Entgeltgleichheit: Paarvergleich mit einzelnen Bestverdienern möglich

Hamburg, 24.10.2025

Im Vorfeld der Umsetzung der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie durch den deutschen Gesetzgeber hat das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung bestärkt und klargestellt, dass die Vermutung einer geschlechterbasierten Benachteiligung aufgrund Vergütungsunterschieden auch bei einem Vergleich mit einem einzelnen Arbeitnehmer besteht. Klagende Arbeitnehmer sind demnach nicht auf die Geltendmachung der Median- oder Durchschnittsvergütung der Vergleichsgruppe anderen Geschlechts beschränkt. Unter Nutzung der Vereinfachungen, die die Vermutungswirkung des § 22 AGG bietet, können sie sich bis zur Höchstvergütung klagen. Dies erhöht (erneut) den Druck auf Arbeitgeber, ein Vergütungssystem zu implementieren, das – diskriminierungsfrei nicht erklärbare – Vergütungsdifferenzen ausschließt. Eine gut gepflegte und dokumentierte Personalakte ist somit höchst vergütungsrelevant.

Sachverhalt

Die Klägerin war seit 2008 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin auf der dritten Führungsebene E3 (Abteilungsleiterebene) unterhalb des Vorstands beschäftigt. Ihre Vergütung setzte sich u.a. aus einem fixen Grundgehalt, einem sog. Company Bonus, einer aktienorientierten Vergütung und einem Kapitalbaustein zur betrieblichen Altersversorgung zusammen. Diese Vergütungsbestandteile ergaben im Jahr 2022 eine Gesamtvergütung in Höhe von ca. EUR 105.000,00 brutto (bei einer Teilzeitbeschäftigung von 50%). 

Auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Beschäftigungsgrade lag die Vergütung der Klägerin damit sowohl unter (1.) der Median-Vergütung vergleichbarer weiblicher Arbeitnehmerinnen der Beklagten als auch unter (2.) der (höheren) Median-Vergütung vergleichbarer männlicher Arbeitnehmer der Beklagten und (3.) der (noch höheren) Vergütung eines einzelnen (spezifischen), mit der Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeiten vergleichbaren männlichen Arbeitnehmers, dessen Vergütung der Klägerin bekannt war.

Die Klägerin sah in ihrer niedrigeren Vergütung eine Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und klagte auf Auszahlung ausstehender Gehälter seit 2018. Sie begehrte primär Vergütungszahlungen in Höhe der ihr bekannten  Vergütung des einzelnen männlichen Arbeitnehmers – hilfsweise in Höhe der (niedrigeren) Median-Vergütung der vergleichbaren männlichen Arbeitnehmer der Beklagten. 

Die Entscheidung des Landesarbeits-
gerichts Baden-Württemberg

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg gab der Klägerin nur teilweise recht (siehe unser Legal Update vom 11. November 2024). Es bejahte zwar entsprechend § 22 AGG eine grundsätzliche Vermutung, dass die Klägerin wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden sei. Diese Vermutungswirkung beschränkte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg jedoch auf die Differenz zwischen der Median-Vergütung der vergleichbaren weiblichen und männlichen Arbeitnehmer. Nur in dieser Höhe könne entsprechend § 22 AGG vermutet werden, dass die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt worden sei und nur in dieser Höhe stehe ihr ein entsprechender Vergütungsanspruch zu. Hinsichtlich der darüberhinausgehenden Vergütungshöhe, insbesondere hinsichtlich der Differenz zu der noch höheren Vergütung des benannten einzelnen männlichen Arbeitnehmers, müsse die Klägerin gesondert darlegen und beweisen, dass sie wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden sei. 

Damit widersprach das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu einer sehr weitgehenden Vermutungswirkung, die auch bei einem sog. Paarvergleich zwischen einer einzelnen Arbeitnehmerin und einem einzelnen Arbeitnehmer die gesamte Vergütungsdifferenz umfasste. 

Die Entscheidung des Bundesarbeits-
gerichts vom 23. Oktober 2025

Das Bundesarbeitsgericht hat diese Argumentationslinie des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg nun aufgehoben und klargestellt, dass die Vermutungswirkung entsprechend § 22 AGG auch in einem Paarvergleich zwischen weiblichen und männlichen Arbeitnehmern greift. Dabei ist es unerheblich, wie viele weitere männliche Arbeitnehmer mit der Klägerin vergleichbar sind und in welchem Verhältnis die begehrte Vergütung des einzelnen Arbeitnehmers im Verhältnis zu der (Median-)Vergütung dieser weiteren Arbeitnehmer steht. 

Da die Klägerin die höhere Vergütung eines mit ihr vergleichbaren Arbeitnehmers benannt hatte, besteht hinsichtlich der gesamten Vergütungsdifferenz eine Vermutung entsprechend § 22 AGG, dass die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt wurde. Die beklagte Arbeitgeberin hätte dementsprechend hinsichtlich der gesamten Vergütungsdifferenz widerlegen müssen, dass die Vergütungsunterschiede aufgrund des Geschlechts begründet sind. Dabei kann sie sich nicht darauf berufen, dass die Median-Vergütung der weiblichen Vergleichsgruppe über der Vergütung der Klägerin lag, oder die Median-Vergütung der männlichen Vergleichsgruppe unter der seitens der Klägerin benannten Vergütung des einzelnen Arbeitnehmers. 

Kurz gesagt: Es steht Arbeitnehmern frei, im Klageweg die Vergütung des jeweils bestverdienendsten vergleichbaren Arbeitnehmer des anderen Geschlechts zu verlangen. Der Arbeitgeber steht sodann in der Bringschuld nachzuweisen, dass die Vergütungsdifferenz nicht auf dem Geschlecht basiert. Er braucht hierfür (dokumentierte) diskriminierungsfreie Gründe.

Gelingt dies nicht, ist der klagende Arbeitnehmer in derselben Höhe wie der benannte Arbeitnehmer zu vergüten – selbst wenn dessen Vergütung deutlich über dem Median- oder Durchschnittsgehalt der restlichen Vergleichsgruppe liegt. 

Auswirkungen

Das Bundesarbeitsgericht folgt mit seiner Rechtsprechung der bestehenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Zugleich erhöht es so (erneut) den Druck auf deutsche Arbeitgeber zeitnah die Vorgaben der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts umzusetzen und Vergütungssysteme zu implementieren, die diesen Vorgaben entsprechen. Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sollte dabei stets darauf geachtet werden, dass derartige Vergütungssysteme und die auf dieser Basis gezahlten Vergütungen auch einem möglichen Paarvergleich mit dem bestverdienendsten Arbeitnehmer des anderen Geschlechts standhalten und etwaige Vergütungs-unterschiede (lückenlos) aufgrund von diskriminierungsfreien Kriterien erklärt werden können. Dies setzt auch die vollständige Dokumentation von Vergütungszusammensetzung und Vergütungshistorie voraus.

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung –wir unterstützen und beraten Sie gern!

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