Entgelt- bzw. Entschädigungsansprüche während behördlich angeordneter Quarantäne

Köln, 27.07.2021

EntgeltUrteil des LG Münster vom 15. April 2021 – Az. 8 O 345/20

Das bereits in unserem Beitrag vom 15. Juni 2021 besprochene Urteil des Landgerichts (LG) Münster vom 15. April 2021 ist das erste Urteil, das sich zu Entgelt- bzw. Entschädigungsansprüchen während der Dauer einer behördlich angeordneten Quarantäne eines Arbeitnehmers positioniert hat. Der SC Paderborn verklagte das Land NRW auf Erstattung von Entschädigungszahlungen gemäß § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) für einen Spieler, der aufgrund behördlich angeordneter Quarantäne für 14 Tage weder am Mannschaftstraining noch am Spielbetrieb teilnehmen konnte. Dem SC Paderborn war es kurzfristig nicht möglich, die Voraussetzungen für ein Training an seinem Wohnsitz zu organisieren, wobei bei Profispielern ohnehin zweifelhaft erscheint, ob ein Training im „Home Office“ überhaupt eine vertragsgemäße Beschäftigung darstellt, da der Spieler einen Anspruch auf Teilnahme am Mannschaftstraining haben dürfte. Nach dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ hatte der Spieler keinen Anspruch auf Zahlung seiner Vergütung für die Dauer der Quarantäne. Ein Vergütungsanspruch ergab sich nach Ansicht des LG Münster auch nicht aus § 616 BGB, wonach ein Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch im Falle einer verhältnismäßig nicht erheblichen Dauer der Arbeitsverhinderung nicht verliert. § 616 BGB greife nur bei einer Arbeitsverhinderung von wenigen Tagen, nicht jedoch im Falle einer vierzehntägigen Quarantäne. Damit stellte sich das LG auf die Seite von namhaften Vertretern in der Literatur und gegen die noch zum Bundesseuchengesetz ergangene Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1978. Es lag mithin ein Verdienstausfall und damit die Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 56 Abs. 1 IfSG vor, der zunächst vom Arbeitgeber auszuzahlen und diesem nachträglich von der zuständigen Behörde zu erstatten ist. 

Rechtswegänderung zu den Verwaltungsgerichten

Das Urteil des LG Münster könnte jedoch weniger Bedeutung haben als ursprünglich angenommen. Denn für Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Behörden über die Erstattung der durch die Arbeitgeber an die Arbeitnehmer auszuzahlenden Entschädigungsansprüche nach § 56 IfSG, die nach dem 19. November 2020 rechtshängig geworden sind, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht mehr eröffnet. Für diese Auseinandersetzungen sind nach Neufassung des § 68 Abs. 1 IfSG nunmehr die Verwaltungsgerichte zuständig. Zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen sind bereits ergangen. Das VG Bayreuth liegt auf einer Linie mit dem LG Münster, während das VG Koblenz einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG im Falle der Quarantäne eines Arbeitnehmers ablehnt.

Urteil des VG Koblenz vom 10. Mai 2021 – 3 K 107/21.KO

Das VG Koblenz lehnte einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1IfSG ab. Ein Verdienstausfall lag nach Ansicht des VG Koblenz deswegen nicht vor, weil sich ein Lohnfortzahlungsanspruch aus § 616 BGB ergebe. Anders als das LG Münster hält das VG Koblenz eine vierzehntägige Arbeitsverhinderung aufgrund einer behördlich angeordneten Quarantäne für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit. Diese Bewertung nahm das VG Koblenz insbesondere unter Berücksichtigung der Dauer des Bestands des Arbeitsverhältnisses vor. Bei einer Beschäftigungsdauer von einem Jahr sei eine Verhinderung von 14 Tagen nicht erheblich. Ein Verdienstausfall im Sinne des § 56 Abs. 1 IfSG lag mithin nicht vor, so dass dem Arbeitgeber eine Erstattung des während der Quarantäne an den Arbeitnehmer gezahlten Entgelts verwehrt blieb.

VG Bayreuth vom 5. Mai 2021 – B 7 K 21.210

Ganz anders beurteilte hingegen das VG Bayreuth diese Fragestellung in einer nur wenige Tage zuvor ergangenen Entscheidung. Nach Ansicht des Gerichts gehe eine 14-tägige Quarantäne deutlich über die Grenze der verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit hinaus. § 616 BGB sei nicht anwendbar, so dass auf Grund des Verdienstausfalls ein Entschädigungsanspruch bzw. ein entsprechender Erstattungsanspruch des Arbeitgebers nach § 56 IfSG bestehe. Zur Begründung stützte das Gericht sich insbesondere auf den Zweck des § 616 BGB. Dieser sei Ausdruck dessen, dass unerhebliche Leistungsdefizite den Anspruch auf die Arbeitsvergütung nicht entfallen lassen sollen. Solche Umstände, die in der Person des Leistenden liegen, sind vom Arbeitgeber in gewisser Weise zu tolerieren. Weil damit aber vom gesetzlichen Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ (§§ 275, 326 Abs. 1 S. 1 BGB) abgewichen werde, sei die Norm eng auszulegen. Das bedeute im Ergebnis, dass eine Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB lediglich im Falle einer Arbeitsverhinderung von nur wenigen Tagen in Betracht komme.

Hinweise für die Praxis

Wenn auch wie aufgezeigt die Frage der Erheblichkeit der Dauer der Arbeitsverhinderung kontrovers durch die Gerichte beurteilt wird, besteht jedenfalls dahingehend Einigkeit, dass eine Aufteilung in einen verhältnismäßigen und einen unverhältnismäßigen Zeitraum der Verhinderung nicht möglich ist. Wird der Zeitraum des § 616 BGB überschritten, entfällt die Fortzahlungspflicht für den gesamten Zeitraum, so dass die Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG gegeben ist. Allerdings kann der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB nicht nur an der Erheblichkeit der Dauer der Arbeitsverhinderung, sondern ggfs. auch an einem Verschulden des Arbeitnehmers scheitern, z.B. wenn sich Arbeitnehmer wissentlich in (Hoch-)Risikogebiete begeben oder grob fahrlässig oder vorsätzlich gegen Regelungen zur Vermeidung von Coronainfektionen verstoßen (z.B. Teilnahme an illegalen Partys) und infolgedessen eine behördliche Quarantäneanordnung ergeht.

Um angesichts der uneinheitlichen Rechtsprechung vorprogrammierten Streitigkeiten mit Arbeitnehmern und Behörden darüber, ob der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB schuldet oder der staatliche Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG greift, zu umgehen, können Arbeitgeber zumindest für zukünftige Fälle in Erwägung ziehen, den § 616 BGB abzubedingen, wobei Arbeitgeber allerdings auf das Einverständnis der Arbeitnehmer angewiesen sind.

Jedenfalls dürfte sich zur Vermeidung der aufgezeigten Unwägbarkeiten stets eine Prüfung lohnen, ob der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zum Arbeitsort sowie der Eigenart der Tätigkeit während der Quarantänezeit zumindest vorübergehend im Home Office erbringen kann.

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