Neues zur IT-Mitbestimmung

Hamburg, 20.03.2024

Die fortschreitende Digitalisierung, die Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz und die Einführung entsprechender IT-Systeme stellen zentrale Herausforderungen in der betrieblichen Praxis dar. Bei der Umsetzung entsprechender Projekte werden Arbeitgeber häufig durch die Mitbestimmungs­rechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ausgebremst. Dies liegt nicht zuletzt daran, weil das BAG den Anwendungsbereich der Regelung sehr weit auslegt. Ein Mitbestimmungsrecht besteht danach etwa auch hinsichtlich IT-Systemen und technischen Einrichtungen, die Leistungs- und Verhaltens­daten nur mittelbar oder sogar ungewollt erfassen oder diese Daten lediglich speichern, ohne sie eigenständig erfasst zu haben (vgl. etwa BAG, Beschluss vom 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15 „Social-Media-Kanälen; Beschluss vom 8. März 2022 – 1 ABR 20/21 „Office 365“; Beschluss vom 23. Oktober 2018 – 1 ABN 36/18 „Excel“).

Die von Teilen der Literatur und von einigen Instanzengerichten geäußerte Kritik, die Auslegung sei zu weitgehend, hat das BAG bisher nicht beeindruckt. In zwei aktuellen Entscheidungen hat nunmehr das BVerwG, das im Bereich des öffentlichen Dienstes für die entsprechenden mitbestimmungsrechtlichen Fragen zuständig ist, einen neuen Ansatz aufgezeigt, der zu einer erheblichen Einschränkung der IT-Mitbestimmung führen könnte. Ein Mitbestimmungsrecht zu den praktisch zu § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG inhaltsgleichen Regelungen der Personal­vertretungsgesetze soll danach nur in Betracht kommen, wenn durch die Anwendung der technischen Einrichtungen ein tatsächlicher Überwachungsdruck gegeben ist.

Das weite Verständnis des BAG

Objektive Eignung zur Speicherung von Leistungsdaten ausreichend

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen mitzubestimmen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. 

Das BAG legt die Merkmalezur Überwachung bestimmte technische Einrichtung“ weit aus. 

Für eine Überwachung mit Hilfe einer technischen Einrichtung soll es danach nicht erforderlich sein, dass die technische Einrichtung die Daten selbst oder automatisch aufzeichnet. Vielmehr genüge die händische Eingabe der Daten und die bloße Speicherung durch die technische Einrichtung (BAG, Beschluss vom 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15). Für das Merkmal „zur Überwachung bestimmt“ lässt das BAG genügen, dass die technische Einrichtung objektiv geeignet ist, Verhaltens- oder Leistungsinformationen der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Auf eine subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers komme es dagegen nicht an (BAG, Beschluss vom 10. Dezember 2013 – 1 ABR 43/12). 

Diese weite Auslegung hat zur Folge, dass praktisch jedes IT-System dem Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterfällt, weil diese in der Regel über die Funktion verfügen, bestimmte Anwender- und Zugriffsdaten zu erfassen.

Der neue einschränkende Ansatz des BVerwG

Tatsächlicher Überwachungsdruck

Das BVerwG ist der weiten Auslegung des BAG in zwei aktuellen Entscheidungen nicht gefolgt und hat den Anwendungsbereich der IT-Mitbestimmung beschränkt (BVerwG, Beschluss vom 4. Mai 2023 – 5 P 61/21; Beschluss vom 4. Mai 2023 – 5 P 2/22)Gegenstand der Entscheidungen war das Bestehen von Mitbestimmungsrechten der Personalräte beim Betrieb von Social-Media-Kanälen durch die Deutsche Rentenversicherung Bund nach § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG bzw. beim Betrieb einer Facebook-Seite durch ein Universitätsklinikum nach § 88 Abs. 1 Nr. 32 HmbPersVG. Beide vorgenannten Regelungen enthalten mit § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG inhaltsgleiche oder zumindest vergleichbare Regelungen. 

Das BVerwG hat sich zwar nicht der noch engeren Auffassungen der Vorinstanzen angeschlossen, die ein Mitbestimmungsrecht mit der Begründung verneint haben, dass die Daten nur händisch erfasst würden und es daher an einer eigenständigen automatischen Leistung der technischen Einrichtung fehle (OVG Hamburg, Beschluss vom 31. Januar 2022 – 14 Bf 201/20.PVL). Es läge keine technische Einrichtung, sondern lediglich ein technisches Hilfsmittel vor (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. August 2021 - OVG 62 PV 5/20).

Stattdessen hat das BVerwG die Mitbestimmungstatbestände einschränkend dahin ausgelegt, dass das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts davon abhänge, ob für die Beschäftigten aufgrund der tatsächlichen Umstände ein Überwachungsdruck erzeugt werde. Entscheidend sei, ob bei objektiver Betrachtung im konkreten Fall eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass durch den Betrieb der technischen Einrichtung Verhaltens- und Leistungsdaten in einem Umfang anfallen, dass durch deren Speicherung und etwaige Auswertung durch die Dienststelle ein Überwachungsdruck für die Beschäftigten erzeugt werden kann. In den konkreten Sachverhalten sah das BVerwG keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen Überwachungsdruck und lehnte das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts ab. Es sei bei denen von den Dienststellen verantworteten Auftritten in sozialen Netzwerken ungewiss, ob und in welcher Häufigkeit Dritte Kommentare mit verhaltens- oder leistungsbezogenen Angaben zu einzelnen Beschäftigten erstellen würden. Da nicht zu erwarten sei, dass Nutzerkommentare in beachtlichem Umfang eingestellt werden, ist ein Überwachungsdruck und damit ein Mitbestimmungsrecht nicht gegeben.

Im Gegensatz zum BAG, das in einem vergleichbaren Fall (vgl. BAG, Beschluss vom 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15) ein Mitbestimmungsrecht bejaht hatte, lässt das BVerwG damit die bloße objektive Eignung zur Erfassung von Leistungs- und Verhaltensdaten nicht ausreichen, sondern setzt einen gewissen quantitativen und qualitativen Datenanfall voraus. Arbeitgeber könnten danach eine Mitbestimmung unterbinden, wenn sie ausreichende Vorkehrungen treffen, um einen Überwachungsdruck zu vermeiden. 

Ausblick und praktische Relevanz

Ob und inwieweit die Arbeitsgerichte dem neuen einschränkenden Ansatz des BVerwG folgen werden, ist offen. Da sich einige Instanzengerichte bereits vor den Entscheidungen des BVerwG um eine einschränkende Auslegung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bemüht hatten (vgl. etwa LAG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Januar 2015 – 9 TaBV 51/14), ist es aber keinesfalls ausgeschlossen, dass die Argumente der Verwaltungsgerichtsbarkeit gehört werden. 

Zur Vermeidung rechtlicher Risiken sollten Arbeitgeber aber bis zur Klärung der Rechtslage weiterhin die üblichen Vorkehrungen ergreifen und etwa auf den Abschluss von IT-Rahmenvereinbarungen oder eine hinreichende Anonymisierung setzen.

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