Die Bundesregierung verschärft die Investitionskontrolle in Deutschland – Fokus liegt auf dem Gesundheitssektor – Meldepflicht ab einer Beteiligungsschwelle von 10 %

Köln/Hamburg, 26.05.2020

Die Bundesregierung hat mit der fünfzehnten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) die Investitionskontrolle erheblich ausgeweitet und verschärft. Die Änderung tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft. Darüber hinaus ist auch eine Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) geplant. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des AWG wurde bereits öffentlich vorgestellt und am 23. April 2020 erfolgte die erste Lesung im Bundestag. Dieses Legal Update fasst die für die Praxis wesentlichen Änderungen der AWV sowie die geplanten Änderungen des AWG zusammen.

I. Reform der Investitionskontrolle

Die Reform der Investitionskontrolle führt in allen Bereichen zu einer Verschärfung der Prüfung von Investitionen in Deutschland. Insbesondere wurden neue Meldepflichten eingeführt, die Untersagungskriterien sollen erweitert und die Sanktionen verschärft werden.

1. Neue Meldepflichten

Die Bundesregierung hat unter dem Eindruck der Corona-Krise in § 55 Abs. 1 AWV vier neue Regelbeispiele für den Gesundheitssektor aufgenommen, die nunmehr einer Meldepflicht unterliegen. Soweit inländische Unternehmen Produkte wie

  • persönliche Schutzausrüstung (§ 55 Abs. 1 Nr. 8 AWV neu),
  •  wesentliche Arzneimittel (§ 55 Abs. 1 Nr. 9 AWV neu), 
  • Medizinprodukte gegen lebensbedrohliche und hochansteckende Infektionskrankheiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 10 AWV neu) oder 
  • In-Vitro-Diagnostika (§ 55 Abs. 1 Nr. 11 AWV neu) 

entwickeln, herstellen oder vertreiben, unterliegt der Unternehmenserwerb einer sektorübergreifenden Prüfung. Dadurch soll der Abfluss von Know-how und Patenten an Drittstaaten verhindert werden.

Zusätzlich wurde ein weiteres Regelbeispiel außerhalb des Gesundheitssektors für Unternehmen aufgenommen, die solche Dienstleistungen erbringen, die zur Sicherstellung der Störungsfreiheit und Funktionsfähigkeit staatlicher Kommunikationsinfrastrukturen erforderlich sind (§ 55 Abs. 1 Nr. 7 AWV neu).

1.1 Meldepflicht für sämtliche Transaktionen mit Unionsfremden

Schließlich regelt der neue § 55 Abs. 4 AWV, dass der Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrags über den Erwerb eines von § 55 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 11 AWV erfassten inländischen Unternehmens oder einer mittelbaren Beteiligung im Sinne des § 56 AWV an einem solchen Unternehmen durch einen Unionsfremden dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) unverzüglich schriftlich zu melden ist.

1.2 Klarstellungen zum Erwerbsvorgang

Daneben konkretisiert die Änderung der AWV den Tatbestand eines „Erwerbs“. Demgemäß soll ein Erwerb im Sinne der §§ 55 Abs. 1 S. 1, 60 Abs. 1 S. 1 AWV auch vorliegen, wenn ein Unionsfremder

  • einen abgrenzbaren Betriebsteil eines inländischen Unternehmens (§§ 55 Abs. 1a Nr. 1, 60 Abs. 1a Nr. 1 AWV neu) oder 
  • alle wesentlichen Betriebsmittel eines inländischen Unternehmens oder eines abgrenzbaren Betriebsteils eines inländischen Unternehmens, die für die Aufrechterhaltung des Betriebs des Unternehmens oder eines abgrenzbaren Betriebsteils erforderlich sind (§§ 55 Abs. 1a Nr. 2, 60 Abs. 1a Nr. 2 AWV neu),

erwirbt.

1.3 Auswirkung auf noch nicht vollzogenen Transaktionen

Die AWV-Änderungen sehen keine Übergangsvorschriften vor und Transaktionen dürften mit Inkrafttreten sofort einer Prüfung durch das BMWi unterliegen. Es ist nicht eindeutig, ob bei Kaufverträgen, die vor Inkrafttreten geschlossen, aber noch nicht vollzogen wurden, eine unverzügliche Meldepflicht besteht.

2. Ausweitung der Untersagungskriterien

Neben der Ausweitung der Meldepflicht ist es zukünftig leichter, Erwerbsvorgänge zu untersagen. So soll nicht nur die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch eines anderen Mitgliedstaats der EU in Bezug auf Projekte oder Programme von Unionsinteresse (i.S.d. EU-Screening-VO) selbst gewährleistet werden (§ 4 Nr. 4, 4a AWG-E). Zudem soll die Gesetzesänderung den Grad einer (potenziellen) Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit absenken. Während bisher ein Unternehmenserwerb nur dann untersagt werden durfte, wenn die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet wären, wird das BMWi künftig gemäß § 5 Abs. 2 AWG-E bereits bei einer „voraussichtlichen Beeinträchtigung“ der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik oder auch eines anderen Mitgliedstaats bzw. von Unionsinteressen eine Untersagung aussprechen dürfen. Der Begriff stellt eine Anpassung an Art. 1 Nr. 4 der EU-Screening-VO dar.

Neben dieser geplanten Verschärfung des Untersagungskriteriums bringt bereits die Reform der AWV Klarstellungen zur materiellen Prüfung. So soll berücksichtigt werden können, ob

  • der Erwerber unmittelbar oder mittelbar von der Regierung, einschließlich sonstiger staatlicher Stellen oder Streitkräfte eines Drittstaates, kontrolliert wird, 
  • der Erwerber bereits an Aktivitäten beteiligt war, die nachteilige Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung oder Sicherheit haben oder  
  • ein erhebliches Risiko besteht, dass der Erwerber in Deutschland Straftaten nach § 123 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder Straftaten oder Ordnungswidrigkeit nach dem AWG begehen wird.

3. Verschärfung der Sanktionen

Gemäß § 15 Abs. 2 AWG-E steht ein schuldrechtliches Rechtsgeschäft über einen meldepflichtigen Erwerb bis zum Abschluss des Prüfverfahrens unter der auflösenden Bedingung, dass das BMWi innerhalb der Fristen den Zusammenschluss untersagt. Es empfiehlt sich im Kaufvertrag klarzustellen, dass bestimmte Regeln, wie beispielweise die Vertraulichkeit oder Vereinbarungen zu einer Break-up Fee, auch gelten, wenn die schuldrechtliche Verpflichtung zum Erwerb wegen § 15 Abs. 2 AWG-E unwirksam geworden ist. Darüber hinaus sollen Rechtsgeschäfte, die dem Vollzug eines meldepflichtigen Erwerbs dienen, schwebend unwirksam sein. Ergänzend sind während der schwebenden Unwirksamkeit des Erwerbsgeschäfts die nachfolgenden Maßnahmen verboten:

  • dem Erwerber die Ausübung von Stimmrechten unmittelbar oder mittelbar zu ermöglichen,
  • dem Erwerber den Bezug von Gewinnauszahlungsansprüchen, die mit dem Erwerb einhergehen, oder eines wirtschaftlichen Äquivalents zu gewähren, 
  • dem Erwerber unternehmensbezogene Informationen über das inländische Unternehmen zu überlassen oder anderweitig offenzulegen, soweit sich diese Informationen auf Unternehmensbereiche oder Unternehmensgegenstände beziehen, die die Prüfung im Hinblick auf das Gewährleisten der wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland auslösen oder im Rahmen der Prüfung einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland besonders zu berücksichtigen sind oder 
  • dem Erwerber unternehmensbezogene Informationen über das inländische Unternehmen zu überlassen oder anderweitig offenzulegen, die in einer Anordnung als bedeutsam bezeichnet sind. 

Ein Verstoß gegen diese Verbote kann künftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren geahndet werden.

II. Industrie sieht Änderungen skeptisch

Es haben sich bereits mehrere Verbände gegen die beschlossene Verschärfung ausgesprochen, so z.B. der Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK), BIO Deutschland, Die Familienunternehmer und der Bundesverband Deutscher Startups. Die Verbände sind der Ansicht, dass die Gesetzesänderung die Innovationskraft Deutschlands bremsen wird und dadurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen Schaden nimmt. Darüber hinaus habe die Gesetzesänderung aus Sicht der Verbände eine abschreckende Wirkung für Investoren.

Insbesondere fordern die Verbände, dass das Vollzugverbot nicht Sektoren erfasst, die das BMWi aus industriepolitischen Überlegungen für schützenswert hält, wie zum Beispiel Biotechnologie, künstliche Intelligenz, Robotik, Halbleiter etc. Investitionen unterhalb bestimmter Schwellen sollten nicht dem Vollzugsverbot unterliegen, da zu erwarten ist, dass diese dann aufgrund des bürokratischen Mehraufwands nicht getätigt werden. Die Freigabe unproblematischer Investitionen sollte innerhalb sehr kurzer Fristen erfolgen.

Des Weiteren sollten an die Kausalität einer (voraussichtlichen) Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit durch eine Investition enge und transparente Anforderungen gestellt werden. Denn der Ermessensspielraum des BMWi ist sehr weitgehend und eine Untersagung stellt einen schweren Eingriff in das grundrechtlich geschützte Privateigentum, die Vertragsfreiheit und die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit dar.

III. Fazit

Insbesondere bei dem Erwerb von Unternehmen im Rahmen von M&A-Transaktionen muss grundsätzlich eine Prüfung auf AWV-Compliance erfolgen. Sofern die Transaktion unter das AWG bzw. die AWV fällt, müssen der Kaufvertrag entsprechend angepasst und die Meldepflichten gegenüber dem BMWi erfüllt werden.

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