Nichtberücksichtigung von Stimmrechten gemäß § 36 Nr. 3 WpÜG im Falle einer konzerninternen Umstrukturierung in der Praxis

23.02.2012

Auch bei einer konzerninternen Umstrukturierung, bei der mehr als 30% der Stimmrechte an einer börsennotierten Gesellschaft ("Zielgesellschaft") auf eine andere Konzerngesellschaft übertragen werden, wird grundsätzlich die Pflicht zur Abgabe eines Übernahmeangebots (§§ 35 Abs. 1, 2 i.V.m. § 29 Abs. 2 WpÜG) ausgelöst. In derartigen Fällen besteht allerdings die Möglichkeit, bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistung (BaFin) entweder (i) eine Nichtberücksichtigung von Stimmrechten gemäß § 36 Abs. 3 WpÜG oder (ii) eine Befreiung gemäß § 37 WpÜG von der Verpflichtung zur Veröffentlichung (§ 35 Abs. 1 WpÜG) und der Abgabe eines Angebots (§ 35 Abs. 2 WpÜG) zu beantragen.

Der Vorteil des Verfahrens der Nichtberücksichtigung von Stimmrechten gemäß § 36 Abs. 3 WpÜG gegenüber dem Befreiungsverfahren nach § 37 WpÜG ist, dass es sich bei der Entscheidung über die Nichtberücksichtigung von Stimmrechten um eine sog. gebundene Verwaltungsentscheidung handelt. Bei dieser steht der BaFin kein Ermessensspielraum zu.

Bei der Entscheidung nach § 37 WpÜG hingegen, hat die BaFin ein Entscheidungsermessen. Dies erhöht grundsätzlich den Begründungsaufwand des Antragstellers und birgt eine höhere Rechtsunsicherheit in sich.

Bei dem Verfahren im Zusammenhang mit der Nichtberücksichtigung von Stimmrechten gemäß § 36 Nr. 3 WpÜG sind in der Praxis einige Punkte zu beachten, die nachfolgend dargestellt werden.

Unternehmereigenschaft

Voraussetzung für das Vorliegen einer konzerninternen Umstrukturierung gem. § 36 Nr. 3 WpÜG ist, dass die an der Umstrukturierung beteiligten Personen Unternehmer i.S.d. §§ 15 AktG sind (Christoph von Bülow, in: Kölner Kommentar zum WpÜG, 2. Auflage, § 36 Rn. 47; Hommelhoff/ Witt, in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Auflage, § 36 Rn. 23). Natürliche Personen werden dann als Unternehmer qualifiziert, wenn sie unmittelbare Beteiligungen an mehreren Unternehmen halten (Christoph von Bülow, in: Kölner Kommentar zum WpÜG, 2. Auflage, § 36 Rn. 47 ff.; Hommelhoff/ Witt, in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Auflage, § 36 Rn. 23 ff; Bayer, in: Münchener Kommentar zum AktG, 3. Auflage, § 15 Rn. 19). Dies gilt insbesondere, wenn diese Unternehmen untereinander Geschäftsbeziehungen halten. Da die BaFin die Unternehmereigenschaft von Frau Maria-Elisabeth Schaeffler und Herrn Georg F. W. Schaeffler, die sämtliche Unternehmensbeteiligungen über eine Beteiligungs-Holding halten, ablehnte, kam im Zusammenhang mit einer konzerninternen Übertragung von Aktien an der Continental AG eine Nichtberücksichtigung von Stimmrechten gem. § 36 Nr. 3 WpÜG nicht in Betracht. In diesem Fall hatten die Antragsteller einen Befreiungsantrag gemäß § 37 WpÜG zu stellen. Die Entscheidung der BaFin ist unter www.bafin.de abrufbar.

Zeitpunkt der Antragstellung

Grundsätzlich ist eine Stellung eines Antrags auf die Nichtberücksichtigung von Stimmrechten gemäß § 36 Nr. 3 WpÜG erst nach der konzerninternen Übertragung der Stimmrechte zulässig (Christoph von Bülow, in: Kölner Kommentar zum WpÜG, 2. Auflage, § 36 Rn. 79). Trotzdem empfiehlt es sich auch schon vor der Übertragung der Stimmrechte, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 36 Abs. 3 WpÜG mit der BaFin im Detail abzustimmen. In diesem Zusammenhang kann im Rahmen eines Entwurfs eines Antragsschreibens der BaFin der gesamte relevante Sachverhalt offengelegt werden und die Rechtseinschätzung der BaFin hierzu eingeholt werden. Allerdings steht die BaFin für eine derartige Abstimmung nur zur Verfügung, wenn die geplante Umstrukturierung nach dem vorgetragenen Sachverhalt zeitnah erfolgen soll.

Nichtberücksichtigung nur der Stimmrechte, die zur Kontrollerlangung führen

Der Nichtberücksichtigungsbescheid der BaFin umfasst lediglich die Stimmrechte, die der Antragsteller im Rahmen der konzerninternen Umstrukturierung bis zu dem Tag, an dem er die 30 % Schwelle erreicht, erwirbt. Nachfolgende Übertragungen sind für die Kontrollerlangung des Antragstellers über die Zielgesellschaft unbeachtlich. Anknüpfungspunkt für den Antrag auf Nichtberücksichtigung von Stimmrechten ist ausschließlich die Kontrollerlangung i.S.d. § 29 Abs. 2 WpÜG. Befinden sich die zu übertragenen Aktien beispielsweise auf mehreren Depots und erfolgt deshalb die Übertragung der Aktien durch mehrere Einzelbuchungen, werden durch den stattgebenden Bescheid gem. § 36 Nr. 3 WpÜG nur diejenigen Stimmrechte nicht berücksichtigt, die dem Konzernunternehmen bis zu dem Zeitpunkt der Kontrollerlangung übertragen wurden. Nachfolgende Aktienerwerbe durch das die Aktien erwerbende Konzernunternehmen können nicht mehr Gegenstand eines Bescheids gem. § 36 WpÜG über die Nichtberücksichtigung von Stimmrechten sein.

Wirkung eines Nichtberücksichtigungsbescheids

Hinsichtlich der Wirkung einer Entscheidung der BaFin über die Nichtberücksichtigung von Stimmrechten gemäß § 36 Nr. 3 WpÜG werden unterschiedliche Meinungen vertreten.

Nach einer Ansicht wirkt ein stattgebender Nichtberücksichtigungsbescheid der BaFin nur "punktuell" (Christoph von Bülow, in: Kölner Kommentar, 2. Auflage, § 36 Rn. 108ff/ Hommelhoff/ Witt, in: Frankfurter Kommentar, 3. Auflage, § 36 Rn. 56). Das heißt, die im Rahmen einer konzerninternen Umstrukturierung übertragenen Stimmrechte werden nur für die Berechnung der Kontrollerlangung des die Aktien erwerbenden Konzernunternehmens ausgeblendet. Nach dieser Meinung erlangt das erwerbende Konzernunternehmen die Kontrolle über die Zielgesellschaft. Aufgrund der punktuellen Ausblendung werden jedoch die Pflichten des § 35 WpÜG nicht ausgelöst. Solange der Stimmrechtsanteil des erwerbenden Konzernunternehmens an der Zielgesellschaft zwischenzeitlich nicht wieder unter 30 % der Stimmrechte absinkt, können auch spätere Zuerwerbe von Stimmrechten an der Zielgesellschaft nicht mehr die Verpflichtung zur Abgabe eines Übernahmeangebots (§§ 35 Abs. 1, 2 i.V.m. § 29 Abs. 2 WpÜG) für das erwerbende Konzernunternehmen auslösen.

Nach der Gegenmeinung führt die einmalige Nichtberücksichtigungsentscheidung der BaFin gem. § 36 Nr. 3 WpÜG zur zeitlich unbegrenzten Nichtberücksichtigung der betroffenen Stimmrechte (Hecker, in: Baums/ Thoma (Hrsg.), WpÜG, 2004, § 36 Rn. 120 ff; Harbarth, in: ZIP 2002, 321). Nach dieser Ansicht ist der Stimmrechtsanteil des Antragstellers stets ohne die gem. § 36 Nr. 3 WpÜG nicht zu berücksichtigenden Stimmrechte zu berechnen. Es wird fingiert, dass das erwerbende Konzernunternehmen – trotz der Aufstockung des Stimmrechtsanteils auf mindestens 30 % – keine Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt. Aufgrund späterer Zuerwerbe von Stimmrechten könnte nach dieser Auffassung erneut die Kontrollschwelle des § 29 Abs. 2 WpÜG erreicht werden. In diesem Fall muss das Konzernunternehmen entweder dann den Pflichten zur Veröffentlichung des Kontrollerwerbs und der Abgabe eines Übernahmeangebots (§§ 35 Abs. 1, 2 i.V.m. § 29 Abs. 2 WpÜG) nachkommen oder einen Nichtberücksichtigungs- bzw. einen Befreiungsantrag i.S.d. §§ 36, 37 WpÜG stellen.

Die BaFin folgt der Ansicht, dass der Bescheid über die Nichtberücksichtigung von Stimmrechten "punktuell" wirkt. Danach erlangt das erwerbende Konzernunternehmen rechtlich und wirtschaftlich die Kontrolle über die Zielgesellschaft. Aufgrund des Nichtberücksichtigungsbescheids gem. § 36 Nr. 3 WpÜG obliegt das erwerbende Konzernunternehmen jedoch weder der Pflichten zur Veröffentlichung des Kontrollerwerbs noch zur Abgabe eines Übernahmeangebots (§§ 35 Abs. 1, 2 i.V.m. § 29 Abs. 2 WpÜG). Solange der Stimmrechtsanteil des erwerbenden Konzernunternehmens zwischenzeitlich nicht wieder unter 30 % der Stimmrechte absinkt, stellen spätere Zuerwerbe – auch wenn diese mehr als 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft ausmachen – nicht noch einmal eine Kontrollerlangung dar. Ein erneutes Pflichtangebot nach § 35 Abs. 1, 2 WpÜG wird in diesem Fall nicht ausgelöst.

Dr. Christian Becker

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