Crowdworking ist als eine moderne Form des Zusammenwirkens in der Arbeitswelt in aller Munde. Die Tätigkeit der sog. Crowdworker, die ihre Aufträge zumeist über Internetplattformen (Crowdsourcer) beziehen, die diese Aufträge allen registrierten Nutzern der Plattform zur Verfügung stellen, galt bis dato als klassische selbständige Tätigkeit. Dies sah der 9. Senat des BAG in seiner Entscheidung vom 1. Dezember 2020 nun anders.
Hintergrund
Im Kern ging es auch hier um die Frage der Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von einer freien Mitarbeit. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt ist hierfür die Regelung des § 611a Absatz 1 Satz 1 BGB, wonach derjenige Arbeitnehmer ist, der „im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet“ ist. Für die Vorinstanz, dem Landesarbeitsgericht München, war hierbei noch maßgeblich, dass ein Arbeitsverhältnis zwingend die Verpflichtung des Arbeitnehmers, eine Arbeitsleistung zu erbringen, voraussetze, die einem Crowdworking-Rahmenvertrag, wie im vorliegenden Fall, fremd sei. Allenfalls könne durch die jeweilige Annahme eines Einzelauftrags im Rahmen eines Crowdworking-Rechtsverhältnisses ein auf diesen Auftrag befristetes Arbeitsverhältnis begründet werden, dessen Unwirksamkeit dann aber auch innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 17 TzBfG geltend gemacht werden müsse.
Entscheidung
Hierzu vertrat das BAG in seinem Urteil vom 1. Dezember 2020 (Az.: 9 AZR 102/20) eine differenzierende Auffassung:
Konkret handelte es sich im Streitfall um den Nutzer der beklagten Crowdworkingplattform, die sich darauf spezialisiert hat, im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen zu überprüfen. Diese Überprüfungstätigkeit ließ die Plattform von Crowdworkern ausüben, mit denen sie jeweils eine Basis-Vereinbarung unter Anwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen schloss. Die Crowdworker, unter ihnen der Kläger, fertigen für die Beklagte Fotos der Warenpräsentation an und beantworten Fragen zur Werbung von Produkten. Sobald ein Crowdworker einen solchen Einzelauftrag annahm, musste er diesen regelmäßig innerhalb von zwei Stunden und nach genauen Vorgaben der Beklagten durchführen. Erfolgreich durchgeführt Aufträge führten außerdem zu einer Gutschrift von „Erfahrungspunkten“ zugunsten des jeweiligen Crowdworkers, die es diesem ab einem bestimmten Level ermöglichten, mehrere Aufträge zeitgleich anzunehmen und somit faktisch den eigenen Stundenlohn zu erhöhen. Der Kläger führte dabei innerhalb von elf Monaten 2978 Aufträge aus, bevor die Beklagte ihm mitteilte, ihm keine weiteren Aufträge anzubieten.
Der 9. Senat des BAG stellte nun deutlich mehr auf die konkrete Durchführung des Vertragsverhältnisses ab als die Instanzrechtsprechung und kam nach der Gesamtwürdigung der Umstände, insbesondere der Organisationsstruktur der Beklagten zu dem Ergebnis, dass der Auftragnehmer seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten könne und somit in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leiste, da er kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehme, um diese persönlich zu erledigen. Das BAG sah in dem Crowdworker daher einen Arbeitnehmer.
Auswirkungen für die Praxis
Die bislang noch nicht im Volltext veröffentlichte Entscheidung dürfte trotz der hohen Aufmerksamkeit, die sie auch in der Tagespresseerlangt hat, keinen Wendepunkt in der Rechtsprechung des BAG markieren, sondern eher eine von den Umständen des konkreten Falls geprägte Einzelfallentscheidung bleiben. Auch in Zukunft dürfte die Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses mit den Crowdworken darüber bestimmen, ob diese im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung tätig werden oder nicht. Wer den Crowdworkern die Modalitäten der Auftragserledigung weitestgehend vorgibt, durch ein Anreizsystem eine faktische Abhängigkeit schafft und durch die Vielzahl ein Aufträgen für eine fest regelmäßige Beschäftigung sorgt, riskiert die Einordnung der Crowdworker-Tätigkeit als Arbeitsverhältnis im Sinne von § 611 a BGB. Plattformbetreibende, die sich weiterhin als bloße Marktplätze und Provider verstehen und dies durch ihre Vertragsgestaltung auch zum Ausdruck bringen, müssen diese Konsequenz hingegen nicht fürchten. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, sollte - wie immer – ein sog. Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung durchführen lassen.