Sitzverlegung einer Gesellschaft innerhalb der EU – formale Anforderungen für einen Wegzug

24.08.2016

[Berlin, ] Neben Privatpersonen steht auch den innerhalb der EU gegründeten Gesellschaften das Recht zu, innerhalb der EU ihren Sitz zu verlegen. Folge hiervon ist, dass die Gesellschaft identitätswahrend in der vergleichbaren Rechtsform des Zuzugslandes bestehen bleibt und im Wegzugsland gelöscht wird. Dabei wird zwischen den beiden Gesellschaften eine vollständige Rechtsidentität angenommen, d. h. sämtliche Rechte und Pflichten bestehen auch bei der neuen Gesellschaft im Zuzugsland fort (z.B. Beschäftigungsverhältnisse, Lieferbeziehungen etc.). Problematisch ist jedoch insoweit, dass klare gesetzliche Vorgaben für einen solchen grenzüberschreitenden Formwechsel, insbesondere auf europarechtlicher Ebene, fehlen. Das Kammergericht in Berlin konnte jedoch mit einem Beschluss vom 21. März 2016 (Az. 22 W 64/15, NZG 2016, 834) nunmehr erstmals zu den formalen Anforderungen einer Sitzverlegung und den anwendbaren Vorschriften Stellung nehmen.

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin war eine nach dem französischen Recht gegründete Kapitalgesellschaft (in der Rechtsform der S.à r.l.), die eine Sitzverlegung von Paris nach Berlin beschloss. Die Sitzverlegung wurde im französischen Handelsregister eingetragen. Nach Beschlussfassung der formwechselnden Umwandlung in eine GmbH nach deutschem Recht wies jedoch das Handelsregister in Deutschland die Anmeldung auf Eintragung der GmbH zurück mit dem Argument, dass auf einen derartigen grenzüberschreitenden Formwechsel die Vorschrift des Art. 8 SE-VO anzuwenden sei. So sei insbesondere ein Umwandlungsplan, der der Veröffentlichung bedurft hätte, und ein unverzichtbarer Umwandlungsbericht zu erstellen gewesen. Ferner hätten diese Dokumente veröffentlicht und eine Wartefrist von zwei Monaten gemäß Art. 8 Abs. 6 SE-VO eingehalten werden müssen. Da dies nicht erfolgte, wurde die Eintragung abgelehnt.

Entscheidung

Das Kammergericht hielt die Beschwerde insoweit für begründet. Das Gericht begründete seine Ansicht damit, dass die Vorschriften über einen grenzüberschreitenden Sitzwechsel einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) im vorliegenden Fall nicht anwendbar gewesen seien. Grundsätzlich komme zwar die Anwendung der Regelungen über die Europäische Aktiengesellschaft in Betracht. Allerdings scheiterte eine Anwendung im konkreten Fall daran, dass die Anwendung auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach französischem Recht zu einer erheblichen Benachteiligung gegenüber einer vergleichbaren deutschen GmbH führen würde. So sei die supranationale nationale Rechtsform der SE vor allem auf große Unternehmen zugeschnitten. Erkennbar sei dies etwa an den auf Arbeitnehmer und der Mitbestimmungsrechte bezogenen Regelungen (vergleiche hierzu Art. 1 Abs. 4, 12 Abs. 2 SE-VO). Auch sehe die SE-VO in deutlicher Abweichung zur Regelung vom deutschen Umwandlungsrecht für eine formwechselwillige GmbH die Erstellung eines Umwandlungsplans sowie die stets erforderliche Erstellung eines Umwandlungsberichts und deren besondere Bekanntmachung nebst Wartefrist von zwei Monaten vor. Eine solche Schlechterstellung sei europarechtlich nach Art. 49, 54 ‍ AEUV nicht gerechtfertigt. Daher seien nur die Regelungen für einen Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine GmbH nach deutschem Recht anwendbar, d.h. die §§ 190 ff. UmwG.

Praxishinweis

Es ist zu begrüßen, dass sich ein Gericht mit der Frage der grenzüberschreitenden Sitzverlegung innerhalb der EU vor dem Hintergrund der mangelnden gesetzlichen Grundlagen befasst hat. Insbesondere vor dem Hintergrund des „Brexit“ wird die Frage der grenzüberschreitenden Sitzverlegung gerade aus Großbritannien verstärkt an Praxisrelevanz gewinnen. Ob allerdings die Vorschriften über die SE-VO stets unanwendbar sind, wenn eine Gesellschaft nach Deutschland zuzieht, bleibt abzuwarten. So ist derzeit noch unklar, ob und welche Anzahl von Mitarbeitern bzw. welche weiteren Kriterien erfüllt sein müssen, damit von einem „großen Unternehmen“ ausgegangen werden kann und die SE-VO (entsprechend) anwendbar ist. Ferner hat die Entscheidung lediglich den Fall abgedeckt, wenn eine Gesellschaft aus der EU ihren Sitz nach Deutschland verlegt. Für den Fall des Wegzuges aus Deutschland wird wohl eine analoge Anwendung der SE-VO in Betracht kommen, da insoweit eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu verneinen sein wird. Für die Zukunft ist es daher stets ratsam mit sämtlichen beteiligten Handelsregistern im Vorhinein die erforderliche Dokumentation und deren formale Inhalte abzustimmen. Gerade im Hinblick auf grundbesitzhaltende Gesellschaften, die über keine Arbeitnehmer verfügen, wird man jedoch für den Fall des Zuzugs nach Deutschland unter Berufung auf die vorgenannte Entscheidung des Kammergerichts allein die Anwendung des deutschen Umwandlungsgesetzes für anwendbar halten, nicht jedoch der SE-VO.

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