Differenzierte Preisabrede zulasten des vorkaufsberechtigten Mieters ist unzulässig (BGH, Urteil vom 23. Februar 2022 – VIII ZR 305/20)

Berlin, 26.09.2022

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Problemaufriss

In dem einer aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde liegenden Sachverhalt streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer sogenannten „differenzierten Preisabrede“, die die Zahlung eines höheren Kaufpreises durch den vorkaufsberechtigten Mieter vorsieht.

Die Klägerin hatte von der Beklagten als Eigentümerin eines Mehrparteienhauses in Berlin eine Wohnung angemietet. Im Jahr 2015 teilte die Beklagte das Mehrparteienhaus in Wohnungseigentumseinheiten auf und schloss am 6. Dezember 2016 einen notariellen Kaufvertrag über die von der Klägerin bewohnte Wohnung mit einem Dritten (nachfolgend „Erstkäufer“).

Der Kaufvertrag sah vor, dass die Bemessungsgrundlage des Wohnungskaufpreises von EUR 163.266,67 die Lieferung des Wohnungseigentums ohne Mietverhältnis mit einem Dritten ist.

Wird das Wohnungseigentum hingegen mit dem laufenden oder einem anderen Mietverhältnis geliefert, mindert sich der Kaufpreis um zehn Prozent.

Hiergegen richtete sich die Klage der vorkaufsberechtigten Mieterin, die zunächst unter Vorbehalt den höheren Kaufpreis an die Beklagte zahlte.

Die Klage hatte vor dem Landgericht, abgesehen von einem geringen Teil der Zinsforderung, Erfolg. Die von der Beklagten erhobene Berufung wies das Kammergericht zurück.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Auch die von der Beklagten vor dem Bundesgerichtshof erhobene Revision war erfolglos. Nach Auffassung des BGH stellt die streitgegenständliche Preisabrede einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter dar.

Die Unwirksamkeit der Klausel folge allerdings nicht, wie es das Berufungsgericht noch angenommen hatte, aus der Vorschrift des § 577 Abs. 5 BGB, sondern aus §§ 577 Abs. 1 S. 3, 464 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Verbot, einen Vertrag zulasten Dritter abzuschließen.

Nach Ansicht des BGH gewährleistet die gesetzliche Regelung des § 464 Abs. 2 BGB, dass den Vorkaufsberechtigten nach dem Inhalt seines Kaufvertrags keine anderen, insbesondere keine ungünstigeren Bedingungen treffen als diejenigen, die für den Erstkäufer gelten würden.

Eine ungünstigere Behandlung liege dabei nicht nur vor, wenn der Vorkaufsberechtigte stets einen höheren Kaufpreis zahlen müsse, sondern auch dann, wenn dem Erstkäufer unter bestimmten Bedingungen die Bezahlung eines niedrigeren Kaufpreises gewährt wird.

Eine Zulässigkeit der Preisabrede ergebe sich insbesondere nicht aus dem Argument, dass vermieteter Wohnraum grundsätzlich nur zu einem geringeren Kaufpreis veräußert werden könne und dadurch eine „differenzierende Preisabrede“ gerechtfertigt sei.

Vielmehr geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass sich eine bestehende Vermietung nur dann mindernd auf den Kaufpreis auswirkt, wenn die Wohnung zu einem unterhalb des Marktniveaus liegenden Entgelt vermietet ist und deshalb für einen an einer Kapitalanlage interessierten Käufer weniger werthaltig wäre oder wenn der konkret interessierte Käufer die Wohnung zur Eigennutzung erwerben will.

Doch selbst wenn dies der Fall wäre, stünde nach dem Gesetz dieser wirtschaftliche Vorteil dem vorkaufsberechtigten Mieter zu. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber die in § 577 Abs. 1 Satz 3 BGB geregelte Anwendung der Vorschriften über den Vorkauf entsprechend eingeschränkt oder jedenfalls modifiziert.

Dem Verkäufer würde dadurch auch kein unbilliger Nachteil entstehen, wenn er für die in seinem Eigentum stehende Wohnung lediglich den Kaufpreis erzielt, den ein Erstkäufer bereit ist, für eine vermietete Wohnung zu bezahlen. Denn im Eigentum des Verkäufers steht in diesen Fällen bei Vertragsschluss – und gerade bei einer Übertragung an den Vorkaufsberechtigten – auch bis zur Beendigung seiner Eigentümerstellung „nur“ eine vermietete Wohnung.

Insoweit gehe auch die Argumentation fehl, ein höherer Kaufpreis zulasten des Vorkaufsberechtigten sei deshalb gerechtfertigt, weil er für seine Leistung in Form eines höheren Kaufpreises eine äquivalente Gegenleistung, nämlich die Übereignung einer aus seiner Sicht nicht an einen Dritten vermietete Wohnung, erhalte. Vielmehr würde dies dazu führen, dass der Verkäufer von einem seinem Vermögen anhaftenden Nachteil auf Kosten des Vorkaufsberechtigten frei wird.

Es verbiete sich zudem, einen Vergleich der Position des Erstkäufers mit derjenigen des vorkaufsberechtigten Mieters unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten anzustellen. Vielmehr sehe § 464 Abs. 2 BGB vor, dass für den Vorkaufsberechtigten objektiv dieselben Bedingungen wie für den Erstkäufer gelten müssen. Ob sich die mit dem Erstkäufer vereinbarten Bedingungen für den Vorkaufsberechtigten im Vorkaufsfall wirtschaftlich betrachtet anders – unter Umständen günstiger – als für den Erstkäufer im Fall der Nichtausübung des Vorkaufsrechts auswirken, ist hingegen nicht von Belang.

Hinweis für die Praxis

Der Bundesgerichtshof bringt mit seiner Entscheidung erstmals Klarheit in die bisher umstrittene Frage, inwieweit „differenzierte Preisabreden“ zulasten eines vorkaufsberechtigten Mieters unzulässig sind.

Nunmehr steht fest, dass eine Regelung, die im Falle der Ausübung des Vorkaufsrechts einen höheren Kaufpreis für den vorkaufsberechtigten Mieter vorsieht, den Mieter unbillig benachteiligt und ihm gegenüber daher unwirksam ist. Der Gestaltungsspielraum für Verkäufer schrumpft damit in der Praxis und es wird künftig noch stärker darauf zu achten sein, dass Kaufverträge sowohl für den Erstkäufer als auch für den vorkaufsberechtigten Mieter objektiv stets dieselben Bedingungen vorsehen.

Davon abgesehen, bleibt es dem Verkäufer aber unbenommen, mit dem Erstkäufer einen höheren Kaufpreis für den Fall zu vereinbaren, dass das bei Vertragsabschluss bestehende Mietverhältnis zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt vor dem Eigentümerwechsel durch Kündigung  oder einvernehmliche Aufhebung erloschen sein sollte.

Autoren: Silvio Sittner und Tim Schwandt, LL.M.

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