Gemeindeöffnung 2.0 Zur Wiederbelebung und Ausweitung kommunaler Planungsspiel-räume durch den neuen § 245e Abs. 5 BauGB

Berlin, 28.07.2025

Am 11. Juli 2025 hat der Bundesrat dem Gesetzesentwurf des Bundestages zur Umsetzung von Vorgaben der neuen Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III-Richtlinie) (EU) 2023/2413 für Zulassungsverfahren unter anderem des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BT-Drs. 21/797) zugestimmt. Das Gesetz wird in den nächsten Wochen einen Tag nach seiner Verkündung in Kraft treten.

Historisch gesehen führt die RED III-Richtlinie das Erbe ihrer Vorgänger-Versionen RED I (Richtlinie 2009/28/EG) und RED II (Richtlinie (EU) 2018/2001) fort.  Diese beiden Richtlinien haben in der Vergangenheit das Fundament für eine stetig wachsende europäische Erneuerbare-Energie-Politik gelegt.

Mit der RED III-Richtlinie verpflichtet die EU die Mitgliedstaaten, den Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch bis zum Jahr 2030 auf mindestens 42,5 Prozent zu steigern. Zur Erreichung dieser Vorgabe zielen die Bestimmungen der Richtlinie insbesondere darauf ab, Planungs- und Genehmigungsverfahren für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien erheblich zu beschleunigen. 

Abseits der Vorgaben der RED III-Richtlinie findet sich in dem Gesetz etwas versteckt auch eine Neufassung der Gemeindeöffnungsklausel des § 245e Abs. 5 BauGB. Diese Vorschrift wurde erst vor kurzem als zentrales Planungsinstrument für Kommunen geschaffen, um den Ausbau der Windenergie zu beschleunigen. Aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts blieb sie in der Praxis jedoch weitgehend funktionslos – und damit faktisch für Gemeinden kaum brauchbar.

Der nachfolgende Beitrag beleuchtet den Hintergrund, den Inhalt und die Auswirkungen des Wiederbelebungsversuchs des Gesetzgebers für potenziell ausweisungswillige Kommunen.

Bisherige Gesetzeslage

Einführung des § 245e Abs. 5 BauGB im Januar 2024

Erst am 14. Januar 2024 trat mit dem Gesetz zur Änderung des LNG-Beschleunigungsgesetzes, Energiewirtschaftsgesetzes und Baugesetzbuchs vom 12. Juli 2023 der neu eingefügte Absatz 5 des § 245e BauGB in Kraft.

Dieser eröffnete den Gemeinden die Möglichkeit, bis zur Feststellung des Erreichens der Flächenziele über ein erleichtertes Zielabweichungsverfahren eigenständig Flächen für Windkraftanlagen auch außerhalb von geplanten Windenergiegebieten bauplanerisch auszuweisen. Diese Möglichkeit war den Gemeinden zuvor mit der Neufassung des § 245e Abs. 1 BauGB und der systematischen Verschiebung der Flächenausweisungen auf regionalplanerische Ebene überwiegend genommen worden.

Die Einführung des § 245e Abs. 5 BauGB dient daher nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers der Ausweitung von eigenständigen Planungsspielräumen der Kommunen (vgl. BT-Drs. 20/7622, S. 15). 

Die wesentliche Erleichterung liegt darin, dass abseits des gesetzlich festgeschriebenen Maßstabes für Zielabweichungsverfahren (raumordnerische Vertretbarkeit und Nicht-Berühren der Grundzüge der Planung) einer Zielabweichung grundsätzlich stattgegeben werden soll, es sei denn, das Gebiet ist für eine andere, mit der Windenergie unvereinbare Nutzung reserviert. Die Ausweisung sollt damit zum gesetzlich intendierten Regelfall werden.

Diese Neuregelung stößt nicht überall auf Gegenliebe: Im Anschluss an die Einführung des § 245e Abs. 5 BauGB waren in einzelnen Bundesländern – unter anderem in Schleswig-Holstein – Bestrebungen erkennbar, die Privilegierungswirkungen der Vorschrift durch eigenständige landesrechtliche Regelungen wieder zurückzustutzen.

Anlass für Novellierung: Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planbegriff im ROG

Knapp anderthalb Jahre nach Inkrafttreten des § 245e Abs. 5 BauGB wird diese Vorschrift nun neu gefasst.

Die Umsetzung der RED III-Richtlinie (EU) 2023/2413 in nationales Recht bildet hierfür nur den rein formalen Anlass. Denn inhaltlich beruht die Regelung des § 245e Abs. 5 BauGB nicht auf europarechtlichen Vorgaben.

Vielmehr änderte der Gesetzgeber den § 245e Abs. 5 BauGB auf Empfehlung des Umweltausschusses im Zuge der RED III-Umsetzung lediglich en passant, um den zwischenzeitlich aufgetretenen unionsrechtswidrigen Zustand der Vorschrift zu korrigieren (vgl. BT-Drs. 21/797, S. 48).

Auslöser für unionsrechtliche Bedenken war nach Auffassung des Gesetzgebers ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. September 2023 – 4 C 6.21 zur Reichweite des Planbegriffs im Raumordnungsgesetz (ROG).

In dieser Entscheidung stellte das Gericht klar, dass im Lichte der SUP-Richtlinie 2001/42 (EG) ein Zielabweichungsverfahren nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ROG nur dann zugelassen werden kann, wenn voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen ausgeschlossen sind: 

Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ROG soll die zuständige Raumordnungsbehörde einem Antrag auf Abweichung von einem Ziel der Raumordnung stattgeben, wenn die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden.

Diese Regelung und konkret das Merkmal der „Grundzüge der Planung“ müssen laut Gericht unter Berücksichtigung einer unionsrechtlichen Prägung des gesamten Raumordnungsrechts ausgelegt werden. So zeige die Regelungssystematik der §§ 7, 8 ROG, dass die „Grundzüge der Planung“ immer dann berührt seien, wenn mit einer Zielabweichung voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen einhergehen. Eine entsprechende Prüfung sei folglich von der für die Zielabweichung zuständigen Behörde zwingend vor deren Zulassung vorzunehmen.

Da die derzeit noch geltende Version des § 245e Abs. 5 BauGB aber gerade eine erleichterte Zielabweichung abseits eines etwaigen Berührens der Grundzüge der Planung und damit unabhängig von erheblichen Umweltauswirkungen erlaubt, ist sie nach Auffassung des Gesetzgebers unionsrechtswidrig und damit letztendlich in der Praxis funktionslos.

Um diesen unbefriedigenden Zustand zu beheben und eine „umfassende Nutzung der Gemeindeöffnungsklausel“ wieder zu ermöglichen, entschloss sich der Gesetzgeber zu einer Anpassung des § 245e Abs. 5 BauGB (vgl. BT-Drs. 21/797, S. 48).

Inhalt der Novellierung: Wegfall des Zielabweichungsverfahrens

Stärkung der kommunalen Ausweisungsautonomie

Zur Herstellung der Unionsrechtskonformität streicht der Gesetzgeber nun das vorgeschaltete Zielabweichungsverfahren komplett und ermächtigt gleichzeitig die Gemeinde zur eigenständigen Unvereinbarkeitsprüfung und späteren Selbstausweisung.

Im Ergebnis erfolgt damit eine verfahrensrechtliche Lockerung der Zielbindung, da es eines separaten Zielabweichungsverfahrens nicht mehr bedarf. Dies hat unter anderem den beschleunigenden Nebeneffekt, dass eine doppelte Durchführung der Umweltprüfung vermieden wird. Die Umweltprüfung ist nunmehr allein im Zuge der gemeindlichen Planung durchzuführen (vgl. BT-Drs. 21/797, S. 48).

Insgesamt wird damit das Verfahren für ausweisungswillige Gemeinden beschleunigt und die kommunale Gestaltungsmacht gestärkt.

Fortbestehende Ausnahme: Keine Unvereinbarkeit mit Windenergienutzung

Inhaltliche Maßstäbe bleiben unverändert

Der Wegfall des Zielabweichungsverfahrens verleiht den Gemeinden jedoch mitnichten einen „Blanko-Scheck“ zur Ausweisung von Windenergiegebieten.

So stellt der Gesetzgeber auch bei der Umstellung von einem erleichterten Zielabweichungsverfahren auf eine privilegierte Selbstausweisung klar, dass die inhaltlichen Maßstäbe des bisherigen § 245e Abs. 5 BauGB grundsätzlich fortgelten sollen. 

Auch nach der Neuregelung des § 245e Abs. 5 BauGB bleibt es damit dabei, dass die Ausweisungsbefugnis der Gemeinde dort endet, wo die angestrebte Zielabweichung ein Vorranggebiet für mit der Windenergie unvereinbare Nutzungen oder Funktionen berührt. 

Dies soll beispielsweise der Fall sein bei spezifischen Flächensicherungszielen (etwa für Infrastrukturvorhaben), Siedlungsflächen oder bei Zielen zur Sicherung ökologischer Freiraumfunktionen (etwa Vorranggebiete für den Naturschutz, den Arten- und Biotopschutz oder den Schutz von Forstgebieten). Dagegen reicht der reine Umstand, dass Windenergiegebiete Ausschlusswirkung haben, nicht aus, um eine “unvereinbare Nutzung” zu begründen.

Wo nach eigenständiger gemeindlicher Prüfung keine Unvereinbarkeiten festgestellt werden können, ermöglicht § 245e Abs. 5 BauGB n. F. grundsätzlich eine Ausweisung.

Fortbestehendes Problem: Begrenzter zeitlicher Anwendungsbereich 

Unklarheiten bei der Anwendung erschweren Umsetzung

Ganz so einfach wie oben beschrieben ist die Handhabung der Gemeindeöffnungsklausel auch nach der Wiederbelebung des § 245e Abs. 5 BauGB für Kommunen regelmäßig dennoch nicht. Gemeinden dürften nach wie vor in der Praxis nur selten von den Privilegierungen des § 245e Abs. 5 BauGB Gebrauch machen. 

Der Grund hierfür liegt zunächst in der zeitlich begrenzten Anwendbarkeit der Norm. Der neue § 245e Abs. 5 BauGB gilt ebenso wie sein Vorgänger nur bis zu dem Stichtag des Erreichens der Flächenbeitragsziele. 

Dieser Zeitraum endet zwar nach § 245e Abs. 1 Satz 2 BauGB grundsätzlich erst am 31. Dezember 2027. Ambitionierte Bundesländer haben aber den Stichtag per landesrechtlicher Regelung bewusst vorverlegt: So läuft der Zeitraum für die Erreichung der Flächenbeitragsziele beispielsweise nach § 20 Abs. 2 des Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetzes Baden-Württemberg (KlimaG BW) dort bereits am 30. September 2025 ab.

Der zeitliche Druck zur Ausweisung wird zudem dadurch verstärkt, dass auch nach der Novellierung unklar bleibt, was genau eine Gemeinde tun muss, um vor Ablauf des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 245e Abs. 5 BauGB in den Genuss der privilegierten Selbstausweisung zu kommen:

Nach dem Wortlaut des derzeitigen § 245e Abs. 5 BauGB muss die Gemeinde bis zum Erreichen des Stichtags das Gebiet „planen“, nach § 245e Abs. 5 BauGB n. F. muss sie das Gebiet „ausweisen“.

Weder in der bisherigen noch in der aktuellen Gesetzesfassung findet sich hierzu eine Konkretisierung des Gesetzgebers.

Ergänzend sind daher folgende Überlegungen anzustellen:

Angesichts der potenziellen Verfahrensdauer bei dem Erlass von Bebauungsplänen und des Gesetzeszwecks der Schaffung von schnellen Ausweisungsmöglichkeiten erscheint es sachgerecht, an ein „Ausweisen“ nicht allzu strenge Maßstäbe anzulegen:

Es wäre lebensfremd, ein „Ausweisen“ erst mit förmlicher Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses nach § 10 Abs. 3 BauGB anzunehmen. 

Interessengerechter ist es vielmehr, ein hinreichendes „Ausweisen“ bereits vorher mit Erreichen des Stadiums der „Planreife“ zu bejahen. Entscheidend muss es auf die Existenz eines konkreten Planentwurfs ankommen, aus dem insbesondere die beabsichtigten Flächendarstellungen beziehungsweise -festsetzungen erkennbar sind.
 

Denn schon ab diesem Zeitpunkt stellt sich die Frage nach der Auflösung von Zielkonflikten, für deren Beantwortung der neue § 245e Abs. 5 BauGB zu Gunsten der Gemeinden gerade eine Privilegierung anordnet.

Der fortbestehende Zustand der Unklarheit ist und bleibt jedoch bedauernswert. Der Gesetzgeber hat es an dieser Stelle leider versäumt, im Rahmen der Neuregelung der Vorschrift eine zentrale Rechtsunsicherheit zu beseitigen und damit die Anwendung der Vorschrift in der Praxis zu erleichtern.

Folgen der Novellierung: Auswirkungen auf bereits initiierte Zielabweichungsverfahren

Für Gemeinden, die bereits aufgrund des bisherigen § 245e Abs. 5 BauGB Zielabweichungsverfahren angestrengt haben, stellt sich zudem die Frage nach den Auswirkungen der Neuregelung.

Übergangsvorschriften zu dem geänderten § 245e Abs. 5 BauGB existieren nicht. Daher wird die neue Regelung schon in wenigen Wochen mit dem Inkrafttreten des Gesetzes nach Verkündung im Bundesgesetzblatt Anwendung finden. 

Angesichts der Unionsrechtswidrigkeit des bisherigen § 245e Abs. 5 BauGB dürften die meisten bereits angestoßenen Zielabweichungsverfahren nicht oder nur unter vorsorglicher Vornahme einer Umweltprüfung zu Ende geführt werden können. Ein Beschleunigungseffekt ergibt sich hieraus regelmäßig nicht, zumal die Gemeinde nicht mehr „Herrin des Verfahrens“ ist. Vorteilhaft kann die Fortführung allenfalls dort sein, wo das Verfahren bereits kurz vor dem erfolgreichen Abschluss steht.

Es empfiehlt sich daher aus Sicht der Gemeinden, den Antrag auf Durchführung eines Zielabweichungsverfahrens zurückzunehmen und die Prüfung und Ausweisung von Windenergiegebieten in die eigene Hand zu nehmen. Eine vorherige Abstimmung mit den zuständigen Behörden ist aus Sicht der Gemeinden jedoch in jedem Fall zu empfehlen.

Bewertung und Ausblick

Aus der Perspektive von ausweisungswilligen Gemeinden und Vorhabenträgern ist die Reform des § 245e Abs. 5 BauGB insgesamt zu begrüßen: 

Für sie birgt die Novellierung nur Vorteile, da sie die Gemeindeöffnungsklausel nicht nur wiederbelebt, sondern zugleich Verfahrenserleichterungen schafft und Gemeinden zu einer größeren Ausweisungsautonomie verhilft.

Damit reiht sich der neue § 245e Abs. 5 BauGB auch in einem größeren Kontext nahtlos ein in die zahlreichen Gesetzesanpassungen, die in Umsetzung der RED III-Richtlinie für mehr Tempo bei der Ausweisung von Windenergie an Land sorgen sollen.

Dennoch leidet die Wiederbelebung der Gemeindeöffnungsklausel unter kleineren Schönheitsfehlern: Bedauerlicherweise hat es der Gesetzgeber versäumt, mit der Neufassung des § 245e Abs. 5 BauGB die strukturellen Schwächen der Vorgänger-Version zu beheben. So bleibt es dabei, dass der je nach Bundesland eng begrenzte zeitliche Anwendungsbereich und die auch mit der Neuregelung fortbestehenden Rechtsunsicherheiten Gemeinden potenziell davon abhalten könnten, von der Möglichkeit der erleichterten Flächenausweisung Gebrauch zu machen. 

Trotz der geschaffenen Vereinfachungen bleiben damit im Ergebnis auch für die Gemeindeöffnungsklausel 2.0 weiterhin rasches Handeln, kommunaler Planungsmut und eine besondere Entscheidungsfreudigkeit gefragt.

 

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung –und beraten Sie gern!

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