BauGB ergänzt. Künftig sind erweiterte Befreiungsmöglichkeiten nach § 31 Abs. 3 BauGB vorgesehen, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplans mehr Wohnbebauung auch über die Festsetzungen des Plans hinaus ermöglichen, ohne dass dieser geändert werden muss. Diese Erweiterung gilt im gesamten Bundesgebiet – es bedarf mithin keines angespannten Wohnungsmarktes.
§ 34 Abs. 3b BauGB ermöglicht die Neuerrichtung von Wohngebäuden im unbeplanten Innenbereich auch dann, wenn sie sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen und wenn dies unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Diese erweiterten Befreiungs- und Abweichungsmöglichkeiten dienen der Schaffung neuen Wohnraums, insbesondere durch Nachverdichtungsmaßnahmen – etwa durch Aufstockungen, Anbauten oder Bebauung in der zweiten Baureihe in ganzen Straßenzügen. Dadurch werden Bauvorhaben ermöglicht, die zuvor eine Änderung des Bebauungsplans oder aufwendige Einzelfallprüfungen erfordert hätten.
Diese Änderungen sind zwar spezifischer als die der Experimentierklausel, gelten dafür aber unbefristet. § 246e BauGB bleibt neben den Tatbeständen der §§ 29 ff. BauGB anwendbar.
Wie bei § 246e BauGB, ist auch hier die Zustimmung der Gemeinde nach § 36a BauGB erforderlich.
Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans
Die Anpassung in § 31 Abs. 3 BauGB ermöglicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans eine weitergehende Wohnbebauung über die bisherigen Festsetzungen des Plans hinaus. Im Einzelfall oder in mehreren vergleichbaren Fällen kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Damit werden beispielsweise Befreiungen für Aufstockungen oder Hinterlandbebauungen in ganzen Straßenzügen möglich, für die ansonsten die Änderung eines Bebauungsplanes erforderlich gewesen wäre.
Abweichung vom Einfügungsgebot
Die Anpassungen des § 34 Abs. 3a und 3b BauGB erlauben im unbeplanten Innenbereich über die bisher bestehende Möglichkeit hinaus im Einzelfall oder in mehreren vergleichbaren Fällen die Neuerrichtung von Wohngebäuden auch dort, wo sie sich nicht in den Bebauungszusammenhang einfügen. Dies erleichtert zum Beispiel Bauvorhaben in der zweiten Baureihe oder in Innenhöfen.
Voraussetzung ist, dass das Vorhaben der Errichtung eines Wohngebäudes dient, städtebaulich vertretbar ist und unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Die Abweichung vom Einfügungsgebot erfasst dabei sowohl das Maß als auch die Art der baulichen Nutzung.
Schutz vor schädlichen
Umweltein-
wirkungen
Abweichungen von der TA-Lärm
Neben den Regelungen zur Beschleunigung des Wohnungsbaus enthält die Gesetzesnovelle auch Bestimmungen zur Bewältigung von Lärmkonflikten.
Durch die Ergänzung in § 9 Abs. 1 Nr. 23 lit. a), aa) BauGB werden die Festsetzungsmöglichkeiten um Immissionswerte und Emissionskontingente erweitert. In begründeten Fällen sollen Abweichungen von der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) zulässig sein, um die planerische Lärmkonfliktbewältigung zu stärken. Der Lärmschutz kann somit auch durch passgenaue Festsetzungen im Bebauungsplan für den jeweiligen städtebaulichen Einzelfall gewährleistet werden.
Die Festsetzung von Werten ist im Rahmen der planerischen Abwägung jeweils zu begründen, wobei die abwägungserheblichen Umstände und Überlegungen aufzuführen sind. Es bleibt weiterhin möglich, Lärmkonflikte den nachgelagerten Zulassungsverfahren zu überlassen.
Bewältigung von Lärmkonflikten
Diese Abweichungsmöglichkeit dient dazu, Lärmkonflikte in gewachsenen Siedlungsbereichen zu bewältigen und so die Bebauung von Brach- und Baulücken zu erleichtern. Es handelt sich um eine Maßnahme zur Nachverdichtung und Stärkung der Stadtentwicklung. Insbesondere der Konflikt zwischen der „heranrückenden Wohnbebauung“ und den vorhandenen geräuschemittierenden Anlagen soll so bereits in der Planungsphase rechtssicher gelöst werden.
Umgang mit nachträglicher Unwirksamkeit
Im Zusammenhang mit der Möglichkeit, von der TA-Lärm abzuweichen, ist § 216a BauGB zu beachten. Diese Regelung ermöglicht eine flexible und einzelfallgerechte Lösung für den Fall, dass sich ein Bebauungsplan aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung als unwirksam erweist. Nach § 216a Abs. 1 Satz 4 BauGB soll in diesem Fall die TA-Lärm hinsichtlich des baulichen Bestands, der auf Grundlage der von der TA-Lärm abweichenden unwirksamen Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 23 lit. a), aa) BauGB errichtet wurde, nicht vollumfänglich zur Anwendung kommen. Stattdessen sollen unter Berücksichtigung des Einzelfalls die zur Wahrung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse erforderlichen Maßnahmen aufgrund der bestehenden bundes- und landesrechtlichen Rechtsgrundlagen von der jeweils zuständigen Behörde angeordnet werden können.
Zustimmungs-
erfordernis
der Gemeinde
Der neue § 36a BauGB normiert das Zustimmungserfordernis der Gemeinden für Maßnahmen nach § 31 Abs. 3 und § 34 Abs. 3b BauGB. Diese Regelung dient der Wahrung der kommunalen Planungshoheit. Die Gemeinden vor Ort haben somit die Entscheidungsmacht darüber, ob der „Bau-Turbo“ konkret eingesetzt wird.
Die Zustimmung der Gemeinde nach § 36 BauGB unterscheidet sich vom gemeindlichen Einvernehmen nach § 36 BauGB. Die Gemeinde muss ihre Entscheidung nicht auf einen Rechtsverstoß im Hinblick auf die §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB stützen. Auch städtebauliche Gründe, über eine rein juristische Bewertung hinaus, rechtfertigen die Verweigerung der Zustimmung. So ist die Gemeinde auch aufgrund städtebaulicher Gründe, wie allgemeinen planerischen Vorstellungen und Planungsabsichten, zur Verweigerung der Zusage berechtigt.
Auf die Erteilung der Zustimmung besteht kein Rechtsanspruch. Sie kann auch nicht durch eine höhere Verwaltungsbehörde ersetzt werden. Allerdings gilt sie als erteilt, wenn die Gemeinde nicht innerhalb von drei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde diese verweigert, § 36a Abs. 1 BauGB.
Zusammenfassung und Fazit
Die mit dem Gesetz vorgesehenen Erleichterungen zur Ausweisung von Wohnbebauung und die damit verbundene größere Flexibilität für die Kommunen sind angesichts des angespannten Wohnungsmarkts sehr zu begrüßen.
Die Neuregelungen sind eng miteinander verknüpft und betreffen vorrangig die planungsrechtliche Zulässigkeit, die kommunale Kontrolle sowie den Schutz vor negativen Auswirkungen durch Lärmemissionen. Die Gesetzesnovelle stellt ein Maßnahmenpaket dar, das den Wohnungsbau beschleunigen und gleichzeitig die kommunale Steuerung wahren soll. Die Anwendung des „Bau-Turbos“ könnte jedoch praktische Herausforderungen mit sich bringen.
Zur erfolgreichen Umsetzung in der Praxis wurden daher begleitende Formate wie das Umsetzungslabor geschaffen, das deutschlandweit Kommunen vernetzt, Praxisbeispiele bildet und Lösungen entwickelt. Zudem wird ein Praxisleitfaden zur erfolgreichen Implementierung der Neuregelungen erstellt. Das Projekt läuft noch bis März 2026. In naher Zukunft ist daher mit der Veröffentlichung eines entsprechenden Praxisleitfadens zu rechnen.
Kritische Stimmen befürchten, dass die Verkürzung der Prüfungsverfahren bei Bauvorhaben zur Vernachlässigung nachbarlicher Rechte, von Umweltschutzbelangen, denkmalpflegerischen Interessen sowie infrastruktureller Kapazitäten in den Bereichen Bildung, Kinderbetreuung und Mobilität führen könnte. Fachverbände und zivilgesellschaftliche Bündnisse forderten daher präzisere rechtliche Schranken.
Es bleibt abzuwarten, wie sich der „Bau-Turbo“ in der Praxis bewährt und ob er tatsächlich die angestrebte Beschleunigung erzielt.
Für weitere Informationen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung – wir unterstützen und beraten Sie gern!
