BGH erklärt Standardklauseln der Banken zur Vertrags- und Entgeltanpassung für unwirksam – Welche Folgen ergeben sich hieraus für andere Branchen?

Frankfurt am Main, 21.06.2021

Der BGH hat in seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung vom 27. April 2021 (Az. XI ZR 26/20) die von der Postbank verwendeten Klauseln zur Vertrags- und Entgeltanpassung für rechtswidrig erklärt. Die angegriffenen Klauseln der Postbank basieren auf den branchenweit standardisierten Muster-Klauseln der Bankenverbände (Ziff. 1 Abs. 2 sowie Ziff. 12 Abs. 5 AGB Banken bzw. Nr. 2 und Nr. 17 Abs. 6 AGB Sparkassen). Die AGB Banken werden branchenübergreifend als Orientierungspunkt für die Wirksamkeit von Standardklauseln betrachtet; entsprechend oft werden wortgleiche Klauseln auch in anderen Wirtschaftssektoren verwendet.

Es stellt sich deshalb die Frage, wie sich das Urteil abseits der Finanzbranche auswirkt.

Um welche Regelungen geht es genau?

Die angegriffenen Klauseln sehen vor, dass Banken ihre Vertragsbedingungen mit einem Kunden sowie vereinbarte Entgelte ändern können, indem sie den Kunden mit zweimonatiger Vorankündigung über die bevorstehenden Änderungen informieren und ihm im Falle der Ablehnung die Möglichkeit zur Kündigung seines Vertrages einräumen. Teilt der Kunde die Ablehnung nicht bis zum vorgesehenen Wirksamkeitseintritt mit, gilt die Zustimmung zur Vertrags- bzw. Entgeltanpassung als erteilt. Im Rahmen der Mitteilung an den Kunden über die geplanten Änderungen ist der Kunde über seine Rechte und die damit verbundenen Konsequenzen aufzuklären.

Die vorstehenden Klauseln spiegeln das übliche Prozedere bei Vertragsanpassungen im AGB-Kontext wider. Identische oder ähnliche Änderungsklauseln sind im Massengeschäft mit Verbrauchern bei Dauerverträgen (z.B. zu Online Diensten, Abos) weit verbreitet.

Warum hält der BGH die Klauseln für unwirksam?

Die angegriffenen Klauseln entsprechen nicht nur der üblichen Praxis, sondern bilden darüber hinaus auch die gesetzlich vorgesehenen Regelungen zur Änderung von Zahlungsdienstrahmenverträgen nach § 675g BGB ab. Auch ist die Nutzung einer fingierten Zustimmung des Kunden nach § 308 Nr. 5 BGB in AGB nicht per se unwirksam, soweit dem Kunden eine angemessene Frist zur ausdrücklichen Ablehnung eingeräumt wird und er auf die jeweiligen Konsequenzen seines Verhaltens vor Beginn der Frist hingewiesen wird.

Der BGH geht nun für Verträge mit Verbrauchern davon aus, dass die Einhaltung dieser formalen Vorgaben alleine nicht ausreicht, um die Wirksamkeit derartiger Regelungen sicherzustellen. Neben den gesetzlichen Vorgaben seien vielmehr auch allgemeine verbraucherschutz-rechtliche Erwägungen im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB zu berücksichtigen. Eine die Inhaltskontrolle ausschließende Sperrwirkung ergebe sich weder aus § 675g BGB noch aus § 308 Nr. 5 BGB.

Im Wesentlichen bemängelt der BGH, dass die angegriffenen Regelungen dem Verwender ein Instrument an die Hand geben, um die wesentlichen Grundlagen der gesamten Vertragsbeziehung, insbesondere die eigenen Vertragsleistungen einseitig anzupassen und so das bestehende Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung nach Belieben zum eigenen Vorteil zu verändern. Diese weitreichende Möglichkeit der Einflussnahme sei mit den wesentlichen Grundgedanken der §§ 305 Abs. 2, 311 Abs. 1 BGB sowie §§ 145 ff. BGB nicht vereinbar. Änderungen der wesentlichen Grundlagen einer Vertragsbeziehung oder des eigenen Leistungsprogramms, die das bestehende Äquivalenzverhältnis beeinflussen, bedürften eines ausdrücklichen Vertragsschlusses mit dem Kunden. Dabei scheint der BGH, entgegen dem Trend der letzten Jahre, von dem Bild des eher aufgeklärten Verbrauchers wieder Abstand zu nehmen. Der Verbraucher wird geschützt, selbst wenn er umfassend und mit großem Vorlauf über die Änderungen informiert wurde. Dabei spielt es nach Ansicht des BGH insbesondere keine Rolle, ob der Verbraucher aus Lethargie, Desinteresse oder intellektueller Überforderung nach Erhalt der Änderungsmitteilung nicht tätig wird.

Wieso betrifft das Urteil auch andere Branchen?

Der BGH bezieht sich in seinem Urteil zwar nur auf die angegriffenen AGB-Klauseln der Postbank sowie die in der Kreditwirtschaft allgemein verwendeten Standardklauseln. Die vom BGH herangezogenen Erwägungen zur Unwirksamkeit der Klauseln beruhen jedoch nicht auf den Besonderheiten des Vertragsverhältnisses der Banken mit ihren Kunden, sondern lassen sich allgemein auf alle Branchen übertragen, in denen derartige Klauseln eingesetzt werden.

Dies dürfte insbesondere Angebote aus dem Bereich der Online-Services (z.B. Social Media-Angebote, Apps, Streaming-Dienste oder sonstige digitale Services) betreffen, da diese regelmäßig eine fortlaufende Vertragsbeziehung mit Verbrauchern mit wiederkehrenden oder dauerhaft erbrachten Leistungen voraussetzen. Auch aufgrund der Schnelllebigkeit der Digitalbranche besteht gerade in diesem Bereich ein besonderer Bedarf, geänderten Rahmenbedingungen durch effizient ausgestaltete Vertragsanpassungsprozesse Rechnung zu tragen. Entsprechend sind vergleichbare Klauseln in nahezu allen Nutzungsbedingungen dieser Dienste zu finden.

Welche Folgen hat das Urteil und was ist zu tun? 

Werden Vertragsanpassungen aufgrund unwirksamer AGB-Änderungsregelungen vorgenommen, sind diese angreifbar und werden einer gerichtlichen Überprüfung regelmäßig nicht standhalten. Dies gilt insbesondere auch für alle Anpassungen, die in der Vergangenheit vorgenommen wurden.

Dabei besteht grundsätzlich das Risiko, dass auch aus Sicht des Kunden eher belanglose oder nebensächliche Anpassungen, die nicht die wesentlichen Vertragsgrund-lagen, das Leistungsprogramm und das Äquivalenzverhältnis betreffen, angreifbar sind, soweit sie auf Basis der unwirksamen Änderungsregelungen vorgenommen wurden. 

Unternehmen sollten daher überprüfen, ob die eigenen AGB Klauseln zur Änderung der Vertragsbeziehung enthalten, die den jetzt für unwirksam erklärten Klauseln entsprechen. Diese sollten nicht weiterverwendet werden, auch weil sie Anlass für wettbewerbsrechtliche Abmahnungen von Wettbewerbern oder entsprechend berechtigten Organisationen oder Verbänden sein können.

Die neue Fassung der Änderungsklausel sollte zunächst den formalen Anforderungen, wie sie sich insbesondere aus § 308 Nr. 5 BGB ergeben, entsprechen. 

Um nun die sich aus dem BGH-Urteil ergebenden Anforderungen für die Zukunft zu berücksichtigen, muss sichergestellt werden, dass die Klausel keine Änderungen an den wesentlichen Vertragsgrundlagen, dem Leistungsprogramm und dem Äquivalenzverhältnis ermöglicht. 

Unabhängig von dem BGH-Urteil sollten Regelungen zur Anpassung von Entgelten jedenfalls separat abgebildet werden, da hier typischerweise ein besonders hohes Risiko einer unangemessenen Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 und 2 BGB besteht. Durch die Trennung wird vermieden, dass die Unwirksamkeit der einen Regelung die andere infiziert.

Wie lassen sich die bisher verwendeten AGB retten?

Wurden die AGB über einen längeren Zeitraum verwendet, werden sie eine Vielzahl von Änderungen enthalten, die über das bisherige Änderungsverfahren umgesetzt wurden. Es besteht also die Gefahr eines Flickenteppichs aus wirksamen und unwirksamen Regelungen.

Um hier wieder zu einem in Gänze wirksamen Regelwerk zu gelangen, bleibt letztlich nur der erneute Abschluss mit dem Kunden, wobei dies die ausdrückliche Erklärung des Kunden voraussetzt. Der hiermit verbundene Aufwand wird im Einzelfall stark schwanken. Bei Vertragsbeziehungen über digitale Services ist dies möglicherweise über eine elektronische Zustimmung (z.B. per Check Box) einfacher möglich als im Offline Geschäft. Nichtsdestotrotz wird es in allen Fällen anspruchsvoll sein, eine möglichst hohe Resonanz zu erreichen und eine kluge Strategie für den Umgang mit Kunden zu finden, die die Zustimmung nicht erteilen.

Um künftig wieder auf ein vereinfachtes Änderungsverfahren zurückgreifen zu können, müssen die neu abgeschlossenen AGB eine wirksame Änderungsklausel enthalten, die die Kriterien des BGH Urteils berücksichtigt. Allerdings ist dann für jede anstehende Änderung zu überprüfen, ob es sich um eine wesentliche, die Grundlagen des Vertragsverhältnisses bzw. das Leistungsprogramm abändernde Änderung handelt. Diese Änderung-gen sind durch die neue Änderungsklausel nicht abgedeckt, sodass nur der Weg über die ausdrückliche Zustimmung des Kunden bleibt.

Fazit

Es muss davon ausgegangen werden, dass alle gegenüber Verbrauchern in AGB verwendeten Änderungsklauseln im Zweifel unwirksam sind, soweit sie dem üblichen Muster der AGB Banken entsprechen. Darüber hinaus können alle Änderungen, die auf Basis dieser Änderungsklauseln vorgenommen wurden, angreifbar sein. Da Verbraucherschutzorganisationen und ggf. auch Wettbewerber nun versuchen könnten, sich die neue Rechtsprechung zu Nutze zu machen, könnte es zu einer Abmahn- bzw. Klagewelle kommen. Betroffene Unternehmen sollten also zügig reagieren, ihre AGB überarbeiten und effiziente Wege finden, die aktuelle Fassung der AGB mit ihren Kunden neu zu vereinbaren.

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