Update zur Europäischen Aktiengesellschaft (SE)

26.10.2018

Dr. Alexander Kessler, Dr. Isabelle Schneider

Während die Zahl der deutschen Aktiengesellschaften sinkt, erfreut sich die SE immer größerer Beliebtheit. Die Zahl der Neugründungen wächst stetig. Die europäische Variante der AG erlebt einen beispiellosen „Boom“ und hat sich nicht nur in Großunternehmen, sondern inzwischen auch in mittelständischen Unternehmen etabliert. Vor allem die internationale Ausrichtung der Gesellschaftsform und die höhere Flexibilität bei Mitbestimmungsfragen machen den Rechtsformwechsel zur SE attraktiv. Außerdem erlaubt es die SE in der monistischen Form, Gründer bzw. Gesellschaftereinfluss weitgehend abzusichern. Der Nachteil der Rechtsunsicherheit, den die neue Gesellschaftsform mit sich bringt, wird durch kontinuierliche Rechtsentwicklung schrittweise abgebaut. Es verbleiben strittige Punkte, deren Klärung der höchstrichterlichen Rechtsprechung obliegt. Hierzu tragen auch die aktuellen Gerichtsentscheidungen bei, die im Folgenden zusammengefasst werden:

Konservierung der Mitbestimmungsfreiheit auch bei materieller Mitbestimmungspflicht (insb. OLG Frankfurt a.M. vom 27. August 2018)?

Der Rechtsformwechsel einer deutschen AG in eine SE wird häufig in Erwägung gezogen, wenn ein Unternehmen damit rechnen muss, die mitbestimmungsrelevanten Schwellenwerte von 500 Arbeitnehmern gemäß dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) oder 2.000 Arbeitnehmern nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) zu erreichen. Die Anlässe sind ganz Verschiedene, sei es eine Akquisition, entsprechendes organisches Wachstum, eine Umstrukturierung, das vorsorgliche „Mitzählen“ im Ausland beschäftigter Arbeitnehmer oder eine erstmalige Mitberücksichtigung von Arbeitnehmern einer Tochtergesellschaft, mit der aus umsatzsteuerlichen oder anderen Gründen ein Beherrschungsvertrag besteht (§ 2 Abs. 2 DrittelbG).

Der Rechtsformwechsel zur SE bietet die Möglichkeit, das bisherige Mitbestimmungsstatut „einzufrieren“, sodass Schwellenwerte für das Mitbestimmungsniveau unerheblich sind. Denn an die Stelle des Mitbestimmungs- und des Drittelbeteiligungsgesetzes tritt bei der SE das europarechtlich vorgegebene SE-Beteiligungsgesetz. Maßgeblich sind demnach grundsätzlich die Vereinbarungen zwischen den Vertretungsorganen der am Gründungsvorgang beteiligten Gesellschaften und dem sogenannten besonderen Verhandlungsgremium, das von Arbeitnehmerseite gewählt wird (§§ 4 ff. SEBG).

In der Praxis kommt es häufig vor, dass ein Unternehmen den relevanten Schwellenwert bereits überschritten hat (oder ein entsprechendes Risiko besteht), aber noch kein mitbestimmter Aufsichtsrat gebildet worden ist. In diesem Fall ist unklar, ob ein Rechtsformwechsel in die SE dazu führt, dass die bestehende Mitbestimmungspflicht endet oder ob die Arbeitnehmerseite auch nach dem Formwechsel noch die Bildung eines mitbestimmten Aufsichtsrats durchsetzen kann.

Zu dieser praktisch sehr bedeutsamen Frage sind nun in kurzer Folge gleich mehrere einschlägige Gerichtsentscheidungen ergangen:

Zwei wichtige Landgerichte sind zu dem Ergebnis gekommen, dass auch die materielle Mitbestimmungspflicht mit dem Formwechsel endet, die frühere Rechtslage also gerade nicht durch den Formwechsel in die SE „hineintransportiert“ wird (LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23. November 2017 Az. 3-05 O 63/17, sowie Beschluss vom 21. Dezember 2017, Az. 3-05 O 81/17, und LG München I, Beschluss vom 26. Juni 2018, Az. 38 O 15760/17; näher Behme, EWiR 2018, 333; Kessler, GWR 2018, 276).

Zur Begründung haben die Landgerichte sich insbesondere darauf gestützt, dass es wegen des Kontinuitätsprinzips des § 96 Abs. 4 AktG bei den gesetzlichen SE-Auffangregelungen (§§ 34-38 SEBG) allein auf die tatsächliche Handhabung der Mitbestimmung in der Gesellschaft und nicht auf die abstrakte Rechtslage ankomme. Das bisherige Mitbestimmungsniveau nach dem bestehenden Zustand bleibe damit auch dann erhalten, wenn bei der Gesellschaft in ihrer Ausgangsrechtsform zu Unrecht kein mitbestimmter Aufsichtsrat gebildet worden sei.

Auf die Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss des LG Frankfurt a.M. hat das OLG Frankfurt a.M. nun im entgegengesetzten Sinne entschieden, dass der rechtlich gebotene Soll-Zustand zum Zeitpunkt der Umwandlung für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats entscheidend sei (Beschluss vom 27. August 2018, Az. 21 W 29/18).

Das OLG Frankfurt a.M. begründet seine Auffassung damit, dass der Wortlaut der §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1 SEBG so zu deuten sei, dass die vor der Umwandlung anzuwendenden gesetzlichen Regelungen auch nach Umwandlung Gültigkeit beanspruchen. Auch aus dem Kontinuitätsprinzip ergebe sich nichts anderes. Denn § 96 Abs. 4 AktG perpetuiere die zuletzt angewandten gesetzlichen Grundlagen bis zum Abschluss des Statusverfahrens, setze aber gleichzeitig die Möglichkeit der Änderung mittels des Statusverfahrens voraus. Die Vorschrift vermöge daher nicht die Zementierung eines rechtswidrigen Zustands über die Verfahrensdauer hinaus zu begründen.

Das OLG Frankfurt hat ausdrücklich offen gelassen, ob die dargestellte Auslegung auch für andere SE-Gründungsformen wie insbesondere die Verschmelzung gilt. In einer Entscheidung über einen Antrag auf Feststellung der paritätischen Besetzung des Aufsichtsrates nach dem MitBestG bei einer AG hat das LG Berlin die Frage ebenfalls offen gelassen (Beschluss vom 9. März 2018, Az. 02 O 72/17 AktG, ZIP 2018, 1692). Eine niederländische Aktiengesellschaft (N.V.) sollte die AG im Wege der Verschmelzung aufnehmen und in diesem Zusammenhang die Rechtsform der SE annehmen. Das LG Berlin entschied, dass das Rechtsschutzbedürfnis für das Statusverfahren nicht entfalle, obwohl die AG infolge der Verschmelzung als Rechtsperson untergehe. Denn die Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates könnte auch nach Verschmelzung auf eine SE noch Rechtswirkungen entfalten, da rechtlich unklar sei, ob es auf die bestehende oder auf die rechtlich gebotene Mitbestimmung im Aufsichtsrat ankomme.

Fazit: Für die Praxis ist hieraus zu folgern, dass die Mitbestimmung durch den Formwechsel in eine SE nur dann rechtssicher ausgeschlossen werden kann, wenn die relevanten Schwellenwerte vor Beginn des Prozesses noch nicht erreicht sind. Im Einzelfall kann die Gründung der SE im Wege der Verschmelzung eine Gestaltungsoption bieten. Bei der Gründung durch Formwechsel kommt ein abweichendes Vorgehen erst nach einer entsprechenden Entscheidung des EuGH in Betracht, dem es obliegen dürfte, über diese Frage im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren zur Auslegung der Richtlinie über die Beteiligung der Arbeitnehmer bei der SE (RL 2001/86/EG) abschließend zu entscheiden.

Zulässigkeit von Mehrfachmandaten in der monistischen SE

Ein weitere Entscheidung des LG Frankfurt a.M. betrifft eine wichtige Frage der monistischen SE, die gleichzeitig ein schönes Anschauungsbeispiel für die Aufgabe darstellt, die im Recht der SE noch bestehende Rechtsunsicherheit Stück für Stück weiter abzubauen:

Die SE in ihrer monistischen Ausprägung hat keine dualistische Verwaltungsstruktur aus Vorstand und Aufsichtsrat, wie sie für das deutsche Gesellschaftsrecht kennzeichnend ist. Vielmehr hat die monistische SE nur ein einziges Verwaltungsorgan, den zumeist sog. Verwaltungsrat, und ist folglich dem anglo-amerikanischen Board-System nachgebildet. Der entscheidende Vorteil des monistischen Systems liegt darin, den Einfluss der Gründer bzw. eines Hauptgesellschafters stärker absichern zu können.

Der Verwaltungsrat der monistischen SE besteht (jedenfalls typischerweise) aus geschäftsführenden Mitglieder (Executives) und nicht-geschäftsführenden Mitgliedern. Letztere müssen in der Mehrzahl sein. Ihnen obliegt die Aufgabe der Überwachung der Geschäftsführung.

Bei einer SE, die über Tochtergesellschaften verfügt, stellt sich in der Praxis häufig die Frage, ob ein geschäftsführendes Mitglied des Verwaltungsrats gleichzeitig Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft sein kann. Die unwillkürliche Antwort fällt sicherlich bejahend aus. § 27 Abs. 1 SEAG, der § 100 Abs. 2 AktG nachgebildet ist, sagt aber nun, dass Mitglied des Verwaltungsrats nicht sein kann, wer Mitglied des Vertretungsorgans einer Tochtergesellschaft ist, ohne hierbei zwischen geschäftsführenden und nichtgeschäftsführenden Mitgliedern zu differenzieren.

Es drängt sich auf, dass der Wortlaut dieser Vorschrift zu weit geraten und im Wege der teleologischen Reduktion ausschließlich auf Verwaltungsratsmitglieder anzuwenden ist, denen die Überwachungsfunktion zukommt. Mit dem LG Frankfurt a.M. hat dies nun erstmals auch ein Gericht festgestellt (Urteil vom 3. Mai 2018 – 3-05 O 101/17). Auch wenn der hiermit verbundene Gewinn an Rechtssicherheit zu begrüßen ist, bleibt schon angesichts der drastischen Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 27 Abs. 1 SEAG der Gesetzgeber aufgerufen, die Vorschrift zur Klarstellung dahin anzupassen, dass sie für geschäftsführende Verwaltungsratsmitglieder nicht gilt.

Zur Person des Leiters der Hauptversammlung bei der monistischen SE

Von hoher Bedeutung für die Praxis ist auch die Frage, wer bei der monistischen SE geeigneter Leiter (Vorsitzender) der Hauptversammlung ist.

Nach Art. 53 SE-VO gelten für den Ablauf der Hauptversammlung der SE die für Aktiengesellschaften maßgeblichen Vorschriften. Die Rolle des Versammlungsleiters ist im Aktiengesetz jedoch nur rudimentär geregelt. Aus § 131 Abs. 2 AktG geht nur hervor, dass es einen Leiter bzw. Vorsitzenden der Hauptversammlung geben muss. Wer die Hauptversammlungsleitung übernehmen darf, ist jedoch weder im SE-Ausführungsgesetz noch im deutschen Aktienrecht geregelt. Bei der Aktiengesellschaft wird die Leitung der Hauptversammlung meist durch Satzung bestimmt. Dort wird die Versammlungsleitung regelmäßig dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates zugewiesen. Es ist anerkannt, dass ein Mitglied des Vorstandes den Vorsitz mangels hinreichender Neutralität nicht übernehmen darf. Diese Grundsätze gelten auch für die dualistische SE.

Bei der monistischen SE ist die Frage, wer die Versammlungsleitung übernehmen darf, noch ungeklärt. Teilweise wird angenommen, dass es wie beim Vorstand aus Neutralitätsgründen unzulässig sei, den Vorsitzenden des Verwaltungsrats oder ein anderes Verwaltungsratsmitglied mit der Leitung der Hauptversammlung zu betrauen. Stattdessen dürfe dies nur durch eine nicht dem Leitungsorgan angehörende Person übernommen werden.

Dies hätte zur Folge, dass die Leitung der Hauptversammlung entweder durch einen Aktionär oder durch einen gesellschaftsfremden Dritten (z.B. Rechtsanwalt) wahrgenommen werden müsste.

Die im Vorigen behandelte Entscheidung des LG Frankfurt a.M. zu § 27 Abs. 1 SEAG verdeutlicht, dass auch im hiesigen Zusammenhang zwischen geschäftsführenden und nicht-geschäftsführenden Mitgliedern des Verwaltungsrats zu unterschieden ist: Geschäftsführende Mitglieder sind dem Vorstand gleichzustellen und daher von der Leitung ausgeschlossen. Nicht-geschäftsführende Mitglieder hingegen sind dem Aufsichtsrat gleichzustellen mit der Folge, dass gegen ihre Leitungseignung keinerlei Bedenken bestehen, sondern sie im Gegenteil „geborene“ Leiter der Hauptversammlung der monistischen SE sind. Dass ein nicht-geschäftsführendes Mitglied einem geschäftsführenden Mitglied des Verwaltungsrats näher stehen mag als das Mitglied eines Aufsichtsrats einem Mitglied des Vorstands, mag sein. Dies aber ist der monistischen Struktur allgemein immanent und daher in rechtlicher Hinsicht unbedenklich.

 

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