Vom Vergaberecht zum „Fairgaberecht“? – Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bundestariftreuegesetz

Berlin, 18.08.2025

Am 06. August 2025 hat das Kabinett dem gemeinsam von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) und Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes (Tariftreuegesetz)“ zugestimmt.

Mit dem Tariftreuegesetz sollen nach dem Willen des Gesetzgebers der Wettbewerb um öffentliche Aufträge und Konzessionen des Bundes auf eine faire Grundlage gestellt, der Verdrängungswettbewerb zwischen Unternehmen über die Lohn- und Personalkosten verhindert und letztendlich Arbeitsplätze bei tarifgebundenen Arbeitgebern geschützt werden.

Entstanden ist ein neuartiges und nicht unumstrittenes Regelungsgeflecht im Zusammenspiel von Vergaberecht, Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht.

Der nachfolgende Beitrag beleuchtet den Hintergrund, den Inhalt und mögliche Auswirkungen des Bundestariftreuegesetzes für öffentliche Auftraggeber und für potenzielle Bieter.

Zum historischen Hintergrund

Der Entwurf als Resultat eines langwierigen Prozesses

Überlegungen zur Einführung eines Bundestariftreuegesetzes bestehen schon lange:

Bereits im Jahr 2001 erarbeitete die damalige Rot-Grüne Koalition erstmalig den Entwurf eines “Gesetzes zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen”. Das Gesetz kam jedoch nie zustande.

Während in den Folgejahren auf Länderebene nahezu flächendeckend Regelungen zu Mindestlohn- und Tariftreueverpflichtungen in den Landesvergabegesetzen verabschiedet wurden, tat sich auf auf Bundesebene lange nichts.

Nachdem zuletzt die Einführung eines Tariftreuegesetzes in der Ampel-Koalition noch an dem Widerstand der FDP scheiterte, kommt nun mit dem Regierungswechsel kommt wieder Bewegung in das Gesetzgebungsverfahren:

Ein Ende Juli 2025 gemeinsam vom Bundesarbeits- und Bundeswirtschaftsministerium erarbeiteter Referentenentwurf wurde am 06. August 2025 von dem Kabinett beschlossen. 

Dies sei laut Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) “gerade in Zeiten großer öffentlicher Invesitionen (...) ein wichtiges Signal”.

Anlass und Zweck der Neuregelung

Erklärtes Ziel des Gesetzes ist allgemein die Stärkung des Tarifvertragssystems und die Schaffung eines chancengleichen Wettbewerbs im Vergaberecht.

Ausgangspunkt hierfür ist der Befund, dass auch nach Erlass des Tarifautonomiestärkungsgesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) nicht tarifgebundene Unternehmen weiterhin bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gegenüber tarifgebundenen Unternehmen einen strukturellen Wettbewerbsvorteil haben:

Mangels Tarifbindung können Sie die Personalkosten typischerweise günstiger ansetzen und damit preiswertere Angebote abgeben. Dass hierdurch ein Chancenungleichgewicht zulasten tarifgebundener Unternehmen entsteht, liegt auf der Hand.

Das Gesetz setzt an dieser Stelle an: Die Festlegung rechtsverbindlicher Mindeststandards soll für eine einheitliche Kalkulationsgrundlage sorgen und damit zur Chancengerechtigkeit im Vergabeverfahren beitragen. Hierdurch sollen Verdrängungswettbewerbe zwischen Unternehmen über die Lohn- und Personalkosten vermieden und schlussendlich die Arbeitsplätze bei tarifgebundenen Arbeitgebern geschützt werden. 

Allgemein werde der Bund damit nach dem Willen des Gesetzgebers auch seiner besonderen Vorbildfunktion für die Verbesserung sozialer Rahmenbedingungen gerecht. 

Darüber hinaus hebt die Gesetzesbegründung auch europarechtliche Erwägungen hervor: So soll das neue BTTG unter anderem auch der Umsetzung des Artikel 9 der Richtlinie (EU) 2022/2041 über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union dienen.

Wesentlicher Inhalt der Neuregelungen (insbesondere des BTTG)

Herzstück des Vorhabens ist die Schaffung eines Bundestariftreuegesetzes (BTTG). 

Anwendungsbereich

Dieses soll nach § 1 Abs. 1 BTTG-E grundsätzlich für alle öffentliche Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge sowie Konzessionen des Bundes oberhalb der Schwellenwerte ab einem geschätzten Auftragswert oder Vertragswert von 50.000 Euro ohne Umsatzsteuer Anwendung finden.

Im Unterschwellenbereich gilt das Gesetz nach § 1 Abs. 5 Satz 1 BTTG-E nur dann, wenn die Auftraggeber aufgrund vergabe- oder haushaltsrechtlichen Vorgaben des Bundes oder der Länder zur Durchführung eines Vergabeverfahrens verpflichtet sind. Eine solche haushaltsrechtliche Verpflichtung findet sich auf Bundesebene grundsätzlich in § 55 BHO. Nach dieser Norm muss einem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen ein Vergabeverfahren vorausgehen, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen. 

Derartige Ausnahmen sind beispielsweise im Koalitionsvertrag vorgesehen für Start-Ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung bei Aufträgen bis zu einem Auftragswert von 100.000 Euro.

Abseits dieser Befreiungen sieht das Gesetz selbst Bereichsausnahmen für verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge sowie Auftragsvergaben im Bereich der Zivilen Verteidigung, der inneren Sicherheit und dem Katastrophenschutz vor.

Das Tariftreueversprechen als Kernverpflichtung

Findet das Bundestariftreuegesetz Anwendung, haben die Bundesauftraggeber gemäß § 3 Abs. 1 BTTG-E den Auftragnehmern verbindlich als Ausführungsbedingung ein so genanntes Tariftreueversprechen vorzugeben. Dabei hat der Auftragnehmer nach § 3 Abs. 2 BTTG-E sicherzustellen, dass auch eingesetzte Nachunternehmer das “Tariftreueversprechen” einhalten.

Mit dem Tariftreueversprechen verpflichtet sich der Auftragnehmer, die vom BMAS gemäß § 5 Abs. 1 BTTG-E rechtsverbindlich per Rechtverordnung festgelegten tarifvertraglichen Mindest-Standards bezüglich Lohn, Mindesturlaub, Höchstarbeitszeiten und Pausenzeiten einzuhalten und diese Einhaltung zu dokumentieren (§ 9 Abs. 1 BTTG-E).

Damit korrespondiert nach § 4 Abs. 1 BTTG-E ein einklagbarer Anspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Einhaltung dieser Mindest-Standards. Den Arbeitgeber bzw. Auftragnehmer treffen entsprechende Informationspflichten (§ 4 Abs. 3 BTTG-E).

Das Verfahren zur Festlegung der Mindest-Standards durch das BMAS

Die Festlegung von Mindeststandards aus einem abgeschlossenen Tarifvertrag erfolgt per Rechtsverordnung nach § 5 Abs. 1 BTTG-E.

Der Erlass von Rechtsverordnungen nach § 5 Abs. 1 BTTG-E wird durch Antrag einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern eingeleitet. Dabei ist der konkrete Tarifvertrag, der gelten soll, mitzuteilen. Eine detaillierte inhaltliche Prüfung des Antrags durch das BMAS erfolgt nicht. Vielmehr erlässt das Ministerium im Regelfall die beantragte Rechtsverordnung. Eine Ablehnung kommt nur ausnahmsweise bei einem entgegenstehenden öffentlichen Interesse in Betracht. Eine Ausweitung des Geltungsbereichs des Tarifsvertrages ist unzulässig. Arbeitsbedingungen sollen jeweils für eine Branche gebündelt in einer Rechtsverordung festgesetzt werden. Bei konkurrierenden Anträgen trifft das BMAS eine Auswahlentscheidung für den repräsentativeren Tarifvertrag. Dabei sind die Stellungnahmen einer nach § 6 BTTG-E noch einzurichtenden Clearingstelle zu berücksichtigen.

Nachweis und Durchsetzung der Einhaltung der Mindest-Standards 

Zur Vermeidung bürokratischen Aufwandes soll die Einhaltung des “Tariftreueversprechens” auch über ein Zertifizierungsverfahren bei den in den Vergabeordnungen genannten Präqualifizierungsstellen (Verein für die Präqualifizierung von Bauunternehmen e. V., gemeinsame verzeichnisführende Stelle der Industrie- und Handelskammern) nachgewiesen werden können, vgl. § 10 Abs. 1 BTTG-E. In diesem Falle entfällt die Dokumentationspflicht des § 9 BTTG-E.

Die Überwachung, Durchsetzung und Sanktionierung der Einhaltung der Vorschriften des BTTG-E erfolgt zentral über die neu bei der Deutschen Rentenversicherung einzurichtende “Prüffstelle Bundestariftreue”:

Bei dieser Stelle haben öffentliche Auftraggeber Anhaltspunkte auch Anhaltspunkte für Verstöße gegen das BTTG-E zu melden; eine Pflicht zur fortlaufenden eigenständigen Prüfung besteht allerdings nicht. Öffentliche Auftraggeber sollen durch die Schaffung der externen Kontrollstelle bewusst entlastet werden.

Schuldhafte Verstöße gegen das BTTG kann die “Prüfstelle Bundestariftreue” per Verwaltungsakt feststellen (§ 13 Abs. 1 BTTG-E). Diese Entscheidung ist nach Rechts- bzw. Bestandskraft zur Eintragung an das Wettbewerbsregister zu übermitteln. 

Die unanfechtbare Feststellung eines Verstoßes soll nach § 14 Abs. 1 BTTG-E für sämtliche öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) (also auch für Länder und Kommunen) einen fakultativen Ausschlussgrund vom Vergabeverfahren im Sinne des § 124 GWB begründen. Im Unterschied zu den regulären fakultativen Ausschlussgründen des § 124 GWB liegt hier auf Rechtsfolgenseite jedoch ein intendiertes Ermessen vor: Der Aufftraggeber soll bei festgestellten Verstößen im Regelfall ausschließen. Nur in atypischen Fällen oder aus wichtigem Grund darf hiervon abgewichen werden.

Es bleibt dem betroffenen Unternehmen jedoch unbenommen, Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB durchzuführen, vgl. § 14 Abs. 2 BTTG-E.

Darüber hinaus drohen dem Auftragnehmer Vertragsstrafen in Höhe von maximal 1 Prozent der Nettoauftragssumme oder eine außerordentliche fristlose Kündigung durch den Auftraggeber. Beides soll der Bundesauftraggeber mit dem Auftragnehmer bereits bei Vertragsschluss vereinbaren. Die Vertragsstrafe ist verwirkt, sobald die Prüfstelle nach § 13 BTTG-E einen Verstoß festgestellt hat.

Änderungen im GWB

Neben der Einführung des BTTG sieht der Gesetzesentwurf auch Änderungen unter anderem im GWB vor: So soll der § 129 GWB neu gefasst werden und in Absatz 2 Ausnahmen von der Pflicht zur Vorgabe bundesgesetzlich festgelegter Ausführungsbedingungen vorsehen: So können Auftraggeber nach dem § 129 Abs. 2 BTTG-E auf die Festlegung von Ausführungsbedingungen unter anderem bei erfolglosen Ausschreibungsrunden, Krisensituationen oder zur Herstellung der allgemeinen Versorgungssicherheit im Infrastruktur-, Energie- und Gesundheitssektor verzichten.

Inkrafttreten und Auswirkungen auf bereits laufende Vergabeverfahren

Das neue Gesetz soll am Tag nach seiner Verkündung in Kraft treten, frühestens jedoch am 1. Januar 2026. Entsprechend stellt § 16 BTTG-E klar, dass das neue Gesetz auch nur für die Vergabeverfahren gilt, die ab diesem Zeitpunkt beginnen.

Bereits laufende Vergabeverfahren bleiben grundsätzlich unberührt, § 16 BTTG-E.

Bewertung, Fazit und Ausblick

Die Bedeutung von Tarifverträgen nimmt seit Jahren stetig ab: So ist der Anteil der tarifgebundenen Beschäftigten in den letzten 30 Jahren von damals 75 auf aktuell nur noch knapp 50 Prozent gesunken. 

Diesem Trend versucht nun das Bundestariftreuegesetz entgegenzusteuern: Das BTTG würde die Bedeutung von Tarifverträgen zum Schutze der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wieder erheblich aufwerten und zugleich weitreichende Veränderungen für Vergaben auf Bundesebene schaffen. 

Das BTTG wäre dank seines umfassenden Anwendungsbereichs auf einen Großteil von Vergaben des Bundes anwendbar und würde sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für potenzielle Auftragnehmer eine Vielzahl von unterschiedlichsten Pflichten beinhalten. Auch die Einführung einer zentralen Prüfstelle ändert nichts daran, dass sich alle Beteiligten durch das BTTG auf deutlich aufwändigere und komplexere Vergabeverfahren einstellen müssten.

Daher verwundert es nicht, dass der Gesetzentwurf in der öffentlichen Wahrnehmung nicht überall auf Gegenliebe stößt:

Neben Einwänden wirtschaftlicher Natur (mehr Bürokratie, besondere Benachteiligung kleinerer und mittlerer Unternehmen, Steigerung der Kosten für die öffentliche Hand) begegnet das Gesetz auch verfassungsrechtlichen Bedenken:

Die verbindliche Festlegung von tarifvertraglichen Regelungen für nicht tarifgebundene Unternehmen ist vor dem Hintergrund der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG nicht unproblematisch. Die Einführung eines „faktischen Tarifzwangs“ ist nur unter strenger Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigen.

Im weiteren Gesetzgebungsverfahren ist daher ein besonderes Augenmerk auf die Ausgestaltung des Festsetzungsverfahrens nach § 5 BTTG-E zu legen. Insbesondere bei einer Beschneidung von Partizipationsrechten der betroffenen Tarifvertragsparteien droht der Gesetzgeber in unzulässiger Weise „über das Ziel hinauszuschießen“. 

In diesem Falle wäre die ambitionierte und im Kern durchaus begrüßenswerte Zielsetzung der Schaffung eines „Fairgaberechts“ auf Bundesebene mit hohen sozialen Standards und vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen aller Teilnehmenden in Gefahr.

 

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung –wir unterstützen und beraten Sie gern!

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