Kartellrecht in Zeiten der Corona-Pandemie

Köln, 15.04.2020

Die Corona-Pandemie hat das Wirtschaftsleben in Deutschland wie überall auf der Welt auf einen Schlag verändert. Lieferketten sind unterbrochen, Mitarbeiter arbeiten weitgehend aus dem Homeoffice und manche Betriebe und Produktionen schließen komplett. Dies bringt erhebliche Herausforderungen für Vorstände und Geschäftsleiter mit sich. Auch und gerade in diesem Ausnahmezustand haben sie ihre gesetzlichen Pflichten zu erfüllen und das Kartellrecht zu beachten.

1. Grundsätzlich bleibt das Kartellrecht weiterhin unverändert anwendbar

Das Kartellrecht bleibt in der Corona-Krise weiterhin anwendbar. Deswegen sollte die Corona-Krise nicht als eine „Carte Blanche“ für wettbewerbsbeschränkende Handlungen und Vereinbarungen verstanden werden.

Das amerikanische DOJ hat ausdrücklich vor Kartellabsprachen während der Corona-Krise gewarnt. Die europäischen Kartellbehörden haben im Rahmen der European Competition Network (ECN) eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben. In der Stellungnahme sichern die Kartellbehörden zu, dass sie das Kartellrecht flexibel und in Lichte der Krise auslegen werden. Ähnlich in einer eigenen Stellungnahme reagierte die International Competition Network (ICN), die bedeutendste Vereinigung von Wettbewerbsbehörden weltweit mit 140 Kartellbehörden aus 129 Staaten (u.a. auch Deutschland). Den Kartellbehörden ist bewusst, dass die Corona-Krise in vielen Bereichen die Bildung von vorübergehenden Kooperationen wirtschaftlich unabdingbar macht.

2. Kooperationen und Bildung von Arbeitsgemeinschaften unter Umständen zulässig

Grundsätzlich erlaubt das Kartellrecht Bildung von Kooperationen, die zur effizienteren Verteilung von Gütern sorgt und somit den Wettbewerb stärkt.

Insbesondere in der jetzigen Krisensituation dürften Arbeitsgemeinschaften zwischen Unternehmen zulässig sein, wenn die beteiligten Unternehmen allein nicht (mehr) in der Lage sind, eine konkrete Nachfrage am Markt zu bedienen. Eine solche Situation könnte insbesondere entstehen, wenn ein Personalmangel oder finanzielle Schwierigkeiten vorliegen.

Weitere zulässige Kooperationen sind solche zum Zwecke der effizienten Belieferung mit Gütern, die für die Versorgung der Bürger notwendig sind (insbesondere Lebensmittel sowie pharmazeutische und medizinische Erzeugnisse). So dürften z.B. die gemeinsame Organisation der Lager- und Logistikarbeit von Wettbewerbern zulässig sein, wenn sonst die Versorgung der Bürger nicht gewährleistet werden kann. Davon umfasst ist der mit der Organisation des Lagers oder der Logistik verbundene Informationsaustausch, der ebenfalls zulässig sein dürfte.

Ferner dürfte die gemeinsame Forschung und Entwicklung in der Gestalt zulässig sein, dass diese eine gemeinsame Verwertung zum Gegenstand haben.

Kritisch dürfte die gemeinsame Reduzierung von Kapazitäten sein. Diese stellt in der Regel eine Wettbewerbsbeschränkung dar und jedes Unternehmen soll selbst über den Kapazitätenabbau entscheiden und nicht durch kollektive Entscheidung den Wettbewerb „abzuschaffen“. Allerdings könnte der koordinierte Kapazitätenabbau dann notwendig und wettbewerblich zulässig sein, wenn eine Branche von der Krise sehr stark betroffen wurde und gleichzeitig der Kapazitätenabbau notwendig ist, damit kleinere und mittelständische Anbieter nach der Krise auf dem Markt aufrecht erhalten werden können. Ansonsten würde ein (potenzielles) Scheitern solcher kleineren Anbieter zur Folge haben, dass nach der Krise weniger Wettbewerber auf dem Markt tätig bleiben und so sich die Wettbewerbssituation verschlechtert.

3. Missbrauchsverbot und insb. Verbot des Preismissbrauch

Die Regelungen über die Missbrauchskontrolle (§§ 18 ff. GWB sowie Art. 102 AEUV) sind ebenfalls weiterhin anwendbar und schützen in der jetzigen Situation insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) von marktbeherrschenden bzw. marktstarken Unternehmen.

So dürfen marktbeherrschende bzw. marktstarke Unternehmen insbesondere keine missbräuchlich überhöhten Preise verlangen. Wann dies der Fall ist, lässt sich allerdings sehr schwer feststellen, denn es handelt sich bei der Corona-Krise um eine einzigartige Situation, die in der Geschichte kein Analog kennt.

Aus diesem Grund haben viele Kartellbehörden in Europa sog. Task Force organisiert, die sich mit den Besonderheiten im Rahmen der Corona-Krise befassen. Insbesondere signalisierten die Kartellbehörden in den gemeinsamen ECN- und ICN-Stellungnahmen, dass sie die Bereicherung von Unternehmen aufgrund der Corona-Krise unter keinem Umstand dulden werden und alle Sachverhalte prüfen werden, in denen potenziell eine missbräuchliche Preiserhöhung oder andere unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen vorliegen könnten.

In diesem Zusammenhang wird jedoch klargestellt, dass nicht jede Preiserhöhung in der Corona-Krise missbräuchlich ist. Insbesondere könnten objektive Gründe zu einer Preiserhöhung führen und somit diese rechtfertigen – z.B. Ausfall von Lieferanten in der Lieferkette, verspätete Belieferung mit Rohstoffen, kurzfristige Engpässe, kurzfristige Beschaffung von Materialien zu einem höheren Preis, kurzfristige Einstellung neuer Mitarbeiter usw. Diese (nicht abschließende) Darstellung der potenziellen Gründe für die Preiserhöhung dürfte zeigen, dass Preiserhöhungen auch bei marktmächtigen Unternehmen grundsätzlich nicht per se verboten sind, sondern von einer Einzelfallprüfung abhängig sind.

 In Zusammenhang mit potenziellen missbräuchlichen Preiserhöhungen auf Händlerebene weisen die Kartellbehörden ausdrücklich darauf hin, dass Hersteller von Waren kartellrechtlich zulässig einen (zumindest während der Corona-Krise) maximalen Verkaufspreis für den Weiterverkauf von Waren vertraglich festlegen dürfen.

4. Hotline der Europäischen Kommission und anderer Behörden

Die jetzige Krisensituation hat auch zur Folge, dass bestimmte Arten der Zusammenarbeit in der Form von Kooperationen und Arbeitsgemeinschaften notwendig sind. Dennoch könnten bei manchen Arten von Kooperationen möglicherweise kartellrechtliche Bedenken bestehen. Um solche Bedenken in Rahmen der Corona-Krise auszuräumen, hat eine Vielzahl von Kartellbehörden offen kommuniziert (u.a. das Bundeskartellamt), dass die Türen der Kartellbehörden offen bleiben und sich Unternehmen in Verbindung mit der jeweiligen Kartellbehörde setzen sollten, wenn Unsicherheit über die kartellrechtliche Zulässigkeit von bestimmten wirtschaftlichen Vorhaben besteht. Die Kartellbehörden – wie im Rahmen der ECN- und ICN-Stellungnahmen kommuniziert – sind bereit, solche Unklarheiten und Unsicherheiten zusammen mit den Unternehmen schnellstmöglich zu klären und eine verbindliche Auskunft zu erteilen.

Die Europäische Kommission hat zudem (für Fälle mit zwischenstaatlicher Bedeutung) eine spezielle Email-Hotline eingerichtet, die den Unternehmen Rechtssicherheit bieten soll, unter:

COMP-COVID-ANTITRUST [at] ec.europa.eu (COMP-COVID-ANTITRUST[at]ec[dot]europa[dot]eu)

Die Kommission hat darüber hinaus auf der eigenen Webseite eine Reihe von Leitfäden in der Vergangenheit veröffentlicht, die eine weitere Stütze für Unternehmen bei der Bewertung kartellrechtlicher Sachverhalten sind.

5. Fazit

Die Geschäftsleiter haben in der derzeitigen Sondersituation der Corona-Pandemie gewisse Freiheiten, die das Kartellrecht anbietet, insbesondere die Kooperationen zum Zwecke der Versorgungssicherung. Dennoch bleibt das Kartellrecht weiterhin anwendbar und die Kooperationen, die Unternehmen unter einander vereinbaren, müssen zum Zwecke der Überwindung der Krise sowie aus Effizienzgründen erfolgen und nicht zum Zwecke der Wettbewerbsbeschränkung.

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