Gesetz über die Geschlechterquote in Kraft getreten / Erhebliche Änderungen für weite Teile der Wirtschaft

06.05.2015

[Köln, ] Das Gesetz für die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Dienst vom 24. April 2015 (BGBl. I, S. 642) ist am 1. Mai in Kraft getreten. Daher ist nunmehr im Rahmen der Rechtsanwendung zu klären, ob die europa- und verfassungsrechtlichen Bedenken durchgreifen, die aus mehreren Gründen gegen das Gesetz erhoben worden sind. Gegenüber dem vieldiskutierten Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 20. Januar 2015 (BT-Drucksache 18/3784) kam es "in letzter Minute" noch zu einigen Änderungen (siehe BR-Drucksache 77/15 vom 6. März 2015).

Ziel des Gesetzes - soweit es die Privatwirtschaft betrifft - ist es, den Anteil von Frauen in den Leitungsorganen der Gesellschaften und in den ersten beiden Führungsebenen unterhalb des Geschäftsführungsorgans zu erhöhen. Die beiden Instrumente hierfür sind:

Mindestanteilsgebot (Quote) im Aufsichtsrat: Bei Gesellschaften, die börsennotiert und paritätisch mitbestimmt sind, muss sich der Aufsichtsrat zu mindestens 30 % aus Frauen und zu mindestens 30 % aus Männern zusammensetzen (hierzu näher unten I.), Zielgrößen für den Frauenanteil: Bei grundsätzlich allen börsennotierten oder auch nur drittelmitbestimmten Gesellschaften sind Zielgrößen für den Frauenanteil im Aufsichtsrat, im Geschäftsführungsorgan und in den beiden Führungsebenen unterhalb des Geschäftsführungsorgans festzulegen; ferner sind Fristen zur Erreichung dieser Ziele festzulegen (hierzu näher unten II.).


Die praktische Bedeutung ist hoch: Nach Einschätzung des Gesetzesgebers sind vom Mindestanteilsgebot rd. 110 Unternehmen, von den Zielgrößen-Regelungen mehr als 3.500 Unternehmen betroffen. Das Gesetz wird das Interesse an mitbestimmungsvermeidenden Gestaltungen weiter erhöhen.

Das Mindestanteilsgebot im Aufsichtsrat gilt erstmals für Bestellungen ab dem 1. Januar 2016. Zu diesem Zeitpunkt bestehende Mandate bleiben grundsätzlich unberührt (mit entsprechendem Handlungsspielraum in der Zeit bis zum 31. Dezember 2015). Die Zielgrößen-Regelungen gelten hingegen bereits ab dem 1. Mai 2015 und sind erstmals bis zum 30. September 2015 zu erfüllen.

Bereits die Stellungnahmen der Verbände zum Gesetzesentwurf und die bislang veröffentlichte Literatur haben geradezu einen Strauß an Anwendungsfragen identifiziert, die die neuen Regelungen aufwerfen und die auch durch die nunmehr in Kraft getretene Fassung des Gesetzes nicht beantwortet sind. An dieser Stelle kann nur ein erster Überblick über die Kernregelungen gegeben werden:

I. Mindestanteilsgebot (Quote) im Aufsichtsrat

Die Grundregelung für das Mindestanteilsgebot im Aufsichtsrat findet sich in einem neuen Absatz 2 von § 96 AktG. Der bisherige § 96 II AktG über die sog. Perpetuierung der Aufsichtsratszusammensetzung verlässt seinen gewohnten Platz und wird zu einem neuen Absatz 4 von § 96 AktG.

1. Betroffene Gesellschaften

Gemäß § 96 II AktG n.F gilt die Quote im Aufsichtsrat von AGs und KGaAs (§ 278 III AktG), die börsennotiert und qualifiziert mitbestimmt sind.

Börsennotiert in diesem Sinne sind nur Gesellschaften, deren Aktien zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind (§ 3 II AktG). Die rd. 400 deutschen Gesellschaften, deren Aktien lediglich im Freiverkehr notieren (einschließlich der Qualitätssegmente des Freiverkehrs), sind somit vom Mindestanteilsgebot im Aufsichtsrat nicht erfasst.

Qualifiziert mitbestimmt ist die Gesellschaft im vorgenannten Sinne, wenn für sie das Mitbestimmungsgesetz 1976 über die paritätische Mitbestimmung, das Montan- Mitbestimmungsgesetz oder das Mitbestimmungsergänzungsgesetz gilt. Hierfür kommt es richtigerweise allein darauf an, ob der Aufsichtsrat der Gesellschaft nach Maßgabe von § 96 IV AktG (§ 96 II AktG a. F.) gemäß einem dieser Mitbestimmungsgesetze zusammengesetzt ist. Das MitbestG 1976 ist nur anzuwenden, wenn im Konzern mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt werden (§ 1 I, § 5 Abs. 1 MitbestG), wobei streitig ist, ob im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer mitzuzählen sind (jüngst bejahend LG Frankfurt am Main, ZIP 2015, 634).

2. Kernregelungen

Das Mindestanteilsgebot von mindestens 30 % je Geschlecht gilt grundsätzlich für den Aufsichtsrat insgesamt (sog. Gesamterfüllung, § 96 II 2 AktG). Widerspricht jedoch die Seite der Anteilseignervertreter oder der Arbeitnehmervertreter vor der Wahl der Gesamterfüllung, ist das Mindestanteilsgebot von jeder Seite getrennt zu erfüllen (sog. Getrennterfüllung, § 96 II 3 AktG). Während nach dem Referentenentwurf des Gesetzes hierbei jeweils aufzurunden war, ist nunmehr vorgesehen (§ 96 II 4 AktG), dass nach mathematischen Grundsätzen auf- oder abzurunden ist (d.h. ab 0,5 ist aufzurunden).

Hiermit hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass in bestimmten Fällen die zu erfüllende Zahl bei Getrennterfüllung niedriger sein kann als bei Gesamterfüllung. Hauptbeispiel ist der 16-köpfige Aufsichtsrat: Bei Gesamterfüllung sind fünf Vertreter jedes Geschlechts nötig (4,8 aufgerundet). Bei Getrennterfüllung sind hingegen nur vier Vertreter, zwei je Seite, erforderlich (jeweils 2,4 abgerundet).

Diese materiellen Regelungen werden von Pflichten zu entsprechenden Angaben in der Hauptversammlungseinladung (§ 124 II 1 AktG n.F.) und eine Berichtspflicht über die Einhaltung der Mindestanteilsquote flankiert (§ 289a II Nr. 5 HGB n.F.). Weitgehend ähnliche Regelungen gelten für die SE (§ 17 I, § 24 III SEAG n.F.) und für Gesellschaften, die aus einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgegangen sind (§ 96 III AktG).

3. Rechtsfolgen

Die Rechtsfolgen einer Nicht-Beachtung der Mindestquote im Aufsichtsrat können nur als drastisch bezeichnet werden: Ein der Mindestquote nicht entsprechender Wahlbeschluss der Hauptversammlung ist - ab der Hauptversammlungssaison 2016 - nichtig (§ 250 I Nr. 1, Nr. 5 AktG n. F.). Der Bestellungsbeschluss ist somit nicht nur anfechtbar (mit der Möglichkeit der Heilung, wenn keine Klage erhoben wird). Vielmehr bleibt der fragliche Aufsichtsratssitz wegen der Nichtigkeit des Beschlusses schlicht unbesetzt (vom Gesetzgeber sog. "Prinzip des leeren Stuhls") mit etwaigen Folgen für die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats. Zur Erhebung einer Klage, mit der die Nichtigkeit festgestellt wird, ist auch der Betriebsrat oder eine andere der in § 250 II AktG genannten Arbeitnehmerorganisationen berechtigt (§ 250 III AktG). Ebenso nichtig ist eine Entsendung oder eine gerichtliche Bestellung nach § 104 AktG, wenn sie dem Mindestanteilsgebot widerspricht.

II. Zielgrößen für den Frauenanteil

Während rechtlicher Bezugspunkt des Mindestanteilsgebots im Aufsichtsrat beide Geschlechter sind, betreffen die Zielgrößen-Regelungen allein den Frauenanteil. Die Festlegungen der Zielgrößen und die Erreichungsfristen sind als Teil einer Erklärung zur Unternehmensführung in den Lagebericht aufzunehmen oder auf der Internetseite der Gesellschaft zu veröffentlichen; auf diesem Wege ist ferner darüber zu berichten, ob die Ziele im maßgeblichen Zeitraum erreicht wurden und, wenn nein, warum nicht (§ 289a II Nr. 4, III, IV HGB n.F.).

1. Betroffene Gesellschaften

Die Zielgrößen-Regelungen gelten zunächst für börsennotierte Gesellschaften (im oben genannten Sinne), daneben jedoch für grundsätzlich alle Gesellschaften, die der Mitbestimmung unterliegen, sofern diese verfasst sind als AG (§ 76 IV AktG n.F.), KGaA (§ 278 III, § 76 IV AktG n.F.), GmbH (§ 36, § 52 II GmbHG n.F.), Genossenschaft (§ 9 III, IV GenG n.F.) oder als VVaG (§ 35 II VAG).

Trotz verschiedener Anregegungen hat der Gesetzgeber nicht klargestellt, ob mit "Mitbestimmung" im Sinne dieser Regelungen allein die unternehmerische Mitbestimmung (über den Aufsichtsrat) oder auch die betriebliche Mitbestimmung (über den Betriebsrat) gemeint ist. Dass allein ersteres der Fall ist, ergibt sich aber zweifelsfrei aus der Gesetzesbegründung.

Für die hiernach erforderliche unternehmerische Mitbestimmung genügt die Mitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz, die grundsätzlich ab 500 Arbeitnehmern eingreift. Die Einbeziehung kleiner "Alt-AGs" in den Anwendungsbereich der Zielgrößen-Regelungen (über § 1 I Nr. 1 Satz 2 DrittelbG) hat der Gesetzgeber offenbar in Kauf genommen.

Weniger klar ist, ob neben Gesellschaften, deren Aufsichtsrat nach einem der Mitbestimmungsgesetze zusammengesetzt ist, auch Gesellschaften erfasst sind, die hierzu nach einem der Mitbestimmungsgesetze verpflichtet sind, dieser Pflicht aber nicht nachkommen (sog. materielle Mitbestimmungspflichtigkeit). Diese Frage stellt sich vor allem bei der GmbH, da das Gesetz hier für Aufsichtsrat und Geschäftsführung daran anknüpft, ob ein Aufsichtsrat nach dem jeweiligen Mitbestimmungsgesetz "zu bestellen ist" (§ 52 II 1, 2 GmbHG). Dieser Wortlautargumentation lässt sich jedoch entgegenhalten, dass sich der Gesetzesbegründung kein Hinweis darauf entnehmen lässt, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz über die Geschlechterquote gleichzeitig mittelbar die Nicht-Erfüllung der Mitbestimmungspflicht sanktionieren wollte (nachdem sich eine jüngere Entscheidung des BVerfG dahin verstehen lässt, dass ein solcher Zustand grundsätzlich sanktionslos ist, Beschluss vom 9. Januar 2014, 1 BvR 299/13).

2. Kernregelungen

Die Zielgrößen-Regelungen gelten nicht nur für den Aufsichtsrat, sondern gerade auch für die Geschäftsführung, nämlich für das Geschäftsführungsorgan als erste Management-Ebene und für die beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführung. Nach den Gesetzesformulierungen wird davon auszugehen sein, dass für jedes Organ bzw. für jede Ebene eine gesonderte Zielvorgabe festzulegen ist.

Eine inhaltliche Vorgabe für die Zielgröße besteht insoweit, als die Zielgröße nicht hinter dem gegebenen Stand zurückfallen darf, solange noch kein Frauenanteil von 30 % erreicht ist (Verschlechterungsverbot). Ist auf der jeweiligen Ebene bislang keine Frau vertreten, fragt sich vor allem für das Geschäftsführungsorgan, ob auch eine Zielvorgabe von Null aus rechtlicher Sicht zulässig ist. Gegen die Zulässigkeit einer solchen "Null-Vorgabe" lassen sich die Natur eines Zieles und das gesonderte Erfordernis der Festlegung von Erreichungsfristen anführen. Entscheidend dürfte aber sein, dass der Gesetzgeber eine Erhöhung des Frauenanteils nicht unmittelbar mit den Mitteln des Rechts bewirken, sondern im Sinne des milderen Mittels nur über eine "comply-or-explain"-Regelung im gegebenen Falle - faktischen - Erklärungsdruck schaffen wollte. Die weitere Rechtsentwicklung hierzu ist abzuwarten.

Die Frist zur Erreichung der gesetzten Ziele darf höchstens 5 Jahre betragen. Die erstmals festzulegende Frist darf jedoch nur bis zum 30. Juni 2017 dauern.

3. Rechtsfolgen

Auch wenn die Rechtsfolgen einer Verletzung der Zielgrößen-Regelungen und der dazugehörigen Berichtsplichten (§ 289a II Nr. 4, III, IV HGB n.F.) weniger drastisch sind als im Falle des Mindestanteilsgebots im Aufsichtsrat, ist auch insoweit angesichts noch fehlender Rechtssicherheit Vorsicht anzuraten. Der Gesetzgeber will auch die Zielvorgaben-Regelungen ernstgenommen wissen, verweist er doch - wenn auch wenig klar - im
Zusammenhang mit den Rechtsfolgen auf das „vorhandene Sanktionssystem nach §§ 331 ff. HGB“ (BTDrucks. 18/3784, S. 132), d.h. auf die handelsbilanzrechtlichen Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände, sowie auf eine mögliche Schadensersatzpflicht der verpflichteten Organe. Die Prüfungspflicht des Abschlussprüfers wird sich auf die Regelungen jedenfalls nicht unmittelbar erstrecken (§ 317 II 3 i.V.m. § 289a HGB).

 

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