„Berliner Mietendeckel“: Überblick über das beschlossene Gesetz

Berlin, 04.02.2020

Nachdem der Senat von Berlin am 22. Oktober 2019 den Entwurf eines „Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung (MietenWoG Bln)“  beschlossen und in das Abgeordnetenhaus von Berlin eingebracht hatte (Drucks. 18/2437, vgl. Legal Update vom 25.10.2019), hat das Abgeordnetenhaus das Gesetz unter Vornahme einiger wichtiger Änderungen des Entwurfs nunmehr am 30. Januar 2020 beschlossen. Das Gesetz tritt mit der amtlichen Bekanntmachung des Gesetzestextes im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin – voraussichtlich etwa Mitte Februar 2020 – in Kraft. Mit Inkrafttreten gilt rückwirkend auf den Stichtag 18. Juni 2019 ein Mietenstopp, d.h. die Mieten werden auf dem Stand per Stichtag eingefroren. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes sind voraussichtlich rund 1,5 Mio. Berliner Mietwohnungen betroffen.

Bundesgesetzliche „Mietpreisbremse

Schon bisher besteht eine bundesgesetzlich festgelegte „Mietpreisbremse“ für Wohnraum, die für von den Ländern festzulegende Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten gilt (§ 556d BGB). Im Fall Berlins ist das gesamte Landesgebiet als angespannter Wohnungsmarkt festgelegt worden. Danach darf die Miete zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete höchstens um zehn Prozent übersteigen. Das Bundesverfassungsgericht hält diese Regelung für verfassungskonform.

Gesetz zum „Berliner Mietendeckel“

Das „Gesetz zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung“ enthält gegenüber der „Mietpreisbremse“ in § 556d BGB erheblich weitreichendere Regelungen, die nachfolgend skizziert werden. Der Gesetzentwurf und das nunmehr beschlossene Gesetz weichen zudem in einigen nicht unerheblichen Fragen voneinander ab.

Anwendungsbereich

Das Gesetz gilt für alle im Land Berlin bestehenden Wohnraummietverhältnisse mit Ausnahme besonderer Konstellationen.

In diesem Sinne nicht vom Gesetz erfasst sind

  • Mietverhältnisse über Wohnraum des öffentlich geförderten Wohnungsbaus,
  • Wohnraum, der ab dem 1. Januar 2014 erstmalig bezugsfertig wurde,
  • oder im Einzelfall sonst dauerhaft unbewohnbarer und unbewohnter ehemaliger Wohnraum, der mit einem dem Neubau entsprechenden Aufwand zu Wohnzwecken wiederhergestellt wird, 
  • Wohnheime und Wohnraum, der durch Träger zur Überlassung an Personen mit dringendem Wohnbedarf gemietet oder vermietet wird,  
  • Wohnraum, für den Mittel aus öffentlichen Haushalten zur Modernisierung und Instandsetzung gewährt wurden und der einer Mietpreisbindung unterliegt.

Mietenstopp

  • Die Berliner Nettokaltmieten einschließlich etwaiger Zuschläge für Mobiliar und Ausstattungsgegenstände dürfen innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nicht erhöht werden. Die Bestandsmieten werden für diesen Zeitraum auf den Stand am 18. Juni 2019 (Stichtag) gedeckelt. Das gilt auch für vereinbarte Staffel- und Indexmieten. Sie werden ebenfalls auf die am 18. Juni 2019 bestehende Miete eingefroren. 
  • Bei der Zweitvermietung von Wohnungen darf grundsätzlich höchstens die zuletzt vereinbarte Miethöhe aus einem vorherigen Mietverhältnis und höchstens bis zu den Mietobergrenzen verlangt werden. Einzige Ausnahme: Beträgt die danach zulässige Miete weniger als 5,02 Euro je Quadratmeter Wohnfläche monatlich und weist die Wohnung mindestens zwei Merkmale einer modernen Ausstattung auf (vgl. unten die Merkmale unter „Mietobergrenzen“), darf die Miete bei Wiedervermietung um einen Euro, höchstens jedoch auf 5,02 Euro je Quadratmeter Wohnfläche monatlich erhöht werden. 
  • Bei der Erstvermietung von zum Stichtag noch nie vermieteter Wohnungen sind die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes geltenden Mieten maßgeblich. 
  • Die vorgenannten Höchstwerte steigern sich ab dem 1. Januar 2022 jährlich um den Prozentsatz der seit dem Stichtag eingetretenen Inflation, höchstens jedoch um 1,3 Prozent, soweit die Mietobergrenze hierdurch nicht überschritten wird.

Mietobergrenzen 

  • Es werden Mietobergrenzen eingeführt, die auch für bereits bestehende Mietverträge gelten. Sie richten sich nach dem Jahr der erstmaligen Bezugsfertigkeit der Wohnung sowie der Ausstattung (Sammelheizung, Bad) und reichen von 3,92 Euro (bis 1918 ohne Sammelheizung/Bad) bis 9,80 Euro (2003 bis 2013 mit Sammelheizung/Bad) pro Quadratmeter/Monat. Die Tabelle mit den zunächst geltenden Mietobergrenzen ist am Ende dieses Legal Update wiedergegeben. Die Tabelle kann von der zuständigen Senatsverwaltung nach Ablauf von jeweils zwei Jahren zum Zweck der Anpassung an die allgemeine Reallohnentwicklung fortgeschrieben werden.  
  • Liegt der Wohnraum in Gebäuden mit nicht mehr als zwei Wohnungen, erhöht sich die Mietobergrenze um einen Zuschlag von zehn Prozent.  
  • Im Gesetz ist bei den Mietobergrenzen eine Differenzierung nach der Ausstattungsqualität der Wohnung vorgesehen.

Für Wohnraum mit moderner Ausstattung erhöht sich die Mietobergrenze um einen Euro pro Quadratmeter/Monat. Eine moderne Ausstattung liegt vor,  wenn der Wohnraum wenigstens drei der folgenden fünf Merkmale aufweist:

  • schwellenlos von der Wohnung und vom Hauseingang erreichbarer Personenaufzug,
  • Einbauküche,
  • hochwertige Sanitärausstattung,
  • hochwertiger Bodenbelag in der überwiegenden Zahl der Wohnräume,
  • Energieverbrauchskennwert von weniger als 120 kWh/(m² a).
  • Wird die Mietsache nach Inkrafttreten des Gesetzes modernisiert, erhöht sich die Mietobergrenze um höchstens einen Euro (vgl. unten).

Überhöhte Mieten

Überhöhte Mieten im Sinne des Gesetzes sind verboten. Mieter haben ab dem Zeitpunkt neun Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes einen Anspruch auf Reduzierung einer überhöhten Miete bzw. müssen keine überhöhte Miete zahlen. Anders als im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehen müssen die Mieter ihre diesbezüglichen Ansprüche gegenüber dem Vermieter selbst durchsetzen; eine behördliche Herabsetzung der Miethöhe durch Bescheid ist im Gesetz nicht (mehr) vorgesehen.  

  • Eine Miete wird als überhöht angesehen, soweit die Miete die zulässige Mietobergrenze um zwanzig Prozent übersteigt. Dabei wird die Wohnlage berücksichtigt: Bei einfachen Wohnlagen sind 0,28 Euro und bei mittleren Wohnlangen 0,09 Euro von der Obergrenze abzuziehen. Bei guten Wohnlagen sind 0,74 Euro auf die Mietobergrenze aufzuschlagen. Die Senatsverwaltung für Wohnungswesen wird ermächtigt, die Wohnlagezuordnung durch Rechtsverordnung festzulegen. Auf den Anteil der individuellen Mietbelastung am Gesamteinkommen des Mieters kommt es nicht an. Mieter mit einer im Vergleich zu ihrem Gesamteinkommen geringen Mietbelastung profitieren ebenso von der Mietobergrenze wie Mieter mit einer größeren Mietbelastung.  
  • Zu beachten ist, dass sowohl die Toleranzschwelle zur Überschreitung der jeweiligen Mietobergrenze um bis zu zwanzig Prozent als auch die Berücksichtigung der Wohnlage der Wohnung nur im Fall einer überhöhten Miete in einem bestehenden Mietverhältnis erfolgt. Sofern hingegen eine Wohnung nachvermietet oder erstmalig vermietet wird, wird weder die Wohnlage berücksichtig noch darf eine Überschreitung der Mietobergrenzen erfolgen.

Mieterhöhungen nach Modernisierungen

  • Modernisierungsumlagen werden begrenzt. Vermieter treffen diesbezügliche Anzeigepflichten gegenüber den zuständigen Behörden.  
  • Anzeige-, aber nicht genehmigungspflichtig sind Modernisierungsumlagen, wenn sich dadurch die Miete um nicht mehr als ein Euro pro Quadratmeter erhöht und die Mietobergrenze um nicht mehr als ein Euro überschritten wird. Diese Grenze gilt auch bei mehrfacher Modernisierung.  
  • Voraussetzung für die Umlegung von Modernisierungskosten ist, dass eine der nachfolgenden Fallgruppen vorliegt: 
  • gesetzliche Verpflichtung des Vermieters;  
  • Wärmedämmung der Gebäudehülle, der Kellerdecke, der obersten Geschossdecke oder des Daches;  
  • Nutzung erneuerbarer Energien;  
  • energetische Fenstererneuerung;  
  • Heizanlagenaustausch mit Heizanlagenoptimierung;  
  • Aufzugsanbau;  
  • Abbau von Barrieren durch Schwellenbeseitigung, Türverbreiterung oder Badumbau.
     
  • Andere Modernisierungskosten sind nicht auf die Miete umlegbar. Für darüber hinausgehende Kosten von Modernisierungen bis zu maximal einem weiteren Euro pro Quadratmeter Wohnfläche wird der Senat Förderprogramme zur Verfügung stellen.

Mieterhöhungen in Härtefällen

In Härtefällen kann der Vermieter bei der Investitionsbank Berlin einen Antrag auf Genehmigung einer angemessenen Mieterhöhung stellen, soweit dies aus Gründen erforderlich ist, die nicht im Verantwortungsbereich des Vermieters liegen. Das Gesetz zählt beispielhaft Fallgruppen auf, die im Verantwortungsbereich des Vermieters liegen und die deshalb von vornherein nicht als Härtefall gelten: Dazu gehören Wertsteigerungserwartungen, Renditeerwartungen, Finanzierungskosten außerhalb des Marktüblichen, Ertragserwartungen, denen auch unabhängig von diesem Gesetz überhöhte Mieten zugrunde liegen oder Verluste, die durch die Aufteilung in Wirtschaftseinheiten entstehen.

Eine unbillige Härte liegt insbesondere vor, wenn die Beibehaltung der zulässigen Miete auf Dauer zu Verlusten für die Vermieter oder zur Substanzgefährdung der Mietsache führen würde. Ein Verlust liegt vor, wenn die laufenden Aufwendungen die Erträge für die maßgebliche Wirtschaftseinheit übersteigen. Eine Substanzgefährdung ist gegeben, wenn Erträge aus der Wirtschaftseinheit für ihre Erhaltung nicht mehr ausreichen. Eine Wirtschaftseinheit ist eine einzelne Wohnung, wenn an dieser Wohnungseigentum besteht, ein Gebäude oder mehrere Wohnungen oder Gebäude, wenn diese gemeinsam bewirtschaftet werden und in einem unmittelbaren räumlichen Zusammenhang stehen

Sofern die Investitionsbank Berlin eine Überschreitung der Mietobergrenze genehmigt, ist der betroffene Mieter berechtigt, bei der Investitionsbank Berlin einen Mietzuschuss bis zur Höhe der Überschreitung der Mietobergrenze zu beantragen.

Informationspflichten des Vermieters

  • Vermieter haben den Mietern unaufgefordert innerhalb von zwei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes und vor Abschluss eines neuen Mietvertrages Auskunft über die zur Berechnung der Mietobergrenze maßgeblichen Umstände zu erteilen.  
  • Vermieter sind ferner verpflichtet, den Mietern bei Neuvermietung oder auf Anforderung von Mietern und Bezirksamt die zum Stichtag (18. Juni 2019) geltende bzw. zuletzt geschuldete Miete mitzuteilen. Die Behörden können auch ihrerseits Mietern Auskunft über die zulässige Miethöhe erteilen.  
  • Vermieter müssen überdies den zuständigen behördlichen Stellen auf Verlangen die zur Einhaltung des Gesetzes erforderlichen Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen.

Verstöße als Ordnungswidrigkeiten

Verstöße gegen das Gesetz werden als Ordnungswidrigkeit behandelt und mit einer Geldbuße von bis zu EUR 500.000,00 geahndet. Dazu gehören auch Verstöße gegen die Informationspflichten des Vermieters.

Rechtsbehelfe

Gegen behördliche Maßnahmen und Entscheidungen nach dem Gesetz findet zunächst ein Widerspruchsverfahren statt. Die aufschiebende Wirkung solcher Widersprüche und anschließender Klagen wird allerdings durch das Gesetz ausgeschlossen.

Verfassungsrechtliche Diskussion

Die Regelungen des Gesetzes sind in verfassungsrechtlicher Sicht umstritten. Dies gilt insbesondere hinsichtlich einer Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin für die Begrenzung der Mietenhöhe. Für das bürgerliche Mietrecht ist der Bund als Gesetzgeber zuständig. Auf diese Kompetenz stützt sich auch die „Mietpreisbremse“ des § 556d BGB. Der „Mietendeckel“ wird auf die Landeskompetenz für die Regelung des Wohnungswesens gestützt. Das Land Berlin ist das bisher einzige Bundesland mit einer entsprechenden Regelung.

Der „Mietendeckel“ ist ferner mit Blick auf das Eigentumsgrundrecht der Vermieter nach Art. 14 Abs. 1 GG sowie Art. 23 Berliner Landesverfassung, die Vertragsfreiheit, die Berufsfreiheit und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kontroversen verfassungsrechtlichen Diskussionen ausgesetzt.

Die Rückverlagerung des Geltungsbeginns des Gesetzes auf einen Zeitpunkt vor dessen Beschluss ist verfassungsrechtlich ebenfalls von Bedeutung. Eine solche Rückwirkung unterliegt engen Ausnahmevoraussetzungen.

Ausblick und weiteres Vorgehen

Voraussichtlich werden sowohl die Verfassungskonformität als auch die praktische Anwendung des Gesetzes zu umfangreichen Rechtsstreitigkeiten führen.

Kommen Vermieter den Regelungen des Gesetzes nicht nach, könnten empfindliche Geldbußen von bis zu 500.000 Euro gegen sie verhängt werden. Dagegen sind zwar ebenso Rechtsbehelfe möglich wie gegen behördliche Anordnungen, das Gesetz zu befolgen; werden die gesetzlichen Regelungen als verfassungskonform angesehen, müssten die Geldbußen indes letztlich voraussichtlich gezahlt werden.

Aus Sicht von Vermietern wäre kurzfristig denkbar, eine gerichtliche Feststellung zu beantragen, dass einzelne Regelungen des Gesetzes nicht auf ein konkretes Mietverhältnis anwendbar sind. Ein solcher Antrag wäre begründet, wenn die gesetzliche Regelung verfassungswidrig wäre. Das Gericht würde insofern inzident die jeweilige gesetzliche Regelung prüfen.

Mieter werden zivilrechtlich versuchen, gegenüber ihren Vermietern die Rückzahlung von unter Verstoß gegen den Mietenstopp und Mietobergrenzen gezahlte Mieten zu verlangen und/oder einen entsprechenden Mietanteil oberhalb der Mietobergrenze nicht mehr zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Legal-Tech-Unternehmen den Mietern anbieten werden, in automatisierter Weise entsprechende Forderungen der Mieter gegen die Vermieter im Rahmen einer Abtretung der Forderung und Zahlung einer Provision im Erfolgsfall durchzusetzen. Ein solches Vorgehen hält der Bundesgerichtshof grundsätzlich für zulässig.

Im Übrigen müssen auch bei geplanten Immobilienankäufen die Auswirkungen des Berliner Mietendeckels auf die künftige Ertragskraft der Immobilie sorgfältig geprüft werden.

Den Vermietern ist nach allem dringend zu empfehlen, ihr weiteres Vorgehen unter Einbindung rechtlicher Berater mit umfassenden Erfahrungen im Verfassungs-, Verwaltungs- und Immobilienrecht kurzfristig und für die Zukunft abzustimmen, um für rechtliche Auseinandersetzungen in einer zu erwartenden Vielzahl von Verfahren gewappnet zu sein. Das gilt umso mehr, als die Vermieter schon zwei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes zur unaufgeforderten Information der Mieter verpflichtet sind.

 

Tabelle: "Berliner Mietendeckel":Überblick über das beschlossene Gesetz

 

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