Notwegerechte – eine Lösung für Hinterliegergrundstücke?

Köln, 30.09.2025

Die Erreichbarkeit von sogenannten Hinterliegergrundstücken ist aufgrund des hohen Konfliktpotenzials zwischen dem jeweiligen Eigentümer und den Nachbarn regelmäßig Gegenstand von Gerichtsentscheidungen, auch solcher des BGH. Allein der BGH hat zuletzt nahezu im Zwei-Jahres-Rhythmus Fälle aus dem Bereich (Not-)Wegerecht, sichernde Grunddienstbarkeiten und Überfahrtbaulasten zu entscheiden gehabt. Ein Fall, den das AG Köln im Jahr 2024 zu entscheiden hatte, schaffte es gar in die überregionale Berichterstattung der Medien.

Dies und die jüngste Entscheidung des BGH geben Anlass, dieses konfliktträchtige Thema am Beispiel des Notwegerechts einzuordnen. Der andauernde Mangel an Wohnraum und allgemein an bebaubaren Flächen in deutschen Innenstädten führt immer wieder zur Diskussion über mögliche Nachverdichtungen der Bebauung. In diesen Kontext kann (Not-)Wegerechten eine essenzielle Bedeutung zukommen, wenn ein Gebäude beziehungsweise Grundstück nur durch Überfahren oder Betreten eines fremden Grundstücks erreicht werden kann.

Die Erreichbarkeit von Grundstücken

Grundsätzlich muss jedes Grundstück erreichbar sein, wenn es bebaut werden soll. Innerhalb geschlossener Ortschaften ist das regelmäßig unproblematisch, sofern das betreffende Grundstück an eine öffentliche Straße grenzt. Ist das nicht der Fall, weil es sich etwa um ein Hinterliegergrundstück handelt, kann mit Nachbarn, deren Grundstücke zwischen dem Hinterliegergrundstück und der öffentlichen Straße liegen, einvernehmlich ein Wegerecht vereinbart werden, dessen Eintragung ins Grundbuch (zwecks dinglicher Sicherung) der Nachbar dann idealerweise ebenfalls bewilligt.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, ein sogenanntes Notwegerecht im Sinne des § 917 BGB geltend zu machen, wenn dem Grundstück eine entsprechende Verbindung fehlt und mit dem Nachbarn bis dato keine Vereinbarung beziehungsweise Einigung erzielt werden konnte. Eben dieses Notwegerecht war Gegenstand des jüngsten BGH-Urteils zu diesem Thema vom 24. Januar 2025 (Az. V ZR 51/24) und dem Urteil des AG Köln (Az. 149 C 520/23):

Das BGH-Urteil vom 24. Januar 2025 und das Notwegerecht

Der gegenständliche Sachverhalt enthielt eine Besonderheit: Das zu Wohnzwecken genutzte Grundstück des Klägers grenzt unmittelbar an eine öffentliche Straße. Die ebenfalls auf dem Grundstück befindlichen Garagen sind dagegen nur über einen Weg erreichbar, der über das Grundstück des beklagten Nachbarn verläuft. Im Baulastverzeichnis war eine sogenannte Überfahrtbaulast eingetragen, die seinerzeit eine Voraussetzung für die baurechtliche (also öffentlich-rechtliche) Genehmigungsfähigkeit der Garagen gewesen ist. Der Kläger – der Eigentümer der Garagen – war der Ansicht, dass der Beklagte den Weg freihalten und instand halten müsse. Der BGH sah das anders.

Nach § 917 Abs. 1 BGB hat der Nachbar die Benutzung seines Grundstücks so lange zu dulden, bis die erforderliche Verbindung hergestellt wird. Voraussetzung dafür ist, dass dem Grundstück des Anspruchstellers eben diese (notwendige) Verbindung zu einem öffentlichen Weg fehlt, die zur ordnungsgemäßen Benutzung des Grundstücks erforderlich ist.

Aus Sicht des BGH war die maßgebliche Frage, ob eine Nutzung des Wegs (um die Garagen zu erreichen) über das Grundstück des Beklagten für eine ordnungsgemäße Benutzung des klägerischen Grundstücks erforderlich ist. Es musste also bestimmt werden, was eine ordnungsgemäße Benutzung im Sinne des § 917 BGB umfasst.

Der BGH entschied, dass sich eine ordnungsgemäße Benutzung in diesem Sinne nicht nach den persönlichen Bedürfnissen des Eigentümers des verbindungslosen Grundstücks richtet. Vielmehr sei auf objektive Gesichtspunkte abzustellen, namentlich was dem betreffenden Grundstück angemessen ist und den wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Im Falle eines Wohngrundstücks sei damit die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen gemeint, nicht aber die Möglichkeit des Eigentümers, diese auch auf dem Grundstück selbst abzustellen (hier in den Garagen). Das Abstellen auf dem Grundstück selbst – sei es nun im Freien oder in einer Garage – sei objektiv betrachtet nicht für eine ordnungsgemäße Benutzung eines Wohngrundstücks erforderlich. Das gilt nach einer früheren Entscheidung des BGH auch dann, wenn es sich um ein besonders hochwertiges Fahrzeug handelt.

Hilft eine Überfahrtbaulast weiter?

In den entschiedenen Fällen bestanden zudem teilweise sogenannte Überfahrtbaulasten. Da es sich dabei aber lediglich um eine öffentlich-rechtliche Baubeschränkung handelt, ist eine solche Überfahrtbaulast nicht geeignet, gegenüber dem Nachbarn ein zivilrechtliches (Not-)Wegerecht zu begründen. Der Nachbar ist daraus also nicht verpflichtet, eine regelmäßige Überfahrt über sein Grundstück zu dulden.

Übertragbarkeit der Entscheidung auf Gewerbeimmobilien

Der BGH hat in dem vorstehend beschriebenen Urteil ausdrücklich bestätigt, dass eine gewerbliche Nutzung des „Garagengrundstücks“ im Einzelfall zu einer abweichenden Beurteilung führen kann.

In diesem Kontext entschied der BGH im Jahr 2021 (Urteil vom 19. November 2021, Az. V ZR 262/20), dass eine gewerbliche Nutzung des Grundstücks nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls dazu führen kann, dass von der ordnungsgemäßen Benutzung auch das Befahren mit Kraftfahrzeugen umfasst sein kann. Maßgeblich sei insoweit, dass das Grundstück nach seinen konkreten Verhältnissen eine gewerbliche Nutzung größeren Umfangs erlaubt.

Das sei insbesondere dann der Fall, wenn dort Waren eingelagert werden müssen, die aufgrund ihrer Größe oder ihres Gewichts nicht über den Grundstücksteil angeliefert werden können, der mit einem öffentlichen Weg verbunden ist.

Diese Entscheidung hat der BGH in seinem aktuellen Urteil faktisch bestätigt, sodass weiterhin eine Unterscheidung zwischen der Art der Nutzung eines Grundstücks maßgeblich ist. Sofern eine Mischnutzung stattfindet, dürfte ein Notwegerecht im Sinne des § 917 BGB allenfalls dann in Betracht kommen, wenn die gewerbliche Nutzung des Grundstücks deutlich überwiegt und dabei zudem die oben genannten Voraussetzungen – Stichwort Lieferverkehr – erfüllt sind. Zudem dürfte aufgrund der Argumentation des BGH auch davon auszugehen sein, dass der Nachbar die Nutzung seines eigenen Grundstücks auch nur in dem Rahmen dulden muss, wie es für den Lieferverkehr tatsächlich nötig ist. Damit ermöglicht betriebener Lieferverkehr keine generelle Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks.

Der Fall aus Köln

Auch in diesem Fall hätte das Notwegerecht eine entscheidende Rolle gespielt, wenn sich die Betroffenen denn darauf berufen hätten. Der hier gegenständliche Fall aus Köln war allerdings anders gelagert:

Das Grundstück eines Ehepaars grenzt an einen Privatweg. Eine öffentliche Straße ist nur über diesen Privatweg zu erreichen. Folglich handelt es sich hier um ein klassisches Hinterliegergrundstück, das (anders als die Grundstücke in den Entscheidungen des BGH) nicht direkt über einen öffentlichen Weg erreichbar ist. Hier ging es also nicht bloß um das Abstellen eines Kraftfahrzeugs auf dem Grundstück, sondern um die generelle Erreichbarkeit des Grundstücks. Nach einigen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten und dem Eigentümer des Privatwegs verbot der Eigentümer den Eheleuten, den Privatweg zu betreten oder zu befahren. Im anschließenden Gerichtsverfahren bekam der Eigentümer des Privatwegs Recht. Die Begründung: Die Eheleute hätten kein Notwegerecht im Sinne des § 917 BGB geltend gemacht, dabei hätten dessen Voraussetzungen vorgelegen.

Das allein zu Wohnzwecken genutzte Grundstück der Eheleute muss nach den oben genannten Grundsätzen des BGH mit einem Kraftfahrzeug grundsätzlich erreichbar sein. Erst recht muss das Grundstück überhaupt – also zu Fuß – erreichbar sein. Da das in dem Kölner Fall nicht der Fall war und eine Erreichbarkeit nur über den Privatweg gewährleistet werden konnte, wären die Voraussetzungen des § 917 BGB gegeben gewesen. Anderenfalls hätten die Eheleute ihr Grundstück in keiner Weise erreichen beziehungsweise wieder verlassen können.

Statt von dem Eigentümer des Privatwegs die Duldung der Nutzung des Privatwegs verlangen zu können, wurde das Ehepaar verurteilt, das Betreten oder Befahren des Privatwegs zu unterlassen, unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu EUR 250.000 je Verstoß oder ersatzweise bis zu sechs Wochen Ordnungshaft. Die Entscheidung des Amtsgerichts Köln wurde durch das Landgericht bestätigt.

Fazit

Welche Bedeutung ein Notwegerecht haben kann, verdeutlicht der geschilderte Fall aus Köln eindrücklich. Ein Notwegerecht nach § 917 BGB kann zwar im Einzelfall weiterhelfen, ist aber – wie der Name es bereits verdeutlicht – eine Notlösung. 

Die Schwere des Eingriffs in das Eigentum, die ein Notwegerecht für einen Nachbarn haben kann (Duldung der Nutzung des eigenen Grundstücks durch Fremde), rechtfertigt eine restriktive Anwendung des § 917 BGB und ein Abstellen auf rein objektive Gesichtspunkte bei der Beurteilung eines jeden Einzelfalls. Folglich überwiegt hier der Eigentumsschutz das Interesse nach Bequemlichkeit oder gegebenenfalls auch Zweckmäßigkeit der Inanspruchnahme eines fremden (Nachbar-)Grundstücks. Daran ändert auch die Entschädigung des betroffenen Nachbarn nichts (§ 917 Abs. 2 BGB).

Die Lehre daraus muss zwangsläufig sein, bei einem Erwerb eines Hinterliegergrundstücks das Thema Erreichbarkeit/Wegerecht stets zu berücksichtigen, um möglichst von vornherein klare Regelungen, im Idealfall einschließlich einer Absicherung durch ein im Grundbuch abgesichertes Wegerecht, zu treffen. Auf ein Notwegerecht nach § 917 BGB wäre man dann gar nicht erst angewiesen. Anderenfalls kann die Erreichbarkeit des eigenen Grundstücks – insbesondere im Falle von Nachbarschaftsstreitigkeiten – später eingeschränkt oder zumindest mit erheblichen Kosten verbunden sein.

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung – wir unterstützen und beraten Sie gern!

 

Downloads

Newsletter Icon

Keine Neuigkeiten verpassen.

Zur Newsletter-Anmeldung

Hände die etwas in eine Laptop Tastatur eingeben

Einige der von uns gesetzten Cookies dienen dazu, bestimmte Funktionen unserer Webseiten zu ermöglichen, insbesondere zur Steuerung des Cookie-Banners (damit dieses bei Ihren erneuten Besuchen nicht immer wieder angezeigt wird). Diese Cookies enthalten keine personenbezogenen Daten, insbesondere nicht Ihre IP-Adresse. Andere Cookies, die zu Analysezwecken gesetzt werden (siehe hierzu auch den Abschnitt „Web-Analyse-Tools“), helfen uns zu verstehen, wie Besucher mit unseren Webseiten interagieren. Diese Cookies dienen dazu, die Nutzung unserer Webseiten statistisch zu erfassen und zum Zwecke der Optimierung unseres Angebotes auszuwerten. Die Analyse-Cookies werden bis zu 13 Monate gespeichert.

Datenschutzerklärung