Leitsatz
Leiharbeitnehmer sind bei der für die Größe des Betriebsrats (§ 9 BetrVG) maßgeblichen Anzahl der Arbeitnehmer eines Betriebs grundsätzlich zu berücksichtigen (BAG, 13.03.2013 - 7 ABR 69/11).
Sachverhalt
Das BAG hatte sich mit der Wirksamkeit einer Betriebsratswahl aus dem Jahre 2010 auseinander zu setzen. Zum maßgeblichen Wahlstichtag waren in dem Betrieb insgesamt 879 Stammarbeitnehmer und 292 Leiharbeitnehmer beschäftigt. Für diesen Betrieb wurde ein 13-köpfiger Betriebsrat gewählt. Die Wahl wurde daraufhin vom Betriebsrat angefochten. Er vertrat die Auffassung, dass ein 15-köpfiger Betriebsrat hätte gewählt werden müssen. Zur Begründung führte er an, dass die 292 Leiharbeitnehmer für die Größe des Betriebsrats hätten mitzählen müssen. Denn nach § 9 S. 1 BetrVG sei das Kriterium der Wahlberechtigung der Arbeitnehmer in größeren Betrieben nicht von Relevanz.
Entscheidung
Das BAG schloss sich der Rechtsauffassung des Betriebsrats an und erklärte die Betriebsratswahl für ungültig. Nach § 9 S. 1 BetrVG richtet sich die Zahl der Mitglieder des Betriebsrats nach der Anzahl der im Betrieb in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer. Darüber hinaus kommt es bei 5 bis 100 Arbeitnehmern auch auf das Kriterium der Wahlberechtigung an. Wahlberechtigt sind nach § 7 S. 2 BetrVG auch Leiharbeitnehmer, sofern sie länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden. Bei einer Betriebsgröße ab 101 Arbeitnehmern nennt das Gesetz das Kriterium der Wahlberechtigung nicht mehr. Im vorliegenden Fall bejahte das BAG das Vorliegen einer Betriebsgröße von mehr als 1001 Arbeitnehmern. Es führte damit eine Rechtsprechungsänderung durch (vgl. zur früheren Rechtslage BAG 10.03.2004 – 7 ABR 49/03). Eine an Sinn und Zweck der Schwellenwerte orientierte Auslegung des Gesetzes ergebe, dass auch Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der Betriebsgröße zu berücksichtigen seien. Jedenfalls bei einer Betriebsgröße von mehr als 100 Arbeitnehmern komme es nicht auf die Wahlberechtigung der Leiharbeitnehmer an.
Anmerkung
Obwohl die Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland zweifellos ihre Verdienste im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit hat, gilt dieses Instrument beschäftigungspolitisch zunehmend als verpönt. Dies zeigt sich nicht nur an der im Dezember 2011 erfolgten Verschärfung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG), sondern nunmehr auch in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Rechtsprechungsänderungen durch das BAG. Im vorherigen Newsletter hatten wir auf die Entscheidung des BAG vom 24.01.2013 (2 AZR 140/12) hingewiesen, in der es – für die Frage des Kündigungsschutzes – ebenfalls um die Ermittlung der Betriebsgröße ging. Gegen die frühere Rechtsprechung hat das BAG ausgeführt, dass "in der Regel" beschäftigte Leiharbeitnehmer mit zu berücksichtigen seien. Diese Rechtsprechungsänderung wurde nunmehr auch für das Betriebsverfassungsrecht nachvollzogen. Unternehmen mit einem hohen Leiharbeitnehmer-Anteil werden sich darauf einzustellen haben, künftig einem Betriebsrat gegenüber zu sitzen, der aus mindestens zwei weiteren Mitgliedern besteht. Entsprechend steigt der Aufwand für Freistellungen und Schulungen. Die Gesetzes- und Rechtsprechungsänderungen machen die Arbeitnehmerüberlassung in der Praxis weniger attraktiv. In vielen Belangen sind Leiharbeitnehmer nunmehr wie Stammpersonal zu berücksichtigen. Kurz gefasst kann man die neue Rechtslage etwa wie folgt zusammenfassen: Leiharbeitnehmer wählen und zählen!