Der neue § 16 Abs. 4a Grunderwerbsteuergesetz im Überblick

Köln, 26.09.2023

Einleitung und Hintergrund 

Der neue § 16 Abs. 4a Grunderwerbsteuergesetz (im Folgenden „GrEStG“) wurde mit dem Jahressteuergesetz 2022 vom 16. Dezember 2022 (JStG 2022, BGBl. I 2022, 2294) eingeführt. Ziel war es, der Gefahr einer möglichen Doppelbesteuerung bei der Übertragung von Gesellschaftsanteilen („Share Deals“) entgegenzuwirken. 

Hintergrund der Regelung sind solche Fälle, in denen bei der Übertragung von mindestens 90 Prozent der Anteile an einer Grundstücksgesellschaft der Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Vertrags und der Zeitpunkt der tatsächlichen Übereignung auseinanderfallen. Die Finanzverwaltung nimmt nach der sogenannten „Signing-Closing-Theorie“ in diesen Fällen für beide Zeitpunkte jeweils einen eigenen grunderwerbsteuerpflichtigen Erwerbsvorgang an. Dies führt im Rahmen eines einheitlichen Lebensvorgangs – dem Verkauf und der darauffolgenden Übereignung der Anteile – zu einer doppelten Besteuerung mit Grunderwerbsteuer. 

Im Rahmen der Verwaltungspraxis wurde diese Problematik bisher dergestalt gelöst, dass im Zeitpunkt der Übereignung („Closing) Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2a bzw. 2b GrEStG festzusetzen und die zuvor aufgrund des Vertragsabschlusses nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 bzw. § 1 Abs. 3a GrEStG bereits erfolgte Festsetzung („Signing) wieder aufzuheben ist. Alternativ wurde eine Festsetzung aufgrund des „Signings“ nur für geboten gehalten, wenn innerhalb eines Jahres nach Kenntniserlangung durch die Finanzverwaltung eine Besteuerung aufgrund des „Closings“ nicht zu erwarten ist (vgl. BMF-Schreiben vom 10. Mai 2022, Tz. 8.2). Für diese Vorgehensweise der Finanzverwaltung existierte bisher keine normative Grundlage. 

Regelungszweck und Inhalt 

Mit der Einführung des § 16 Abs. 4a GrEStG beabsichtigte der Gesetzgeber nun ausweislich der Gesetzesbegründung, eine Grundlage für die beschriebene Verwaltungspraxis zu schaffen und damit eine grundsätzlich mögliche doppelte Besteuerung zu verhindern. Demnach kann auf einen entsprechenden Antrag hin die Festsetzung, bezogen auf das „Signing“, wieder aufgehoben werden, sofern mittlerweile die tatsächliche Übereignung – das „Closing“ – stattgefunden hat. Die Aufhebung ist dabei jedoch gemäß § 16 Abs. 5 Satz 2 GrEStG an eine fristgerechte und vollständige Anzeige beider Vorgänge bei der zuständigen Finanzbehörde geknüpft. Die Anforderungen, die dabei an eine solche fristgerechte Anzeige gestellt werden, ergeben sich aus den §§ 18–20 GrEStG. Einige Einzelheiten der Anzeigepflicht sollen im Folgenden beleuchtet werden.

Zuständige Finanzbehörde – § 17 GrEStG

Eine entsprechende Anzeige ist nach § 17 GrEStG in der Regel bei dem Finanzamt einzureichen, in dessen Bezirk das Grundstück belegen ist. Unter bestimmten Umständen kann auch die Zuständigkeit mehrerer Finanzämter gegeben sein.

Anforderungen der Erwerbsanzeige – §§ 18–20 GrEStG

Die Anforderungen, welche an eine vollständige Erwerbsanzeige gestellt werden, sind vielseitig. Die Meldepflicht bezieht sich nach § 20 GrEStG unter anderem auf folgende Aspekte:

  • den Vor- und Nachnamen,
  • die Anschrift,
  • das Geburtsdatum,
  • die Steueridentifikationsnummer des Veräußerers, des Erwerbers und – sofern abweichend – der Person, welche die Grunderwerbsteuer zahlt,
  • die Bezeichnung des Grundstücks nach Grundbuch, Kataster, Straße und Hausnummer,
  • die genaue Bezeichnung der Eigentumsverhältnisse des Grundstücks,
  • die Größe des Grundstücks und, falls vorhanden, die Art der Bebauung,
  • eine detaillierte Bezeichnung des anzeigepflichtigen Vorgangs,
  • den Kaufpreis oder sonstige Gegenleistung, wobei jede Änderung diesbezüglich eine erneute Anzeigepflicht generiert, und
  • den Namen und die Anschrift der Urkundsperson.

Zudem müssen detaillierte Angaben über die Gesellschaft, deren Anteile und eine Beteiligungsübersicht beigefügt werden. 

Die Anzeigepflichtigen haben die Anzeige innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung über den anzeigepflichtigen Vorgang an die zuständige Finanzbehörde zu übermitteln (§ 19 Abs. 3 Satz 1 GrEStG). Bei ausländischen Beteiligten verlängert sich die Frist auf einen Monat (§ 19 Abs. 3 Satz 2 GrEStG). 

Ablaufhemmung – § 16 Abs. 4a Satz 2 GrEStG

In § 16 Abs. 4a Satz 2 GrEStG ist darüber hinaus eine Ablaufhemmung vorgesehen. Danach endet die Festsetzungsfrist für einen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG („Closing) nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist für den Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder nach § 1 Abs. 3a GrEStG („Signing).

Sinnhaftigkeit der neuen Regelung

Der Gesetzgeber wollte mit der neuen Regelung einer Doppelbesteuerung entgegenwirken und damit eine Erleichterung für Grunderwerbsteuerpflichtige im Rahmen eines Anteilskaufs schaffen. Auf den ersten Blick mag dies auch gelungen sein, scheint das Spannungsfeld zwischen den zeitlich auseinanderfallenden Steuerfestsetzungen „Signing“ und „Closing“ nun aufgehoben. Diese Schlussfolgerung täuscht jedoch, denn die Anforderungen, welche an die vollständige und rechtzeitige Erklärung der Vorgänge gestellt werden, sind hoch und fehleranfällig. Es reichen bereits schlichte Versäumnisse in Bezug auf die Vollständigkeit der Erwerbsanzeige oder ein Fristversäumnis aus, um eine entsprechende Korrektur der Festsetzungen gänzlich zu verhindern. 

Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, wie später erkannte (zum Beispiel im Rahmen einer Betriebsprüfung) grunderwerbsteuerpflichtige Vorgänge zu behandeln sind. So sind für diese aufgedeckten Fälle gerade keine Anzeigen abgeben worden, sodass – rein formell betrachtet – das Risiko einer Doppelbesteuerung besteht. Systematisch kann dieses Ergebnis nicht richtig sein.

Ob überhaupt eine Vorschrift wie der § 16 Abs. 4a GrEStG erforderlich gewesen wäre, darf überdies dem Grunde nach angezweifelt werden, denn § 1 Abs. 3 GrEStG („Signing) stellt ausweislich seines Wortlauts bereits klar, dass dieser Erwerbstatbestand subsidiär zu den Erwerbstatbeständen der Absätze 2a und 2b („Closing) anzuwenden ist. Leider teilte die Finanzverwaltung diese Auffassung bei einer zeitlichen Diskrepanz zwischen Vertragsabschluss und Übereignung in der Vergangenheit nicht und sah deshalb auch die oben genannten Verfahrensregelungen vor, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden (vgl. BMF-Schreiben vom 10. Mai 2022, Tz. 8.1 f.). Dass der Gesetzgeber nun den Bedarf für eine Einführung des § 16 Abs. 4a sah, dürfte wohl als legislative Bestätigung der Verwaltungsauffassung zu werten sein.

Ein weiteres Problem stellt die in § 16 Abs. 4a Satz 2 GrEStG normierte Ablaufhemmung dar, welche sich nur auf Bescheide nach § 1 Abs. 2a und 2b („Closing), nicht jedoch auf solche nach § 1 Abs. 3 GrEStG („Signing) bezieht. Dies würde praktisch bedeuten, dass bei einer Festsetzungsverjährung eines Bescheids, welcher aufgrund des „Signings“ ergangen ist, keine Korrektur mehr erfolgen kann. Die Festsetzungsverjährung tritt dabei gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nach vier Jahren ein. Die Ablaufhemmung kommt somit lediglich der Finanzverwaltung zugute, welche genug Zeit hat, bei einem zeitlich versetzten „Closing“ jederzeit die Grunderwerbsteuer noch festsetzen zu können. Umgekehrt wird aber gerade nicht sichergestellt, dass die Steuerfestsetzung „Signing“ im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung „Closing“ noch aufgehoben werden kann.

Schließlich hat der Gesetzgeber es versäumt, eine zeitliche Anwendungsregelung vorzusehen. In der Folge könnten damit grundsätzlich alle noch offenen Fälle betroffen sein. Dies wird in der Literatur abgelehnt. Zumal sich auch das Verhältnis der insoweit engeren Gesetzesregelung zur nicht aufgehobenen, das heißt noch bestehenden Finanzverwaltungsauffassung stellt, nach der die Finanzverwaltung eine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 GrEStG („Signing“) nur in den Fällen für geboten hält, in denen bis zu einem Jahr nach Kenntnisnahme der Finanzverwaltung von dem Sachverhalt eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG („Closing“) nicht zu erwarten ist. 

Auswirkungen für die Praxis und Ausblick

§ 16 Abs. 4a und 5 GrEStG stellt die gängige Transaktionspraxis vor enorme Herausforderungen, da die Anzeigen zum „Signing“ und „Closing“ vollständig und fristgerecht eingereicht werden müssen, damit das neu normierte System funktioniert. Die Beteiligten sind insbesondere bei Auseinanderfallen von „Signing“ und „Closing“ gefordert, innerhalb von zwei Wochen nach „Signing“ die vollständige und fristgerechte Anzeige abzugeben. Es ist insoweit zu empfehlen, bereits vor „Signing“ – während der Vorbereitung der Transaktion – die erforderlichen Informationen zusammenzustellen und die Anzeige schon vorzubereiten, um die Frist halten zu können. Nach einem aktuellen Diskussionsentwurf des BMF zur Reformierung der Grunderwerbsteuer ist im Übrigen offenbar geplant, unter anderem die Regelungen zu §§ 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG und in diesem Zusammenhang auch § 16 Abs. 4a GrEStG wieder abzuschaffen. Ob sich diese Reformüberlegungen indes durchsetzen, ist noch offen.

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