Auswirkungen des Corona-Virus auf Fristen nach dem EEG 2017 – Anwendung des Instituts der „Nachsichtgewährung“

Köln, 25.03.2020

Die aktuelle Ausbreitung des Corona-Virus hat längst gravierende Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, nicht zuletzt die Wirtschaft. Zahlreiche Unternehmen können auf Grund behördlicher Anordnungen, vorsorglicher Schutzmaßnahmen,  Verdachtsfällen oder Infektionen nur noch eingeschränkt ihren Betrieb aufrechterhalten. Dies führt unweigerlich zu Verzögerungen im Betriebsablauf und kann dadurch auch die Einhaltung gesetzlicher Fristen gefährden. In Bezug auf die Energiebranche scheint aktuell insbesondere die Wahrung von zwei Arten von Fristen von besonderer Bedeutung bzw. besonders gefährdet.

Antragsfrist zur Begrenzung der EEG-Umlage

Die besonderen Ausgleichsregelungen gemäß §§ 63ff. EEG 2017 sind für stromkostenintensive Unternehmen von besonderer wirtschaftlicher Relevanz. Bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen kann die EEG-Umlage für Unternehmen bestimmter Branchen mit einer hohen Stromkostenintensität begrenzt werden. Hierfür ist ein entsprechender Antrag bei dem zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr („BAFA“) erforderlich, der gemäß § 66 Abs. 1 S. 1 EEG 2017 jeweils bis zum 30. Juni für das folgende Kalenderjahr zu stellen ist. Einzig für neu gegründete Unternehmen besteht gemäß § 66 Abs. 3 EEG 2017 die Möglichkeit, einen entsprechenden Antrag bis zum 30. September zu stellen.  Dem Antrag sind bestimmte Nachweise beizufügen, insbesondere die Bescheinigung eines Wirtschaftsprüfers. Die Zusammenstellung der benötigten Nachweise für die fristgerechte Antragsstellung könnte in Anbetracht der aktuellen Lage schwierig werden: Sowohl die antragsstellenden stromkostenintensiven Unternehmen als auch die einbezogenen Wirtschaftsprüfer könnten auf Grund der Pandemie an der termingerechten Erstellung der erforderlichen Antragsunterlagen bis zum 30. Juni gehindert sein.

Realisierungsfristen für bezuschlagte Erneuerbare-Energien-Anlagen

Auch für Projektierer Erneuerbarer-Energien-Anlagen („EE-Anlagen“) könnte die Ausbreitung des Corona-Virus und die damit verbundenen Auswirkungen die Einhaltung gesetzlicher Fristen gefährden: Nach dem EEG 2017 setzt die gesetzliche Förderung von Anlagen im Regelfall die erfolgreiche Teilnahme an einer Ausschreibung der Bundesnetzagentur („BNetzA“) voraus. Wird für ein Projekt ein Zuschlag erteilt, ist der Projektierer an bestimmte Realisierungsfristen gebunden.  Werden die bezuschlagten Anlagen nicht innerhalb dieser Fristen in Betrieb genommen, muss der Projektierer eine Pönale zahlen, die sich an der Größe des Projekts sowie der Dauer der Verzögerung der Inbetriebnahme orientiert. Abweichend davon gilt in Bezug auf Solaranlagen, dass sich der in der Ausschreibung ermittelte anzulegende Wert  um 0, 3 ct/kWh verringert, wenn die Zahlungsberechtigung für die Anlage erst nach Ablauf von 18 Kalendermonaten nach öffentlicher Bekanntgabe des Zuschlags beantragt wird. Die Nichteinhaltung der Realisierungfristen hat für den Projektierer der Anlagen mithin weitreichende wirtschaftliche Folgen. Im schlimmsten Fall erlischt ein Zuschlag sogar, wenn das bezuschlagte Projekt nicht innerhalb von 24 Monaten (Solaranlagen, Biomasseanlagen) oder 30 Monaten (Windenergieanlagen an Land *1) nach Bekanntgabe des Zuschlags in Betrieb genommen bzw. eine Zahlungsberechtigung beantragt wurde. Die Wahrung dieser gesetzlichen Realisierungsfristen stellt Projektierer derzeit vor erhebliche Herausforderungen: Es kann zu Lieferengpässen von benötigten Komponenten kommen oder es kann auf Grund der Pandemie und damit verbundener Beschränkungen an dem erforderliche Personal für die Errichtung der Anlagen fehlen.

Materielle Ausschlussfristen

Sowohl bei der Frist für die Antragsstellung für stromkostenintensive Unternehmen nach dem EEG 2017 als auch bei den Realisierungsfristen für EE-Anlagen handelt es sich um materielle Ausschlussfristen. Dies ergibt sich für die Antragsfrist der besonderen Ausgleichsregelungen unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes (vgl. § 66 Abs. 1 S. 1 EEG 2017). Auch das Erlöschen des Zuschlags für Solaranlagen nach 24 Monaten bezeichnet das Gesetz in § 37d Abs. 2 Nr. 2 EEG 2017 ausdrücklich als materielle Ausschlussfrist. In den Regelungen des EEG 2017, die Realisierungsfristen für die übrigen Erneuerbare-Energien-Technologien statuieren, fehlt die ausdrückliche Bezeichnung dieser Fristen als materielle Ausschlussfristen zwar, es kann jedoch nichts anderes gelten.

Materiell-rechtliche Ausschlussfristen sind Fristen, mit deren Ablauf ein materielles Recht erlischt. Konkret bedeutet dies, dass nach Fristablauf ein eventueller Anspruch auf Begrenzung der EEG-Umlage für stromkostenintensive Unternehmen erlischt bzw. der Anspruch auf EEG-Förderung für EE-Anlagen erlischt oder nicht mehr in voller Höhe besteht. Das BAFA bzw. die BNetzA können diese  gesetzlichen  Fristen grundsätzlich nicht verlängern.  Etwas anderes gilt nur in Bezug auf die Frist bis zum Erlöschen der Zuschläge für Windenergieanlagen an Land oder Biomasseanlagen: Hier sieht das Gesetz in § 36e Abs. 2 bzw. § 39d Abs. 2 EEG 2017 vor, dass die Realisierungsfristen in bestimmten Fällen  auf Antrag durch die BNetzA verlängert werden. Dies gilt jedoch nur, sofern die Genehmigung der Anlagen beklagt und die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet wurde. In Bezug auf die derzeit zu befürchtenden Fristversäumnisse in Folge der Auswirkungen des Corona-Virus ist eine Verlängerung der gesetzlichen Fristen durch die zuständigen Behörden mithin gesetzlich nicht vorgesehen.

Institut der „Nachsichtgewährung“

Eine interessengerechte Lösung für alle Beteiligten könnte in der aktuelle Situation über das Institut der „Nachsichtgewährung“ gesucht werden, welches in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt ist. Im Wege einer Nachsichtgewährung kann eine Behörde eine Ausnahme von der Folge eines Fristversäumnisses gewähren, sofern das Gesetz keine Widereinsetzung in den vorherigen Stand vorsieht. Eine solche Nachsichtgewährung ist grundsätzlich nur zur Kompensation von Härtefällen statthaft. Anerkannt ist eine Nachsichtgewährung  in Fällen, in denen die Wahrung einer Frist durch höhere Gewalt unmöglich gemacht wurde. Ein solcher Fall könnte hier vorliegen:  Die Auswirkungen der Ausbreitung des Corona-Virus auf die Einhaltung der jeweiligen Fristen stellen ein von außen wirkendes Ereignis dar, welches im Regelfall auch durch die äußerste zumutbare Sorgfalt der Betroffenen nicht hätte abgewendet werden können. Dieses Ergebnis gilt jedoch nur, sofern im Einzelfall die Fristversäumnis tatsächlich auf den Folgen des Corona-Virus beruht und der Betroffene alles ihm Mögliche getan hat, um die Säumnis zu verhindern. Die Anwendbarkeit des Instituts der Nachsichtgewährung kann kein „Freifahrtschein“ für Fristversäumnisse während der aktuellen Pandemie sein.

Eine Nachsichtgewährung durch die zuständige Behörde darf zudem nicht dazu führen, dass der Zweck der gesetzlichen Ausschlussfristen umgangen wird.  Die Antragsfrist gemäß § 66  EEG 2017 dient dazu, das BAFA in die Lage zu versetzen, die Begrenzungsverfahren vor dem Jahresende zum Abschluss zu bringen, sodass diese in den weiteren Ausgleichsmechanismus nach dem EEG 2017 einbezogen werden können. Die Realisierungsfristen für bezuschlagte EE-Anlagen unter dem EEG 2017 haben den Zweck, den „Druck“ auf die Realisierung bezuschlagter Anlagen zu erhöhen, um eine hohe Realisierungsrate zu erreichen. Bei der Bestimmung der Realisierungsfristen hat sich der Gesetzgeber an der durchschnittlich benötigten Zeit zur Projektrealisierung orientiert und zudem einen zeitlichen Puffer berücksichtigt. Sinn und Zweck beider Fristen dürften durch eine Verlängerung bei unverschuldeter Fristversäumnis auf Grund der Ausbreitung des Corona-Virus nicht umgangen werden. Auch diesbezüglich wird es jedoch darauf ankommen, dass der Betroffene im Einzelfall konkret darlegt, weshalb er durch die aktuelle Situation an der Wahrung der Frist gehindert war.

Eine Nachsichtgewährung durch die zuständigen Behörden in Bezug auf die Einhaltung von Fristen nach dem EEG 2017 auf Grund der Pandemie ist daher grundsätzlich möglich.

Vorgehen der Behörden

Entsprechend haben das BAFA und die BNetzA nun auch bereits reagiert. So veröffentlichte das BAFA auf seiner Internetpräsenz den Hinweis, dass es sich über die mögliche Behinderung einer fristgemäßen Antragsstellung durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie bewusst sei. Sofern eine vollständige Antragsstellung, insbesondere die Einreichung des Wirtschaftsprüfervermerks sowie der Zertifizierungsbescheinigung aus diesen Gründen nicht fristgemäß erfolgen kann,  werde das BAFA diese Umstände als höhere Gewalt werten und „Nachsicht gewähren“. Das BAFA hat demnach erfreulicherweise schon ausdrücklich angekündigt, unter Anwendung des Instituts der Nachsichtgewährung Ausnahmen von der Einhaltung der Ausschlussfrist zuzulassen.

Auch die BNetzA hat die Auswirkungen der Pandemie auf die Einhaltung der Realisierungsfristen erkannt und hierzu Stellung bezogen. Die  Behörde kündigte an, eine Verlängerung der Realisierungsfrist für bereits bezuschlagte Gebote für Windenergieanlagen an Land und für Biomasseanlagen unbürokratisch zu gewähren. Bei Solaranlagen sei bis auf weiteres die Beantragung einer Zahlungsberechtigung, die zur Wahrung der Realisierungsfrist erforderlich ist, abweichend vor der Inbetriebnahme der Anlage möglich, sofern diese als Projekt im Marktstammdatenregister erfasst ist, sodass der erteilte Zuschlag nicht verfällt. In Bezug auf die gesetzlich vorgesehenen Pönalen bei der verspäteten Realisierung von Windenergieanlagen an Land oder Biomasseanlagen wird die BNetzA bis auf weiteres keine Meldung an die Übertragungsnetzbetreiber machen, sofern der Zuschlag auf Grund der Auswirkungen des Virus verlängert wurde, sodass von diesen keine Pönalen erhoben werden können. Zwar benennt die BNetzA in ihrer Stellungnahme dies nicht ausdrücklich, jedoch ist auch das Vorgehen der BNetzA (nur) im Wege der Anwendung des Instituts der Nachsichtgewährung möglich.

Empfehlung

Beide Behörden haben in ihren Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Anträge auf Fristverlängerung jeweils die Gründe mitzuteilen sind, auf Grund derer die Fristwahrung nicht möglich war. Diesen Hinweis sollten die Betroffenen Ernst nehmen: Zwar ist es sehr begrüßenswert, dass die Behörden bereits ihr grundsätzlich beabsichtigtes Vorgehen in Bezug auf Fristversäumnisse geäußert haben. Dennoch ist es erforderlich, im Einzelfall darzulegen, weshalb die Auswirkungen der Corona-Pandemie eine fristgerechte Antragsstellung bzw. Realisierung konkret verhindert haben. Andernfalls ist eine (rechtmäßige) Verlängerung der materiellen Fristen nicht möglich und kann von den Behörden abgelehnt werden.

 

*1 Windenergieanlagen an Land, die in Ausschreibungen vom 1. Februar, 1. Mai oder 1. August 2019 bezuschlagt wurden, müssen abweichend davon innerhalb von 24 Monaten realisiert werden.

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