Grünes Kartellrecht II: Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Fusionskontrolle

Köln, 19.10.2023

Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Kartellrecht hat in den letzten Jahren fortschreitend an Bedeutung gewonnen. So veröffentlichte die Europäische Kommission (Kommission) erst kürzlich einen neuen Competition Merger Brief zum Thema EU Green Mergers & Acquisition Deals. Dabei handelt sich um eine Publikation der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission, die Hintergrundinformationen zu politischen Diskussionen preisgibt. Die Ausgabe 2/2023 aus September 2023 konzentriert sich dabei auf Nachhaltigkeitsaspekte in der Fusionskontrolle auf EU-Ebene.

Klimaneutralität bis 2050

Der Übergang zu einer klimaneutralen und kreislauforientierten Wirtschaft mit emissions-armen Technologien und weniger Abfall ist eine der wichtigsten Herausforderungen für die heutige Gesellschaft“ – so lauten die einleitenden Worte der Kommission im aktuellen Merger Brief. Es verwundert  nicht, dass seit der Verabschiedung des sog. European Green Deals auch dem Kartellrecht eine wichtige Rolle bei der Erreichung von Umwelt- und Klimaschutzzielen zukommen soll (vgl. hierzu unser Legal Update zum Thema „Grünes Kartellrecht“). Bei dem European Green Deal handelt sich um ein Paket politischer Initiativen mit dem Endziel, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Die Einzelheiten der Umsetzung finden Sie hier.

Handlungsbedarf beim Kartellverbot, …

Bereits bei der Frage, inwieweit Unternehmen kooperieren können, um gemeinsam Nachhaltigkeitsziele zu verwirklichen, bestand Unklarheit. Diese hat die Kommission in ihren am 21. Juli 2023 in Kraft getretenen überarbeiteten Horizontal-Leitlinien adressiert und für mehr Klarheit gesorgt. Die überarbeiteten Leitlinien stellen in einem eigenen Kapitel zu „Nachhaltigkeitsvereinbarungen“ klar, unter welchen Umständen Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, die Nachhaltigkeitsziele verfolgen, keine wettbewerblichen Bedenken hervorrufen und mit dem Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB vereinbar sind.

… nicht aber bei der Fusionskontrolle?

Anders hingegen im Bereich der Fusions-kontrolle. Hier wurden noch keine Bemühungen unternommen, die Europäische Fusions-kontrollverordnung (Verordnung (EG) 139/2004 – FKVOzu überarbeiten.

Die Kommission stellt in der neuen Ausgabe des Merger Briefs klar, inwieweit Nachhaltigkeitsaspekte auch in der EU-Fusionskontrolle Berücksichtigung finden können und an welchen Stellschrauben hierfür bereits jetzt gedreht werden kann. 

Stellschraube 1: Marktdefinition

Wenn es um die Berücksichtigung nachhaltigkeitsbezogener Aspekte bei der Marktdefinition geht, müssen – so die Kommission – vermehrt Präferenzen der Kunden für nachhaltige Produkte, Dienstleistungen und/oder Technologien miteinbezogen werden. Grundsätzlich werden Produktmärkte danach differenziert, ob die relevanten Produkte oder Dienstleistungen aus der Sicht des Kunden substituierbar sind. Gerade nachhaltigkeitsbezogene Kundenpräferenzen könnten den Grad der Substituierbarkeit auf der Nachfrageseite bestimmen. Bereits jetzt betrachtet die Kommission Technologien, die zu einem geringeren Kraftstoffverbrauch und reduzierten Emissionen führen, als ein wichtiges Merkmal der Produktdifferenzierung.

In diesem Zusammenhang verweist die Kommission auf den im November 2022 veröffentlichten Entwurf der überarbeiteten Bekanntmachung zur Definition der relevanten Märkte für wettbewerbsrechtliche Zwecke. In diesem wird nunmehr „Nachhaltigkeit“ ausdrücklich als nicht-preislicher Wettbewerbsparameter genannt, der bei der Definition eines sachlich und räumlich relevanten Marktes nun zu berücksichtigen ist, sofern er für den jeweiligen Fall relevant ist. 

Stellschraube 2: Bewertung der wettbewerblichen Auswirkungen

Nachhaltigkeitsaspekte können nach Ansicht der Kommission auch bei der Bewertung der wettbewerblichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses selbst herangezogen werden, etwa bei der Bewertung der wettbewerblichen Nähe zwischen den Unternehmen oder durch Berücksichtigung von Innovationstheorien als Mittel zur Verhinderung des Verlustes von „grüner Innovation“.

Die Wettbewerbsnähe zwischen Unternehmen ist ein bedeutender Faktor im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Würdigung. Um die wettbewerbliche Nähe zwischen Unternehmen zu beurteilen, können Nachhaltigkeitsaspekte als wichtiges Unterscheidungsmerkmal dienen. So stellte die Kommission in einem kürzlich entschiedenen Fall klar, dass auch Innovationsbemühungen und F&E-Kapazitäten Hauptfaktoren bei der Bewertung der Wettbewerbsintensität zwischen zwei Unternehmen sein können. 

Insbesondere Innovationen spielen eine wichtige Rolle für die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen. Daher muss bei der wettbewerbsrechtlichen Prüfung sichergestellt werden, dass wettbewerbswidrige Zusammenschlüsse Innovationen nicht wesentlich behindern. In diesem Zusammenhang herrscht Einigkeit darüber, dass die Kommission bei Zusammenschlüssen die sog. innovation theories of harm konsequent anwenden und verfolgen sollte.

Stellschraube 3: Nachhaltige Abhilfemaß-nahmen bzw. Zusagen

Auch bei der Bewertung von Abhilfemaßnahmen bzw. Zusagen zur Auflösung wettbewerblicher Bedenken können nach Ansicht der Kommission grundsätzlich auch Nachhaltigkeitsaspekte herangezogen werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine umweltfreundliche Abhilfemaßnahme zu akzeptieren bzw. deren Verwendung vorzuschreiben ist, um potenzielle Umweltschäden zu minimieren, die sich jedoch nicht gleichzeitig auch positive auf die bestehenden wettbewerblichen Bedenken auswirken. 

Die Kommission kann nach aktueller Rechtslage keine einseitigen Abhilfemaßnahmen vorschreiben, sondern diese lediglich auf Basis der Zusagen der zusammenschließenden Parteien annehmen. Diese Verpflichtungen müssen Wettbewerbsbedenken vollständig adressieren sowie umfassend und effektiv sein, um innerhalb kurzer Zeit wirksam umgesetzt werden zu können. Es fehle daher an der Befugnis, einseitig das „umweltfreundlichste“ Mittel unter mehreren Alternativen vorzuschreiben oder auszuwählen. Dies bedeute jedoch keinesfalls, dass Abhilfemaßnahmen bei Zusammenschlüssen keine positiven Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Umweltaspekte seien durchaus als wichtiger Wettbewerbsparameter zu berücksichtigen. 

Wenn umweltfreundliche Produkte oder Innovationen für die Wettbewerbsfähigkeit des zu veräußernden Geschäfts wichtig sind, können im Einzelfall auch spezifische Käuferkriterien erforderlich sein, um sicherzustellen, dass der Käufer weiterhin in der Lage sein wird, solche Produkte erfolgreich zu produzieren und vermarkten sowie weiterhin innovativ zu sein. 

Stellschraube 4: Effizienzvorteile

Nach der jetzigen Rechtslage können Effizienzvorteile berücksichtigt werden, wenn diese geeignet sind, wettbewerbswidrige Schäden zu kompensieren und die Fähigkeit und den Anreiz der zusammengeschlossenen Einheit zu verstärken, den Wettbewerb zum Vorteil der Verbraucher zu beleben. Dabei ist es nicht fernliegend, dass derartige Effizienzvorteile auch Nachhaltigkeitsaspekte betreffen. Diese müssen sich jedoch spezifisch aus dem Zusammenschluss ergeben, den Verbrauchern zugutekommen und tatsächlich erreicht werden. 

Hierbei wird unter anderem gefordert, dass die Kommission nunmehr bei der Prüfung der nachhaltigen Effizienzvorteile einen längeren Zeithorizont und den Gesamtnutzen für die Gesellschaft berücksichtigen soll. Dem hält die Kommission entgegen, dass es bisher keinerlei Fälle gegeben habe, in denen Effizienzvorteile außerhalb des Marktes akzeptiert wurden; nach der bisherigen Entscheidungspraxis des EuGHs kann die Kommission Effizienzvorteile, die nicht auf dem betroffenen Markt entstehen, nur dann berücksichtigen, wenn die Vorteile im Wesentlichen dieselben Kunden betreffen, die ansonsten durch den Zusammenschluss geschädigt würden.

Stellschraube 5: Green Killer Acquisitions

Wenn die Großen die Kleinen schlucken, um diese zu eliminieren, ist von sog. Killer Acquisions die Rede. Dies ist insbesondere unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten problematisch. Denn häufig gehen nachhaltige Innovationen von kleineren Start-Ups aus. Werden diese aufgekauft, besteht die Gefahr, „grüne Innovationen“ im Keim zu ersticken. Der Umsatz dieser kleinen Akteure ist oft sehr gering, sodass eine Übernahme durch größere und etablierte Unternehmen die üblichen EU- und sogar nationalen Umsatzschwellen für die formelle Anmeldpflicht nicht erreichen. Dem will die Kommission durch eine „neu kalibrierte“ Anwendung der Verweisung von Zusammenschlüssen durch nationale Wettbewerbsbehörden an die Kommission nach Art. 22 FKVO entgegensteuern: Sofern die Voraussetzungen für eine Verweisung von den nationalen Wettbewerbsbehörden an die Kommission vorliegen, kann die potenzielle Prüfungslücke bei Übernahmen von „grünen“ Innovatoren mit geringem oder gar keinem Umsatz geschlossen werden. Bei der Beurteilung, ob ein Zusammenschluss für eine Verweisung in Frage kommt, kann die Kommission überdies zusätzliche Faktoren berücksichtigen, etwa die Tatsache, dass es sich bei dem Zielunternehmen um ein neu gegründetes Unternehmen, einen Neueinsteiger mit erheblichem Wettbewerbspotenzial, einen wichtigen Innovator oder ein Unternehmen handelt, das potenziell wichtige Forschung betreibt.

Reicht das?

Ob diese Stellschrauben ausreichend sind, um Nachhaltigkeitsaspekte angemessen in der Fusionskontrolle zu berücksichtigen, bleibt für die Zukunft offen. Die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz durchgeführte Studie „Wettbewerb und Nachhaltigkeit in Deutschland und der EU“ aus März 2023 untersucht genau diese Frage, nämlich ob und wie Nachhaltigkeitsziele besser im Kartellrecht berücksichtigt werden können und welche Änderungen hierfür auf deutscher oder europäischer Ebene erforderlich sind. Dabei werden diverse Möglichkeiten untersucht, die von Vorschlägen ohne jede Gesetzesänderung bis hin zu tiefgreifenden Änderungen beim Wettbewerbsschutz reichen. 

Im Bereich Fusionskontrolle kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass das Kartellrecht in Bezug auf Nachhaltigkeitsziele durchaus weiterentwickelt werden kann, Änderungen aber stets ökonomisch zu rechtfertigen sein müssen, indem sie einen Wettbewerbsbezug aufweisen oder explizit außerwettbewerbliche Interessen anerkennen. Denn andere Politikinstrumente wie etwa Steuern, Subventionen oder ordnungsrechtliche Eingriffe seien deutlich besser geeignet, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Zuletzt weist die Studie darauf hin, dass bei einer Öffnung des Kartellrechts das Risiko von Greenwashing besteht sowie Kompetenz- und Legitimationsprobleme aufkommen können, da weder Unternehmen noch Kartellbehörden und -gerichte Gemeinwohlerwägungen umfassend anstellen dürften.

Autoren: Metehan Uzunçakmak, LL.M. (Associate) und Janina Strunk, LL.M. (Stationsreferendarin)

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