Produkt- bzw. Unternehmensbewertungen im Internet dienen Verbrauchern als wichtige Entscheidungshilfe beim Kauf eines Produktes bzw. der Inanspruchnahme einer Leistung. Das macht sie nicht nur wertvoll, sondern auch interessant für weniger lautere Aktivitäten. In Anbetracht dessen hat das Bundeskartellamt eine Sektoruntersuchung zu Nutzerbewertungen im Internet durchgeführt. Deren Ergebnisse wurden jetzt veröffentlicht – und verdienen eine kritische Betrachtung. Denn das Bundeskartellamt hat sich nicht nur auf die Benennung von problematischen Entwicklungen beschränkt. Vielmehr wurden auch konkrete Forderungen ausgesprochen, die (schon wegen der Autorität der Behörde) das Potenzial haben, wettbewerbsrechtliche Konflikte zu schüren.
I. BKartA sieht Pflichtverstöße bei Plattformen
Die zentrale Botschaft der Untersuchung lautet: „Portale und Plattformen müssen für die von ihnen dargestellten Bewertungen deutlich mehr Verantwortung übernehmen.“ Zwar hat das Bundeskartellamt keine unmittelbare Befugnis, diesbezüglich konkrete behördliche Anordnungen zu treffen. Ihm bleibt primär nur der Appell an die Betreiber. Zwischen den Zeilen wird jedoch deutlich, dass die entsprechende Verantwortlichkeit auf dem Zivilrechtsweg eingefordert werden könnte. Die Ausführungen lassen sich somit auch als Aufforderung dazu verstehen, Unternehmen im Hinblick auf die rechtskonforme Darstellung von Bewertungen zu prüfen und ggf. wettbewerbsrechtlich abzumahnen.
II. Identifikation verschiedener Problembereiche
Probleme (und somit Anhaltspunkte für Abmahnungen) bestehen aus Sicht des Bundeskartellamts hinsichtlich folgender, sich teilweise überschneidender Thematiken:
- Umgang mit incentivierten Bewertungen: Es handelt sich dabei um Bewertungen, bei denen der Bewertende mit einem Anreiz (z.B. Gutschein) zur Bewertung veranlasst wurde und dieser Anreiz den Inhalt der Bewertung positiv beeinflusst. Fehlen Hinweise auf derartige Anreize, würden Verbraucher in die Irre geführt.
- Umgang mit Produkttest-Bewertungen: Es handelt sich dabei um Bewertungen, die entstehen, wenn ein Produkt gerade mit der Motivation genutzt wird, um darüber später zu berichten. Durch Vorgabe von Produkten für Testreihen sowie die Tendenz, das vergünstigt erworbene Produkt eher positiv zu bewerten, würden die Ergebnisse verzerrt. Dies gelte umso mehr, wenn Verbraucher über die Durchführung derartiger Tests nicht informiert werden.
- Umgang mit manipulierten Bewertungen: Es handelt sich dabei um Bewertungen, für die dem Bewertenden im Vorfeld inhaltliche Vorgaben gemacht worden sind. Dadurch würden Verbraucher zum Kauf schlechterer Produkte veranlasst.
- Umgang mit nicht-authentischen Bewertungen: Es handelt sich dabei um Bewertungen, bei denen der Bewertende das Objekt bzw. die Leistung gar nicht genutzt oder in Anspruch genommen hat. Ähnlich wie bei manipulierten Bewertungen würde dadurch der Qualitäts- und Preiswettbewerb verzerrt.
- Darstellung der Gesamtheit von Bewertungen, insbesondere Asymmetrien in der Auswahl und Anzeige (z.B. durch erhöhte Begründungserfordernisse für negative Bewertungen): Es komme insbesondere bei unterlassenen Hinweisen auf die Darstellungslogik zu einem verzerrten Ergebnis, das nachteilige Verbraucherentscheidungen auslöst.
Tatsächlich lassen sich in den genannten Bereichen verschiedene Anhaltspunkte für Verstöße etwa gegen §§ 3, 5 oder 5a UWG finden. Wird die Durchführung eines Tests im Rahmen einer Testreihe verschwiegen oder eine unwahre Behauptung aufgestellt, ist etwa der weite Anwendungsbereich des Tatbestandes einer irreführenden geschäftlichen Handlung grundsätzlich eröffnet. Die noch in deutsches Recht umzusetzende Richtlinie (EU) 2019/2161 enthält nunmehr sogar eine ausdrückliche Klarstellung, dass die Abgabe gefälschter Bewertungen oder Empfehlungen von Verbrauchern ebenso wie die falsche Darstellung von Verbraucherbewertungen oder Empfehlungen in sozialen Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung eine unzulässige irreführende Geschäftspraktik darstellt. Gleiches gilt im Falle einer Erteilung des Auftrags an Dritte, gefälschte Bewertungen oder Empfehlungen von Verbrauchern abzugeben.
III. Stärkeres proaktives Handeln gefordert
Schwierigkeiten bei der Verfolgung derart unlauterer Handlungen ergeben sich aufgrund der eigenverantwortlichen Verursachungsbeiträge verschiedener Akteure. Der Portalbetreiber steht am Ende eines Vorgangs, an dem neben dem Bewertenden häufig auch Hersteller, Händler oder Bewertungsvermittler mitwirken. Die wesentliche Forderung des BKartA richtet sich dennoch im Kern nur an die Plattformbetreiber. Sie lautet, stärker proaktiv zu handeln, insbesondere durch den Einsatz von technischen Filtern sowie durch intensive manuelle Vorab-Kontrollen von Bewertungen. Dass eine rechtliche Pflicht zu derartig weitreichenden Maßnahmen besteht, lässt sich im Allgemeinen jedoch nicht bestätigen. Gerade die proaktive Filterverpflichtung, die in Anknüpfung an Rechtsprechung des BGH zu „spezifischen Überwachungspflichten“ hergeleitet wird, begründet das Kartellamt in seiner Untersuchung nicht überzeugend.
1. BKartA hält proaktives Handeln für zumutbar
Das Bundeskartellamt hält stärkere proaktive Prüfungen in Anbetracht der Leitlinien des BGH grundsätzlich für zumutbar; angesichts des massenhaften Auftretens von irreführenden Bewertungen handele es sich um vorhersehbare Verstöße. Da im Zuge der Untersuchung zudem festgestellt worden sei, dass einige Plattformen mit freiwilligen präventiven Maßnahmen Erfolge erzielen konnten und auch im Hinblick etwa auf strafrechtlich oder datenschutzrechtlich relevante Fragestellungen technische Filter einen positiven Effekt zeigen würden, könne man die Betreiber ebenso zur Eindämmung wettbewerbsrechtlicher Verstöße stärker in die Pflicht nehmen. Zudem würden Betreiber häufig durch die Ausgestaltung ihrer Portale (etwa mittels Einschränkungen von Offenlegungsmöglichkeiten für relevante Informationen oder die systemische Bevorzugung positiv bewerteter Produkte) wettbewerbsrechtlichen Rechtsverstößen „Vorschub leisten“. Als Kehrseite müssten sie deshalb im Vorfeld stärker aktiv werden, um derartige Verstöße zu verhindern.
2. Restriktive Interpretation proaktiver Pflichten
Diese Argumentation steht jedoch im Konflikt mit dem restriktiven Grundgedanken der Gerichte bei der Bestimmung „spezifischer Prüfungspflichten“. Entscheidend ist danach, ob eine Rechtsverletzung eines Dritten auf Grund einer unklaren Rechtslage erst nach eingehender rechtlicher oder tatsächlicher Prüfung festgestellt werden kann oder ob sie für den Betreiber offenkundig oder unschwer zu erkennen ist. Nur in letztgenanntem Fall greifen überhaupt Pflichten im Vorfeld der Veröffentlichung von Bewertungen ein.
In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle kann jedoch nicht von einer derartigen offenkundigen Erkennbarkeit ausgegangen werden. Ob etwa eine Bewertung aufgrund eines finanziellen Anreizes abgegeben wurde und/oder inhaltlich zutreffend ist, lässt sich nur mit eingehenden Nachforschungen im Vorfeld der Veröffentlichung ermitteln. Dies sieht übrigens auch das Kartellamt, wenn es z.B. anregt, Gruppen von Testern in sozialen Medien aufzuspüren und auf mögliche rechtswidrige Absprachen zu überwachen oder Metadaten von Bewertenden auf Unregelmäßigkeiten zu prüfen.
Hinzu kommt, dass die auf Korrektheit, Vollständigkeit und/oder Authentizität der Bewertungen angelegten Maßnahmen es zwangsläufig mit sich bringen, dass Betreiber dann praktisch eine inhaltlich-redaktionelle Aufbereitung der Bewertungen vornehmen würden. Damit wäre die Grenze überschritten, um von einem „Zueigenmachen fremder Inhalte“ im Sinne der Rechtsprechung auszugehen. Plattformbetreiber könnten dann für wettbewerbswidrige Bewertungen in Anspruch genommen werden, als ob sie selbst deren Verfasser wären. Es dürfte sich aber von selbst verstehen, dass die gerichtlich etablierten, eher unbestimmten „spezifischen Überwachungspflichten“ nicht dazu eingesetzt werden dürfen, die Betreiber in eine derartige haftungsrechtliche „Zwickmühle“ zu bringen.
Unabhängig davon stünden die vom Kartellamt angedachten weitreichenden proaktiven Maßnahmen auch im Widerspruch zu der vom Gesetzgeber vorgesehenen Möglichkeit einer pseudonymen bzw. anonymen Nutzung einer Plattform (vgl. § 13 Abs. 6 TMG). Gerade der Vorschlag, stärker auf die Analyse von Metadaten zu setzen, birgt das Risiko, sich ein „neues“ datenschutzrechtliches Konfliktfeld zu schaffen. Zu bedenken ist schließlich, dass Verbraucher in der Praxis auch eher von der Abgabe von Bewertungen Abstand nehmen würden, wenn sie im Vorfeld umfassende Erklärungen und ggf. Nachweise in Bezug auf das bewertete Objekt vorlegen müssten. Im Endeffekt würde dadurch das vorteilhafte Instrument der Nutzerbewertungen in seiner Funktionsweise stark beeinträchtigt.
VI. Fazit
Als Fazit lässt sich festhalten, dass Plattformbetreiber wegen der Forderung des Bundeskartellamtes nach stärkerem proaktivem Handeln nicht in unnötigen Aktionismus verfallen sollten. Es handelt sich zunächst einmal „nur“ um Vorschläge zur Eindämmung unlauterer Bewertungen im Internet. Da die angedachten Maßnahmen in Wechselwirkung mit anderen Rechtsgebieten stehen, insbesondere auch datenschutzrechtliche Konflikte auslösen können, sollte vor ihrer Umsetzung in jedem Fall eine umfassende rechtliche Prüfung stehen. Eine Anordnung konkreter Maßnahmen in diese Richtung droht hingegen nicht, da das Bundeskartellamt dazu nicht befugt ist. Insofern kann grundsätzlich abgewartet werden, inwieweit diese Anregungen tatsächlich Eingang in die Zivilrechtsprechung finden.
Dass diese Forderungen zeitnah vor Gerichten diskutiert werden, ist allerdings schon jetzt absehbar. Gerade wegen des mehrfachen Verweises des Bundeskartellamtes auf den Zivilrechtsweg sowie die Klagebefugnis der Verbraucherverbände dürften Plattformbetreiber mit Hinweis auf mangelnde proaktive Maßnahmen verstärkt in Anspruch genommen werden. Aus den dargestellten Gründen sollte derartigen Abmahnungen jedoch nicht vorschnell nachgegeben werden.