[Berlin, ] Mittlerweile ist es durch die Rechtsprechung nationaler Oberlandesgerichte als auch durch den EUGH bestätigt, dass innerhalb der EU gegründete Gesellschaften ihren Sitz verlegen können. Der Vorteil einer solchen grenzüberschreitenden Sitzverlegung besteht darin, dass die Gesellschaft identitätswahrend in das Zuzugsland verziehen kann, d.h. unter Beibehaltung sämtlicher Aktiva und Passiva (insbesondere Vertragsverhältnisse).
Fraglich war jedoch bisher, ob der Wegzugsstaat verlangen kann, dass vor Löschung der Gesellschaft ein ordentliches Liquidationsverfahren durchgeführt werden muss und ob der Verwaltungssitz ebenfalls mit dem Satzungssitz in den Zuzugsstaat verlegt werden muss. Der EuGH hat nunmehr mit einer aktuellen Entscheidung vom 25. Oktober 2017 (Az. C-106/16) diese noch offenen Fragen geklärt.
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin war eine nach polnischem Recht gegründete Kapitalgesellschaft, vergleichbar mit einer deutschen GmbH, die eine Sitzverlegung nach Luxemburg beschloss. Die von der polnischen Gesellschaft beantragte Löschung im polnischen Handelsregister wurde jedoch verweigert. Als Begründung führte das Handelsregister an, dass zunächst das ordentliche Liquidationsverfahren nach polnischem Recht zu durchlaufen sei. Ferner wurde vom Handelsregister gerügt, dass der Verwaltungssitz der Gesellschaft in Polen verbleiben, und nicht nach Luxemburg verlegt werden sollte.
Entscheidung
Der EUGH verwarf die Ansicht des Handelsregisters und stellte ausdrücklich klar, dass die Einhaltung eines Liquidationsverfahrens durch den Wegzugsstaat nicht pauschal und ausnahmslos verlangt werden könne. Dies stelle vielmehr eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 und 54 AEUV dar. Zudem entschied das Gericht, dass es für sich allein keinen Missbrauch darstelle, wenn eine Gesellschaft ihren Sitz verlege, um in den Vorteil günstigerer Rechtsvorschriften zu kommen (z. B. des Steuerrechts). Ferner stellte der EUGH klar, dass der Verwaltungssitz nicht in den Zuzugsstaat verlegt werden müsse, sondern die (überwiegende) wirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft ebenfalls im Wegzugsstaat verbleiben könne.
Praxishinweis
Der EuGH hat zwei bisher noch offene Praxisfragen im Rahmen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung eindeutig zugunsten der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften geklärt und die formalen Anforderungen an einen solchen Wegzug auf angemessene Weise eingeschränkt. Zu Recht hat der EuGH den Mitgliedsstaaten der EU eine Absage erteilt, bei einem Wegzug stets das Durchlaufen eines Liquidationsverfahrens verlangen zu können. Auch die Beibehaltung des Verwaltungssitzes nach einer Verlegung des Satzungssitzes gewährt den Unternehmen innerhalb der EU ein hohes Maß an Flexibilität. Der Wettbewerb der Rechtsordnungen innerhalb der EU wird daher durch das Urteil weiter erhöht.